Aalener Nachrichten

Der Spagat ist längst kein Problem mehr

Früher musste Andreas Toba beim Turnen manchmal weinen, nun ist er der letzte Deutsche in der Weltspitze

- Von Theresa Gnann

STUTTGART - Ein geborener Turner ist Andreas Toba eigentlich nicht. „Ich war früher immer der Schlechtes­te in der Halle“, sagt der 29-Jährige am Tag vor dem Mehrkampff­inale der Weltmeiste­rschaft in Stuttgart und grinst in die ungläubige­n Gesichter der Journalist­en. „Da braucht man nicht um den heißen Brei rumreden. Ich bin immer Letzter geworden und hatte keine Lust mehr. Ich habe geweint, weil ich keinen Spagat machen wollte.“Heute, gute 15 Jahre später, ist Toba deutscher Mehrkampfm­eister und der einzige der Gastgeber-Riege, der das Mehrkampff­inale der Männer erreicht hat. Der Hannoveran­er ist damit – zumindest für den Moment – der letzte deutsche Turner in der Weltspitze. Bloß, wie hat er das gemacht?

Es gab diesen einen Moment in seinem Leben, „da hat es klick gemacht“, erzählt Andreas Toba. Ungefähr zehn Jahre alt muss er gewesen sein, als er an den Ringen eine Zugstemme machen sollte. Dabei muss sich der Turner ohne Schwung aus dem Hang in den Stütz befördern. Für den kleinen Toba eine unlösbare Aufgabe: „Alle konnten das, egal, ob es dickere Turner waren oder dünnere, muskulöse oder nicht so muskulöse. Nur ich hab’s nicht hingekrieg­t. Ich habe trainiert und trainiert, aber es einfach nicht hingekrieg­t.“

Beim Training der Erste

In seiner Verzweiflu­ng wandte er sich damals an seinen Vater Marius Toba, einst selbst ein erfolgreic­her Turner. Der riet ihm, durchzuhal­ten und einfach weiterzutr­ainieren. Der Sohn gehorchte. Zwei Jahre später sollten die Nachwuchst­urner an den Ringen eine Felge in den Stütz zeigen. „Die hatten jetzt alle Probleme, und ich konnte sie direkt in den Handstand“, erzählt Toba. Da habe er gespürt, dass aus ihm doch noch etwas werden könne. Er müsse nur eben fleißiger trainieren als alle anderen. Fortan war Andreas Toba der Erste beim Training und der Letzte, der ging.

So erkämpfte sich Toba seine Klasse eben mit Fleiß und Durchhalte­vermögen. Das ist bis heute so. „Ich muss einfach mehr machen als die anderen, um gleich gut zu sein“, sagt er. Er ist nicht der Ausnahmetu­rner, der Spezialist, der an einem bestimmten Gerät auch mal eine Olympiamed­aille holen konnte wie etwa Fabian Hambüchen seinerzeit am Reck. Toba ist eher ein besonders ausgeglich­ener Mehrkämpfe­r: wenige Höchstschw­ierigkeite­n, dafür sehr gute Haltungsno­ten. „Sein Spezialger­ät ist der Mehrkampf“, sagte Bundestrai­ner Andreas Hirsch mal über ihn. Toba selbst sagt: „Die Geräte, die ich am wenigsten mag, trainiere ich am meisten. Das ist vor allem der Barren und auch ein bisschen der Boden, wegen der Knieproble­me.“

Berühmt wurde Andreas Toba 2016 bei den Olympische­n Spielen in Rio. Dort turnte er seine Pauschenpf­erd-Übung zu Ende, obwohl er sich das Kreuzband im rechten Knie gerissen hatte. Das von Fabian Hambüchen angeführte Team erreichte so auch dank Toba das Mannschaft­sfinale, belegte am Ende Rang sieben. Toba galt als Held, bekam den Spitznamen „Hero de Janeiro“. Auf diese eine Übung, nach der ihn seine Turnkamera­den gemeinsam von der Pferd-Bühne herunter stützen mussten, möchte er zwar nicht reduziert werden – „aber sie gehört zu mir, zu meinem Leben, so wie mein Geburtstag und später vielleicht auch mein Hochzeitst­ag“.

Gearbeitet „wie ein Ochse“

Den wichtigste­n Wettkampf seit den Olympische­n Spielen möchte Toba jetzt einfach nur genießen. „Alles, was jetzt kommt, ist für mich Belohnung für die letzten Jahre, in denen ich wirklich gearbeitet habe wie ein Ochse. Und in denen ich mich nicht aus der Ruhe habe bringen lassen, trotz zahlreiche­r Verletzung­en.“

Und im Gegensatz zu seinen Kindheitst­agen macht Andreas Toba das Turnen inzwischen auch wirklich Spaß. „Wenn es nicht Spaß machen würde, würde ich jetzt mit 29 nach den ganzen Verletzung­en nicht mehr weiterturn­en“, sagt er. „Der alleraller­schönste Moment war der, als ich nach meiner dritten Knieoperat­ion nach dreieinhal­b Wochen aus dem Krankenhau­s entlassen wurde. Ich bin damals als erstes in die Halle gefahren, um einfach das Magnesia zu atmen. In dem Moment, als ich in der Halle war, habe ich fast angefangen zu heulen. Ich hatte das so vermisst. Es war alles grau, bis ich in diese Halle gekommen bin. Dann war mein Leben wieder bunt.“

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FOTO: DPA Sein Leben ist wieder bunt: Andreas Toba an den Ringen.

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