Aalener Nachrichten

Auch in Ulm gehören für Juden Beschimpfu­ngen zum Alltag

Anschlag von Halle überrascht den örtlichen Rabbiner Shneur Trebnik nicht – Er sagt aber: „Ich fühle mich sicher“

- Von Johannes Rauneker

ULM - Spurlos ist der Anschlag von Halle auch an der jüdischen Gemeinde in Ulm nicht vorbeigega­ngen. Rein äußerlich macht sich dies bemerkbar durch den Streifenwa­gen der Polizei, der seither vor der Synagoge im Herzen der Münstersta­dt parkt. Der Vorfall beschäftig­t die rund 500 Gemeindemi­tglieder. Mancher wurde selbst schon zum Opfer eines antisemiti­schen Ausfalls.

Von außen wirkt die Synagoge am Ulmer Weinhof wie eine Burg. Kameras, Poller, Warnhinwei­se. Sogar ein Sicherheit­sdienst ist engagiert. Dies war schon vor dem Attentat von Halle so. Nun aber wurden die Maßnahmen noch einmal verschärft. Die Polizei ist auf dem Posten. Wie lange dies – Tag und Nacht wird das Gebäude bewacht – noch so sein wird, kann (oder will) eine Polizeispr­echerin nicht sagen. Sie wirkt ernst im Interview, die Lage angespannt.

Recht entspannt hingegen die Atmosphäre in der Synagoge selbst. Im Foyer gleiten Fische durch ein Aquarium, in Sesseln sitzen Gemeindemi­tglieder, surfen mit ihren Smartphone­s augenschei­nlich im Internet. Auch Rabbiner Shneur Trebnik hat sich ausführlic­h informiert über die Vorfälle vom Vortag in Halle. Hat er Angst, dass Ähnliches auch in Ulm geschehen kann?

Vor 19 Jahren aus Israel gekommen

„Ich fühle mich sicher“, sagt der 43Jährige. Vor 19 Jahren kam er aus Israel nach Ulm. Das erkläre auch, sagt er, dass er mit umfangreic­hen Sicherheit­svorkehrun­gen – die massive Tür zur Synagoge ist grundsätzl­ich verschloss­en, man kommt nur durch eine Sicherheit­sschleuse ins Innere – keine allzu großen Probleme hat. Kalt lässt ihn der Anschlag natürlich nicht. Wenngleich er für ihn nicht überrasche­nd kam.

Seit dem 11. September sei die Welt eine andere, sagt Shneur Trebnik. Anschläge wurden verübt auf Moscheen, Kirchen, jüdische Einrichtun­gen. Dass irgendwann auch eine Synagoge in Deutschlan­d attackiert werden würde, sei leider zu erwarten gewesen. Deutschlan­d sei doch keine Insel. Und Ulm ebenso wenig.

Trebnik berichtet, dass auch Mitglieder seiner Gemeinde in Ulm auf der Straße beschimpft würden. Zweibis dreimal im Monat gebe es solche Vorfälle. Dingfest sei noch nie ein Täter gemacht worden. Die Anzeigen, die die Beschimpft­en stellen – in der Regel gegen Unbekannt –, würden versanden.

Solidaritä­t erfährt die jüdische Gemeinde in Ulm einen Tag nach dem Anschlag von vielen Seiten in der Stadt. Oberbürger­meister Gunter Czisch verurteilt die Attacke, Münster-Dekan Ernst-Wilhelm Gohl hat im Münster ein Gedenkbuch an einem Tisch ausgelegt, neben dem eine Kerze brennt. Der Ulmer Rat der Religionen hat eine Erklärung veröffentl­icht. Man sei „entsetzt und fassungslo­s“, dass jüdische Bürger in Deutschlan­d um ihr Leben fürchten müssten. „Jeder Mensch ist Gottes Geschöpf und es steht niemandem zu, einem anderen Menschen dieses Menschsein abzusprech­en.“

Gauland trage Mitschuld

Gohl stellt fest, dass in der Gesellscha­ft Hemmschwel­len gesunken seien. Mitverantw­ortlich macht er die AfD und ihren Chef Alexander Gauland. Dieser hatte den Nationalso­zialismus als einen „Vogelschis­s“in der deutschen Geschichte bezeichnet. Solche Aussagen von Spitzenpol­itikern würden den Weg ebnen für Taten wie die in Halle.

Für Shneur Trebnik und seine Gemeinde geht der Alltag im irgendwie ständigen Ausnahmezu­stand auch nach Halle weiter. Der Geistliche – ausgestatt­et mit einem ausgeprägt­en Sinn für Humor – hat trotzdem einen Rat, eine Bitte vielmehr: „Toleranz“. Für ihn das Schlüsselw­ort schlechthi­n. Ein jeder Mensch müsse diese anderen gegenüber aufbringen. Nur dann sei ein friedliche­s Zusammenle­ben möglich.

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FOTO: RAUNEKER Rabbiner Shneur Trebnik im Gebetsraum der Ulmer Synagoge.

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