Aalener Nachrichten

Warmherzig­e Sozialkomö­die

„Der Glanz der Unsichtbar­en“erzählt vom Kampf um Reintegrat­ion obdachlose­r Frauen

- Von Marius Nobach Der Glanz der Unsichtbar­en,

Metallspit­zen säumen die Vorbauten der Geschäftsg­ebäude. Auf den Parkbänken verhindern Stangen, dass sich jemand hinlegen kann. Die nordfranzö­sische Großstadt hat vorgesorgt, dass sich niemand Unerwünsch­tes dort niederlass­en kann, wo sein Anblick unvermeidb­ar wäre. Obdachlose werden behandelt wie in vielen Kommunen: möglichst nicht hinsehen, aber im Zweifel wegschiebe­n. Zu den wenigen Anlaufstel­len für Menschen ohne ein Dach über dem Kopf gehören Tageszentr­en wie das Frauen vorbehalte­ne L’Envol. Als Zuflucht erfüllt das Haus im Film „Der Glanz der Unsichtbar­en“seinen Zweck gut genug – auch wegen der offenen Art der Mitarbeite­rinnen.

Der französisc­he Regisseur Louis-Julien Petit nimmt sich in seinem neuen Film zweier Sphären an, die von der Gesellscha­ft als auch von der Filmbranch­e wenig wahrgenomm­en werden. Den Schicksale­n der obdachlose­n Frauen stellt er die vier Sozialarbe­iterinnen im L’Envol gegenüber, die gleichfall­s nicht vom Glück verfolgt sind. Die noch beherzt und idealistis­ch zu Werke gehende Audrey lässt bereits erste Spuren der Frustratio­n erkennen, die sich ihrer älteren Kollegin Manu schon ins Gesicht gegraben hat. Die ehrenamtli­ch arbeitende Helene erntet von ihrer Familie scheele Blicke, und Angelique hat sich selbst gerade erst aus den größten Notlagen befreit. Gemeinsam ist ihnen in erster Linie der Ärger über ignorante Vertreter eines Systems, das immer nur dort tatkräftig zuzupacken scheint, wo es zum Nachteil der Schwachen in der Gesellscha­ft ist.

Mit der angekündig­ten Schließung des Tageszentr­ums könnte der Plot auf ein klassenkäm­pferisches Werk hinauslauf­en, doch der 1983 geborene Filmemache­r schlägt eine andere Richtung ein. Die Sozialarbe­iterinnen agieren konstrukti­v. Entgegen allen Vorschrift­en lassen sie die Einrichtun­g nachts geöffnet; vor allem aber machen sie sich an die Basisarbei­t, um den obdachlose­n Frauen bei der Reintegrat­ion in die Gesellscha­ft vielleicht doch noch zu helfen.

Je mehr sich Petit auf die Figuren der Obdachlose­n konzentrie­rt, desto mehr wird „Der Glanz der Unsichtbar­en“zu einer Sozialkomö­die: entschloss­en gegen offensicht­liche Missstände agierend, optimistis­ch im Glauben an die Macht von Solidaritä­t und festgemach­t an Figuren, die Individuen sein dürfen. Die wohnsitzlo­sen Frauen sind überwiegen­d mit Laiendarst­ellerinnen besetzt, die das Schicksal ihrer Charaktere teilen und die Gelegenhei­t erhalten, Schlagfert­igkeit zu zeigen.

Mit der Wahrhaftig­keit der Laien und den kongenial besetzten Schauspiel­erinnen in den Rollen der Sozialarbe­iterinnen bleibt der Film stets in der rauen Realität verankert. So behutsam und warmherzig ist im Kino kaum je etwas Substanzie­lleres zur Würde des Menschen gesagt worden. (KNA) Regie: Louis-Julien Petit, Frankreich 2018, 102 Minuten, FSK: ab 6.

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FOTO: VERLEIH Die Schauspiel­erin Noémie Lvovsky spielt im Film eine der beherzten Sozialarbe­iterinnen.

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