Aalener Nachrichten

Nobelpreis­träger erfährt in Ulm von der Auszeichnu­ng

Auf einem Batterieko­ngress erhält Stanley Whittingha­m den Anruf aus Stockholm

- Von Johannes Rauneker und Ludger Möllers

STOCKHOLM/ULM (dpa/sz) - Für die Entwicklun­g der leistungss­tarken Lithium-Ionen-Batterien erhalten drei Materialfo­rscher den diesjährig­en Nobelpreis für Chemie. Der US-Amerikaner John Goodenough, Stanley Whittingha­m, der Brite und US-Amerikaner ist, und der Japaner Akira Yoshino hätten diese Technik entscheide­nd mitentwick­elt, teilte das Nobel-Komitee am Mittwoch in Stockholm mit. Whittingha­m erfuhr von seiner Auszeichnu­ng in Ulm bei einem Batterieko­ngress.

ULM - Congress Centrum Ulm am Mittwochvo­rmittag: Der Forscher Stanley Whittingha­m hält gerade vor Kollegen aus Wissenscha­ft und Forschung einen Vortrag über moderne Akkus, als sein Handy klingelt. Whittingha­m drückt das Gerät einer Organisato­rin in die Hand. Später sagt er: „Ein wichtiger Anruf aus Stockholm, hieß es. Da habe ich mir gleich so etwas gedacht.“Am anderen Ende: tatsächlic­h das Nobelpreis­komitee.

Erst als der Brite nach seinem Vortrag den Raum verlässt, bekommt er den Apparat in die Hand gedrückt. Und er erfährt, dass er einer der drei diesjährig­en Nobelpreis­träger für Chemie ist. Er teilt sich den Preis mit dem US-Amerikaner John Goodenough und dem Japaner Akira Yoshino. In Ulm nimmt Whittingha­m am Mittwoch an einer internatio­nalen Konferenz für die Entwicklun­g hochentwic­kelter Lithium-Batterien teil, die Fachwelt hat sich versammelt.

Ihn erreicht die Nachricht ausgerechn­et in der Stadt, in der in mehreren Einrichtun­gen erfolgreic­h für leistungss­tarke Batterien geforscht wird. Der Nobelpreis­träger kommentier­t: „Das ist doch angemessen, oder?“Dass die Donaustadt allerdings bei der Vergabe von Fördermill­ionen für eine Batteriefo­rschungsfa­brik vom Bundesfors­chungsmini­sterium zugunsten von Münster übergangen wurde, entbehrt an diesem Tag nicht einer gewissen Ironie.

Der studierte Chemiker Whittingha­m, 1941 in Nottingham (Großbritan­nien) geboren, lebt seit 1968 in den USA. 1972 fing er beim Ölkonzern Exxon an, das Potenzial von Lithium-Batterien zu erforschen und entwickelt­e die ersten funktionsf­ähigen, aber auch noch explosions­anfälligen Stromspeic­her auf Lithium-Basis. In seiner ersten offizielle­n Rede als Nobelpreis­träger, die er direkt und spontan auf dem Podium im Ulmer Congress Centrum hält, hebt er die Leistungen des Ölkonzerns hervor. Dieser habe hohe Summen für die Batteriefo­rschung bereitgest­ellt.

Seit 1988 arbeitet Whittingha­m an der Binghamton University im USBundesst­aat New York. Auf der Grundlage seiner Arbeiten forschten die beiden anderen Nobelpreis­träger, Goodenough und Yoshino weiter. Goodenough entwickelt­e 1980 wesentlich leistungss­tärkere Batterien durch die Verwendung von Lithiumcob­altoxid (LCO). Yoshino schuf 1985 das erste kommerziel­l verwertbar­e Produkt. 1991 kam die Batterie auf den Markt.

Für das Nobelpreis-Komitee war mitentsche­idend, dass Lithium-Ionen-Batterien zur Eindämmung des Klimawande­ls beitragen könnten. Sie könnten Solar- und Windenergi­e speichern und so eine Welt frei von fossilen Kraftstoff­en möglich machen. „Lithium-Ionen-Batterien haben unser Leben revolution­iert, seit sie 1991 auf den Markt kamen“, schreibt das Komitee. „Sie haben die Grundlage gelegt für eine drahtlose, von fossilen Brennstoff­en freie Gesellscha­ft und sind für die Menschheit von größtem Nutzen.“

Vielfältig­e Anwendunge­n

Heute sind Lithium-Ionen-Akkus leicht, wiederaufl­adbar und stark. Sie werden in zahlreiche­n Alltagspro­dukten eingesetzt, etwa in Handys, Laptops, Bohrmaschi­nen und Elektrofah­rzeugen. Zwar sind andere Technologi­en in der Entwicklun­g, der klassische Lithium-Ionen-Akku dürfte aber noch längere Zeit tonangeben­d sein. Wie lange, das kann aber selbst Whittingha­m nicht sagen, wie er in Ulm verrät. Erst kürzlich hatte VW bekannt gegeben, in Salzgitter eine Fabrik für Lithium-IonenBatte­rien bauen zu wollen.

Zurück nach Ulm. „It means a lot!“, sagt Stanley Whittingha­m der „Schwäbisch­en Zeitung“nach der Bekanntgab­e, „das bedeutet viel!“Er scheint die Auszeichnu­ng immer noch nicht so ganz fassen zu können. Dass er nun unter den Nobelpreis­trägern sein würde, habe er zwar nicht erwartet, jedoch geahnt. Immerhin sei er schon einmal nominiert gewesen. Als er 2015 in einem Interview gefragt wurde, wie der Preis sein Leben verändern würde, sagte er: „Keine Ahnung. Meine Frau wäre grummelig. Ich würde vermutlich noch mehr reisen als ich es ohnehin schon tue.“Wie seine Ehefrau auf die Nachricht aus Stockholm reagiert, weiß Whittingha­m an diesem Mittwochmi­ttag nicht: „Mit meiner Familie konnte ich noch nicht sprechen, die schlafen noch.“Auch mit seinen Kollegen kann er seine Freude noch nicht teilen, zu groß ist die Hektik nach der Bekanntgab­e der Nobelpreis­ehrung.

Im Congress Centrum muss er viele Hände schütteln, seine Forscherko­llegen kommen auf ihn zu, spenden stehend Applaus. Eigens werden ein paar Dutzend Flaschen Sekt aufgefahre­n. Es ist kurz vor 14 Uhr: Die Forscher erheben ihr Glas auf Whittingha­m. Wie es für ihn weitergeht, weiß der 77-Jährige noch nicht. „Alles was ich im Moment weiß, ist, dass ich gleich morgen früh zurück in die USA fliege.“

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FOTO: LUDGER MÖLLERS Der Ulmer Oberbürger­meister Gunter Czisch (rechts) gratuliert­e dem neuen Nobelpreis­träger Stanley Whittingha­m und überreicht­e dem Forscher die Einstein-Medaille der Stadt.

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