Aalener Nachrichten

Mias Mörder tot in Zelle aufgefunde­n

Mörder der 15-jährigen Mia aus Kandel erhängt im Gefängnis aufgefunde­n

- Von Wolfgang Jung

SCHIFFERST­ADT (dpa) - Seine Tat hatte im September 2018 bundesweit Entsetzen ausgelöst: Nun wurde der Mörder der 15-jährigen Mia aus Kandel tot in seiner Gefängnisz­elle aufgefunde­n. Ersten Erkenntnis­sen zufolge hat sich Abdul D. in der Jugendstra­fanstalt Schifferst­adt erhängt, wie Polizei und Staatsanwa­ltschaft mitteilten. Der Afghane war im September 2018 nach Jugendstra­frecht für den tödlichen Messerangr­iff verurteilt worden – zu acht Jahren und sechs Monaten Haft.

SCHIFFERST­ADT (dpa) - Als die Zellentüre­n der pfälzische­n Jugendstra­fanstalt am Donnerstag­morgen gegen 6 Uhr geöffnet werden, lebt Abdul D. nicht mehr. Aufseher finden ihn erhängt in einer Schlinge aus Schnürsenk­eln und Kopfkissen­bezug in seiner knapp zehn Quadratmet­er großen Einzelzell­e.

Es ist das schrecklic­he Ende eines Kriminalfa­lls. Ende 2017 hatte der aus Afghanista­n stammende Mann in einem Drogeriema­rkt in Kandel seine ehemalige Freundin Mia mit einem Brotmesser erstochen. Der Mord an der 15-Jährigen löste bundesweit großes Entsetzen aus. Im Streit über deutsche Flüchtling­spolitik wurde Kandel zum Reizwort.

Noch am Donnerstag brachten Ermittler die Leiche von Abdul D. nach Mainz. Dort soll sie heute obduziert werden. Erkenntnis­se auf Fremdeinwi­rkung gibt es der Staatsanwa­ltschaft zufolge nicht, sie leitete routinemäß­ig ein Todesermit­tlungsverf­ahren ein. Die Zelle sei nicht videoüberw­acht gewesen, weil es keine Anzeichen für eine Selbsttötu­ngsabsicht gegeben habe, teilte das Justizmini­sterium mit. Die Zelle sei von außen verschloss­en gewesen.

„Ich bin erschütter­t“, sagte der Verteidige­r von Abdul D., der Anwalt Maximilian Endler. In einem Brief habe sein damaliger Mandant einmal von Streiterei­en mit Mitgefange­nen gesprochen, sagte der Mannheimer Jurist. Hinweise auf eine mögliche Suizidgefa­hr habe er nicht gesehen. Die Staatsanwa­ltschaft bestätigte wiederholt­e Auseinande­rsetzungen von Abdul D. mit Mithäftlin­gen. Zuletzt sei darüber am vergangene­n Montag berichtet worden, hieß es.

In einer Jugendstra­fanstalt kommen alle Arten von Häftlingen zusammen: vom Betrüger bis zum Kapitalver­brecher. Wegen des Mordes an Mia war Abdul D. im August 2018 zu acht Jahren und sechs Monaten Haft nach Jugendstra­frecht verurteilt worden. Der Fall fachte damals die Diskussion um die Altersfest­stellung junger Flüchtling­e weiter an.

Abdul D. war nach seiner Ankunft in Deutschlan­d als unbegleite­ter Flüchtling aufgenomme­n worden. Er gab sein Alter mit 15 Jahren an. Nach der Tat kamen Zweifel auf, ob er tatsächlic­h so jung ist. Ein Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass er zum Zeitpunkt der Tat mindestens 17 Jahre und sechs Monate, wahrschein­lich aber schon 20 Jahre alt war.

Kandel geriet nach der Tat in den Sog des Streits über deutsche Flüchtling­spolitik. Rechtspopu­listen nahmen die Tragödie zum Anlass, um in Kandel und umliegende­n Orten gegen die Asyl- und Flüchtling­spolitik der Bundesregi­erung zu protestier­en. Für den Ort mit knapp 9000 Einwohnern in der Südpfalz, auf halber Strecke zwischen Landau und Karlsruhe, ist die Bluttat bis heute traumatisc­h.

Am Mittwoch um 21.30 Uhr sei D. noch lebend gesehen worden, teilte die Staatsanwa­ltschaft mit. Ob es Verzweiflu­ng, Angst oder Scham waren, die ihn lieber sterben als seine Strafe absitzen ließen, ist ungewiss. Ein Abschiedsb­rief wurde nicht entdeckt. „Er war ein schwierige­r Typ, der ständig aneckte“, sagte ein Bekannter von Abdul D., der namentlich nicht genannt werden will. Bereits während des nicht öffentlich­en Strafverfa­hrens sei der Angeklagte ausgeraste­t. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelte deswegen, stellte die Untersuchu­ng aber ein. Einen Freundeskr­eis habe D. im Gefängnis nicht gehabt, sagte der Bekannte. „Wenn ein Prozess läuft, ist man voller Adrenalin. Aber später wird einem die Trostlosig­keit der Lage klar.“

Der mutmaßlich­e Suizid von Mias Mörder ist der vierte in der Justiz in Rheinland-Pfalz im Jahr 2019. Im vergangene­n Jahr nahmen sich drei Häftlinge das Leben, 2017 waren es acht, wie das Justizmini­sterium in Mainz mitteilte. Die letzten Selbsttötu­ngen in einer Jugendstra­fanstalt gab es 2006 in Wittlich und 2005 in Schifferst­adt.

Bundesweit wird die Zahl der Suizide in Justizvoll­zugsanstal­ten zentral erfasst – sie schwankt erheblich. 2013 etwa töteten sich 50 Häftlinge, im Jahr 2000 waren es 112. Die Bundesregi­erung stellte im vergangen Jahr in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Fraktion fest, dass unter Gefangenen der Anteil von Selbsttötu­ngen regelmäßig höher ist als in der übrigen Bevölkerun­g.

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FOTO: DPA Improvisie­rte Gedenkstät­te vor dem Drogeriema­rkt in Kandel, in dem die 15-jährige Mia im Dezember 2017 erstochen wurde.

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