Viermal zehn Jahre Bundestag
Die Abgeordneten Kiesewetter, Rief, Brugger und Riebsamen blicken zurück auf turbulente Zeiten
BERLIN - Jubilarehrungen gibt es im deutschen Bundestag nicht. Doch Roderich Kiewesetter, Lothar Riebsamen und Josef Rief, CDU-Abgeordnete aus dem Verbreitungsgebiet der „Schwäbischen Zeitung“griffen zur Selbsthilfe: Gemeinsam mit anderen Kollegen aus dem Südwesten, stießen sie auf ihren zehnten Jahrestag im Parlament an. Und sie dachten an die Anfänge ihrer Zeit als Abgeordnete zurück.
Im Oktober 2009 saßen unter anderem der Trossinger FDP-Abgeordnete Ernst Burgbacher, der inzwischen verstorbene Ravensburger CDU-Abgeordnete Andreas Schockenhof und die damalige badenwürttembergische Umweltministern Tanja Gönner mit in den Koalitionsverhandlungen in Berlin – damals ging es um die spätere schwarz-gelbe Bundesregierung, die bis 2013 im Amt bleiben sollte. In Stuttgart regierte noch Ministerpräsident Günther Oettinger, auch wenn Stefan Mappus schon auf sich aufmerksam machte.
Seitdem sind zehn Jahre vergangen. Kiesewetter, Abgeordneter für den Wahlkreis Aalen-Heidenheim, hat genauestens Buch geführt: 613 Plenarsitzungen, 192 Sitzungswochen, 1238 verabschiedete Gesetze und 124 Reden sind seine Bilanz nach zehn Jahren Parlament. 2009 verließ Kiesewetter als Oberst im Generalstabsdienst die Bundeswehr, um seinen Dienst im zivilgesellschaftlichen Umfeld fortzusetzen.
Heute ist er Obmann der Unionsfraktion für Außenpolitik. „Es macht heute noch Spaß wie am ersten Tag und es ist ein Privileg, den Wahlkreis Aalen-Heidenheim in Berlin vertreten zu dürfen“, sagt Kiesewetter. Zufrieden ist er, dass er seine Idee des Lehrstuhls für erneuerbare Energien an der Hochschule in Aalen durchsetzen konnte, heute mit knapp 100 Studenten. Bundesweit für Aufsehen sorgt Kiesewetter mit den von ihm initiierten Königsbronner Gesprächen, hochkarätig besetzten außenpolitischen Treffen am Geburtsort des Widerstandkämpfers Georg Elser.
Zeit mit geballten Megathemen
Zehn Jahre waren für die CDU-Abgeordneten ein Grund zum Rückblick. „In der letzten Sitzungswoche haben wir in der Parlamentarischen Gesellschaft nach einem langem Tag im Plenum spätabends noch ein Bier getrunken“, erzählt Lothar Riebsamen. Der Abgeordnete aus dem Wahlkreis Bodensee denkt an turbulente Jahre zurück. „Wir sind in Zeiten mit geballten Megathemen hineingekommen“, so Riebsamen.
Er erinnert an die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009, als Weltuntergangsstimmung herrschte, es folgten die Eurokrise und die Flüchtlingskrise.
Für den früheren Bürgermeister Riebsamen ist es eine Umstellung, dass man im Bundestag alleine nichts erreichen kann, dass man Mitstreiter braucht. Doch er hat sie gefunden.
In seinem Arbeitsbereich, Krankenhaus und Pflege, ist er zufrieden mit dem Erreichten, besonders mit der Entlastung der pflegenden Angehörigen durch Kurzzeitpflege und Tagespflege. Die Arbeit aber wird ihm auch in den nächsten zehn Jahren nicht ausgehen. „Wir stehen weiter vor riesigen Herausforderungen im Bereich Gesundheit und Rente“, so Riebsamen. Für seinen Wahlkreis spielten Verkehrsthemen die wichtigste Rolle. Die Umgehung Überlingen ist fertig, die Umgehung Friedrichshafen soll im nächsten Jahr kommen und die Elektrifizierung der Südbahn in zwei Jahren.
Auch für Josef Rief (Biberach) sind Südbahn und Allgäu-Bahn wichtige Themen. Er ist zufrieden, dass man den Flugplatz Laupheim und Ummendorf erhalten konnte, schließlich war die Konkurrenz mit Rheine in Nordrhein-Westfalen eine ernst zu nehmende. Freude bereitet dem CDU-Abgeordneten Rief immer noch das Projekt zur Sanierung kommunaler Einrichtungen, das er maßgeblich initiiert hat und von dem im dritten Jahr über 300 Millionen für die Sanierung von Schwimmbädern, Turnhallen und anderen Sportund Kultureinrichtungen geflossen sind.
Eines ist für die CDU-Abgeordneten wie Rief all die Jahre hindurch gleich geblieben: Angela Merkel führt die Regierung. Von 2009 bis 2013 mit der FDP, danach mit der SPD. Die wirtschaftliche Entwicklung war am Ende gut. In der Eurokrise schleppte Rief noch die Aktenordner mit ins Wochenende, um sich in sie zu vertiefen. Die Krisen wurden bewältigt. Trotzdem sei die Stimmung in der Bevölkerung eher schlechter geworden, so Rief. Geändert habe sich durch die sozialen Medien sowohl das Tempo als auch der Ton. Er erlebe einen „unfreundlicheren Umgang“mit den Politikern als früher, stellt Rief fest. Die Leute erwarteten wesentlich schneller Antworten auf ihre Fragen. Und noch etwas stört Rief: Dass die Bürokratie immer weiter wachse.
Agnieszka Brugger, grüne Fraktionsvize aus Ravensburg, kam vor zehn Jahren als jüngste weibliche Abgeordnete in den Bundestag. Dass sie mit heute 34 Jahren immer noch zu den Jüngsten zählt, findet sie gar nicht gut. „Man muss sich um mehr junge Leute im Bundestag bemühen.“
Expertin für Sicherheitspolitik
Brugger ist als Fraktionsvize unter anderem für Außen- und Sicherheitspolitik sowie Abrüstung zuständig. Für sie ist ihr Mandat auch zehn Jahre später noch „eine der schönsten Aufgaben der Welt“. Und manchmal ist sie überrascht, dass es schon zehn Jahre her ist, dass sie zum ersten Mal den Gong des Bundestags hörte, der ihr das Gefühl gab, große Verantwortung zu übernehmen. Etwas gerührt war sie damals, und sie spürte Dankbarkeit.
Zuvor hatte sie als Sprecherin der grünen Landesjugend bei Siegfried Spangenberg und Manfred Lucha angeklopft, und ist auf diese Weise in der „Wahlheimat ihres Herzens“, in Ravensburg gelandet. Für die nächsten zehn Jahre wünscht sie sich besonders, dass man im Klimaschutz jetzt endlich auch an die Generation der Kinder und Enkel denkt und wirklich etwas umsetzt. “
Und dass sie in zehn Jahren nicht mehr darüber nachdenken muss, wie man die Demokratie gegen Rechtsextreme schützt, sondern zu alten Selbstverständlichkeiten zurückgekehrt ist.
„Es macht heute noch Spaß wie am ersten Tag.“CDU-Bundestagsabgeordneter Roderich Kiesewetter