Legenden dürfen sitzen bleiben
Canned Heat und Ten Years After erinnern überraschend frisch an das Woodstock-Festival vor 50 Jahren
AALEN - Kurz, aber nur ganz kurz geht einem der Gedanke durch den Kopf, dass die Woodstock-Legenden nur ein rollendes Museum der Rockgeschichte sind. Und zwar in dem Moment, als Ric Lee, seit über 50 Jahren Drummer von Ten Years After, in der Aalener Stadthalle hinter seinem Drumset vorklettert mit einer Frisur, die eigentlich als ausgestorben galt – eine klassische Vokuhila – und der gut gefüllten Stadthalle zuruft: „Wir haben in Woodstock gespielt. Und wir sind immer noch da. That’s amazing. Das ist erstaunlich.“
Erstaunliches tat sich in der Stadthalle. Canned Heat und Ten Years After, die seit zwei Jahren als „Woodstock-Legenden“gemeinsam auf Tournee sind, erinnerten überraschend frisch an das legendäre Woodstock-Festival vor 50 Jahren.
Aber es war ein weiter Weg von Bethel 1969 nach Aalen 2019. Ein Weg, bei dem die Veteranen so manchen Kameraden verloren haben. Bob Hite, Sänger der amerikanischen Bluesband Canned Heat, erlag 1981 seiner Drogensucht, Alvin Lee, Frontmann der britischen Bluesrocker Ten Years After, starb 2013. Die Gründungsmitglieder der beiden Bands sind mittlerweile dünn gesät und dürfen sitzen. Fito de la Parra sitzt seit 53 Jahren hinter dem Drumset von Canned Heat, Ric Lee und Keyboarder Chick Churchill sorgten in Woodstock mit Ten Years After für Furore.
Nichts für Sitztänzer
Das Publikum ist mitgealtert. So manche Mähne ist einer Platte gewichen. Dass die Stadthalle bestuhlt war, ist wohl dieser Zielgruppe geschuldet. Obwohl: Vor allem Canned Heat, die Hitze in Dosen, war so gar nichts für eiserne Sitztänzer. „Macht doch mal diese vielen Lichter aus“, schimpft de la Parra, „das hier ist eine Bluesshow, keine Disco!“
In der Tat. „Going Up The Country“, die heimliche Woodstock-Hymne, „On The Road Again“oder „Let’s Work Together“von 1970, Canned Heats größter Hit in Deutschland, rücken das Quartett ins richtige Licht: eine ehrliche weiße Bluesband, die auch heute noch mitreißen kann. Das verdankt sie vor allem Dale Spalding, Sänger, Harper und Gitarrist. Die Zuhörer hielt es jedenfalls nicht auf ihren Sitzen. Blues ist nicht tot, er riecht nur ein bisschen streng – um’s mal mit Zappa zu sagen.
Ten Years After taten sich da mit ihrem Bluesrock etwas schwerer. Ihre Musik ist rauer, rebellischer, aufmüpfiger. Hier prallen in der Tat Generationen aufeinander. Neben den Ur-Mitgliedern Churchill und Lee standen Gitarrist und Sänger Marcus Bonfanti – 36, lange Haare, knallenge Jeans – und Bass-Legende Colin Hodgkinson, mit 73 Jahren mehr als doppelt so alt, nebeneinander auf der Bühne. Nach ein paar Aufwärmnummern setzten sie schließlich an, ihr komplettes Woodstock-Set zu spielen, von „Good Morning Little Schoolgirl“über „I Can’t Keep From Crying“bis zu „I’m Going Home“. Nix verlernt, möchte man sagen. So sah es auch das Publikum.
Nicht unterschlagen wollen wir auch das Warm-Up: Der erst 15-jährige Gitarrist Frano Zivkovic aus Kroatien zeigte – unter anderem mit einem Beatles-Medley – das man sich um den Gitarrennachwuchs keine Sorgen machen muss, auch wenn er sich bei den Ansagen noch mächtig Richtung Mikro strecken musste.