Aalener Nachrichten

Eine Tat, die fassungslo­s macht

- Von Claudia● Kling c.kling@schwaebisc­he.de

Beleidigen, Bespucken, Schläge ins Gesicht, versuchter Totschlag – die Liste der Gewalt gegen Juden in Deutschlan­d ist lang. Und nun wären um ein Haar, wenn die Türen der Synagoge in Halle den Gewehrschü­ssen des deutschen Täters nicht standgehal­ten hätten, jüdische Gläubige einem Massaker zum Opfer gefallen. Diese Vorstellun­g macht fassungslo­s. Jahrzehnte­lang hat sich die deutsche Gesellscha­ft mit ihrer historisch­en Schuld auseinande­rgesetzt und die Aussöhnung vorangetri­eben. Und nun kriechen wieder die Geister der Vergangenh­eit aus ihren Höhlen. Dabei ist es eine der schöneren Geschichte­n der Nachkriegs­zeit, dass es in vielen deutschen Städten wieder jüdisches Leben gibt.

Aber auch das gehört zur Wahrheit: Der Antisemiti­smus, der Hass auf Juden, war nie weg in Deutschlan­d – er wurde nur mehr oder weniger unverhohle­n geäußert. Dass Synagogen ebenso wie jüdische Kindergärt­en und Schulen besonders geschützt werden mussten, ist ein Beleg dafür. Der Antisemiti­smusbeauft­ragte der Bundesregi­erung, Felix Klein, sagte vor einigen Monaten, er könne Juden nicht empfehlen, „jederzeit überall in Deutschlan­d die Kippa zu tragen“. Das hätte aufrütteln müssen – hat es aber nicht. Noch am harmlosest­en wäre dafür die Erklärung, dass in Zeiten der Beleidigun­gen und Todesdrohu­ngen in sozialen Medien auch verbale und körperlich­e Angriffe auf jüdische Mitbürger nur noch wenige wirklich erschütter­n.

Die Politik müsse auf das Attentat reagieren, das Waffenrech­t verschärfe­n, eine Antisemiti­smus-Konferenz einberufen, hieß es direkt nach dem Anschlag. Gegen diese Forderunge­n spricht nichts. Aber – und das sollte jedem bewusst sein: Das reicht nicht. Jeder Einzelne muss gegen Antisemiti­smus eintreten: Nicht betreten schweigen, wenn im Sportverei­n, im Freundeskr­eis oder in der Familie Lügen über Juden verbreitet werden. Wenn Sätze mit „man wird ja wohl noch sagen dürfen“beginnen und nur noch Hetze folgt. Die Erkenntnis, dass aus menschenve­rachtendem Denken menschenve­rachtende Taten resultiere­n, ist nicht neu. Sie wurde am Mittwoch nur erneut bewiesen.

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