Auch in Ulm gehören für Juden Beschimpfungen zum Alltag
Anschlag von Halle überrascht den örtlichen Rabbiner Shneur Trebnik nicht – Er sagt aber: „Ich fühle mich sicher“
ULM - Spurlos ist der Anschlag von Halle auch an der jüdischen Gemeinde in Ulm nicht vorbeigegangen. Rein äußerlich macht sich dies bemerkbar durch den Streifenwagen der Polizei, der seither vor der Synagoge im Herzen der Münsterstadt parkt. Der Vorfall beschäftigt die rund 500 Gemeindemitglieder. Mancher wurde selbst schon zum Opfer eines antisemitischen Ausfalls.
Von außen wirkt die Synagoge am Ulmer Weinhof wie eine Burg. Kameras, Poller, Warnhinweise. Sogar ein Sicherheitsdienst ist engagiert. Dies war schon vor dem Attentat von Halle so. Nun aber wurden die Maßnahmen noch einmal verschärft. Die Polizei ist auf dem Posten. Wie lange dies – Tag und Nacht wird das Gebäude bewacht – noch so sein wird, kann (oder will) eine Polizeisprecherin nicht sagen. Sie wirkt ernst im Interview, die Lage angespannt.
Recht entspannt hingegen die Atmosphäre in der Synagoge selbst. Im Foyer gleiten Fische durch ein Aquarium, in Sesseln sitzen Gemeindemitglieder, surfen mit ihren Smartphones augenscheinlich im Internet. Auch Rabbiner Shneur Trebnik hat sich ausführlich informiert über die Vorfälle vom Vortag in Halle. Hat er Angst, dass Ähnliches auch in Ulm geschehen kann?
Vor 19 Jahren aus Israel gekommen
„Ich fühle mich sicher“, sagt der 43Jährige. Vor 19 Jahren kam er aus Israel nach Ulm. Das erkläre auch, sagt er, dass er mit umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen – die massive Tür zur Synagoge ist grundsätzlich verschlossen, man kommt nur durch eine Sicherheitsschleuse ins Innere – keine allzu großen Probleme hat. Kalt lässt ihn der Anschlag natürlich nicht. Wenngleich er für ihn nicht überraschend kam.
Seit dem 11. September sei die Welt eine andere, sagt Shneur Trebnik. Anschläge wurden verübt auf Moscheen, Kirchen, jüdische Einrichtungen. Dass irgendwann auch eine Synagoge in Deutschland attackiert werden würde, sei leider zu erwarten gewesen. Deutschland sei doch keine Insel. Und Ulm ebenso wenig.
Trebnik berichtet, dass auch Mitglieder seiner Gemeinde in Ulm auf der Straße beschimpft würden. Zweibis dreimal im Monat gebe es solche Vorfälle. Dingfest sei noch nie ein Täter gemacht worden. Die Anzeigen, die die Beschimpften stellen – in der Regel gegen Unbekannt –, würden versanden.
Solidarität erfährt die jüdische Gemeinde in Ulm einen Tag nach dem Anschlag von vielen Seiten in der Stadt. Oberbürgermeister Gunter Czisch verurteilt die Attacke, Münster-Dekan Ernst-Wilhelm Gohl hat im Münster ein Gedenkbuch an einem Tisch ausgelegt, neben dem eine Kerze brennt. Der Ulmer Rat der Religionen hat eine Erklärung veröffentlicht. Man sei „entsetzt und fassungslos“, dass jüdische Bürger in Deutschland um ihr Leben fürchten müssten. „Jeder Mensch ist Gottes Geschöpf und es steht niemandem zu, einem anderen Menschen dieses Menschsein abzusprechen.“
Gauland trage Mitschuld
Gohl stellt fest, dass in der Gesellschaft Hemmschwellen gesunken seien. Mitverantwortlich macht er die AfD und ihren Chef Alexander Gauland. Dieser hatte den Nationalsozialismus als einen „Vogelschiss“in der deutschen Geschichte bezeichnet. Solche Aussagen von Spitzenpolitikern würden den Weg ebnen für Taten wie die in Halle.
Für Shneur Trebnik und seine Gemeinde geht der Alltag im irgendwie ständigen Ausnahmezustand auch nach Halle weiter. Der Geistliche – ausgestattet mit einem ausgeprägten Sinn für Humor – hat trotzdem einen Rat, eine Bitte vielmehr: „Toleranz“. Für ihn das Schlüsselwort schlechthin. Ein jeder Mensch müsse diese anderen gegenüber aufbringen. Nur dann sei ein friedliches Zusammenleben möglich.