Gute Aussichten für die Gottesanbeterin
Zu den Profiteuren des Klimawandels gehören einige Insekten und Vögel
RAVENSBURG
- Was haben die Gottesanbeterin, der Borkenkäfer, die Mönchsgrasmücke, der Bienenfresser und der Admiral gemeinsam? Die genannten Insekten und Vögel gehören zu den wenigen Tieren, die vom Klimawandel profitieren. Sie werden dort heimisch, wo es ihnen bisher zu kalt war. „Wir stellen eine Verschiebung in Richtung Norden fest“, erläutert Professor Peter H. Becker, stellvertretender Direktor des Instituts für Vogelforschung in Wilhelmshaven. So siedeln sich wärmeliebende Vogelarten aus Südeuropa inzwischen auch in Deutschland an. Andere Tiere finden – wie der Borkenkäfer – reichlich Nahrung in den vertrockneten Wäldern.
Anders als etwa bei Verlierern des Klimawandels existieren offenbar keine Schätzungen zur Zahl der Gewinner in Flora und Fauna. Wolfgang Cramer vom Potsdam-Institut für Klimaforschung hat vor Längerem einmal geäußert, er spreche lieber von einer „Verschiebung der Verbreitung“. Wobei wahrscheinlicher sei, dass mehr Arten aussterben als dass sich andere neue Lebensräume erschließen. Regional betrachtet könnte es aber durchaus immer mal wieder zum Auftreten von mehr Arten kommen.
So hat die Universität Mainz von 1980 bis 2002 in einem 1200 Quadratkilometer großen Gebiet am Bodensee alle vorkommenden Vogelarten erfasst. Während in diesem Zeitraum die Durchschnittstemperatur laut der Studie um 2,4 Grad zunahm, erhöhte sich die Zahl der Vogelarten von 141 auf 156.
Hannes Egle ist Vorsitzender der Ortsgruppe Tuttlingen des Naturschutzbundes (Nabu) und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der heimischen Vogelwelt, deren Zusammensetzung sich mit den Klimaveränderungen ändert. Dabei kristallisieren sich Gewinner und Verlierer heraus. Der Apotheker beobachtet beispielsweise, dass der Vogel mit dem leicht irreführenden Namen Mönchsgrasmücke, der früher in Südeuropa überwinterte, jetzt den Winter in Südengland verbringt. Der im Durchschnitt nur 17 Gramm schwere Singvogel aus der Gattung der Grasmücken hat seit etlichen Jahren seine Route geändert. Egle weiß, dass ebenso Stare vermehrt in Mitteleuropa bleiben: „Und auch Hausrotschwänze kehren früher im Jahr aus dem Mittelmeerraum zu uns zurück.“Diese Singvögel haben sich schon seit Menschengedenken angepasst: „Ursprünglich stammt der Hausrotschwanz aus dem Gebirge. Schon vor Jahrhunderten hat jedoch der überwiegende Teil die felsige Bergwelt gegen städtische Strukturen unserer Neuzeit eingetauscht“, erklärt der Nabu.
Dass die Zugvögel früher in Deutschland eintreffen, kann für die Tiere fatale Folgen haben: „Sie finden ihre Hauptnahrung, die Insekten, nicht in dem Maße und in der Masse, wie sie das für die Fütterung ihrer Brut bräuchten“, weiß Egle. Die Insekten hätten wegen der Klimaerwärmung einen anderen Rhythmus angenommen und seien als Nahrung noch nicht vorhanden, wenn die Zugvögel einträfen.
Ausbreitung wird zunehmen
Es gibt aber auch echte Gewinner der Klimaerwärmung. Beispielsweise die Gottesanbeterin, die seit Jahrzehnten am Kaiserstuhl lebt. Die prominenteste Vertreterin der Fangschrecken wandert mit steigenden Temperaturen nach Norden. „Mittlerweile aber wurde die Gottesanbeterin mit Ausnahme von Niedersachsen und Schleswig-Holstein bereits in allen deutschen Bundesländern nachgewiesen“, erklärt Silvia Teich, Pressereferentin beim Nabu. „Aber insgesamt ist die Art ein gutes Beispiel für die Auswirkung des globalen Klimawandels auf die mitteleuropäische Tierwelt. Mit steigenden Temperaturen wird sich die Gottesanbeterin voraussichtlich immer weiter ausbreiten.“
Ebenso ist der Bienenfresser auf dem Vormarsch. Der Vogel galt laut Angaben des Nabu am Kaiserstuhl als ausgestorben, bis 1990 wieder Paare gesichtet wurden. Heute brüten bis zu 400 Paare in Baden-Württemberg. Zu ihrer Beute zählen – anders als der Name vermuten lässt – neben Bienen auch andere Insekten. Die Präsenz der Vögel hierzulande geht laut der Umweltorganisation World Wildlife Fund (WWF) auf die Klimaerwärmung zurück. Die Einstufung des WWF lautet daher: „Gewinner aus den falschen Gründen“.
Die Folgen der Erderhitzung bekommt Deutschland auch in den Wäldern zu spüren. Dort ist der Borkenkäfer ein weiterer „Gewinner aus den falschen Gründen“und richtet in den durch die Trockenheit belasteten Wäldern vor allem in Fichtenbeständen schwere Schäden an: 180 000 Hektar geschädigte Fläche – mehr als 250 000 Fußballfelder – seien wieder zu bepflanzen, sagte Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU). Sie stellte auf einem „Nationalen Waldgipfel“in Berlin zusätzliche Mittel von Bund und Ländern von bis zu 800 Millionen Euro in den kommenden vier Jahren in Aussicht.
Falter aus dem Mittelmeerraum
Bleibt ein Blick auf einen Vertreter aus der Welt der Falter, den Admiral: Der Schmetterling ist ein klassischer Wanderfalter, der üblicherweise jedes Jahr im Mai aus dem Mittelmeerraum neu zu uns einwanderte. NabuPressereferentin Silvia Teich sagt: „Heutzutage aber sind die Winter so mild, dass die Falter bei uns überwintern und auch überwinternde Raupen und Puppen auftreten.“Inzwischen habe sich eine ganzjährige mitteleuropäische Population gebildet: „Eine Zuwanderung aus Südeuropa findet praktisch nicht mehr statt.“
Auch manche Pflanzen gehören zu den Gewinnern der Erderwärmung: Gartenfreunde und Bauern machen bereits heute in unseren Breiten die Erfahrung, dass sie etwa Gemüse teilweise über einen längeren Zeitraum erfolgreich anbauen können. Salat beispielsweise lässt sich nunmehr bis in den November hinein kultivieren. Mangold oder Endivie wurden gesichtet. Doch mediterrane Pflanzen haben besondere Ansprüche: Sie brauchen kräftige Frostschübe und keine Winter, in denen es konstant kühl und feucht bleibt. Viele mediterrane Pflanzen verrotten schlichtweg in der Feuchte der winterlichen Böden.
Dagegen dürften sich Hanfpalmen, Bananenstauden, Weintrauben, Feigen, Kiwis, Lavendel oder Katzenminze zunehmend wohler fühlen. Und auch Weinbauern haben Vorteile. Studien der US-amerikanischen Universitäten Harvard und Columbia in Frankreich ergaben, dass die besten Weinjahrgänge über Jahrhunderte geerntet wurden, wenn es Trockenperioden am Ende der Wachstumsphase gegeben hatte. Heute werden die nötigen Temperaturen für eine frühe und gute Ernte mittlerweile ohne Dürre geknackt. „Es ist nur das jüngste Symptom, dass die globale Erwärmung biologische Systeme und die Landwirtschaft beeinflusst“, teilte die Columbia-Universität mit. Doch auch hier: „Die schlechte Nachricht ist, wenn wir die Erde weiter erwärmen, werden wir einen Wendepunkt erreichen“, warnte Mitautorin Elizabeth Wolkovich von der Universität Harvard. Laut ihrer Einschätzung könnten höhere Temperaturen dann nicht mehr wie bislang zu höherer Weinqualität führen.