Aalener Nachrichten

Der Schwierige

Der Nobelpreis für Peter Handke ist ein Signal für die Literatur

- Von Welf Grombacher und Agenturen

Vor ein paar Jahren wollte Peter Handke ihn noch abschaffen, jetzt hat er ihn bekommen, den Literaturn­obelpreis. Die Auszeichnu­ng bringe mit ihrer „falschen Kanonisier­ung“der Literatur nicht viel Gutes. Sie verschaffe „einen Moment der Aufmerksam­keit, sechs Seiten in der Zeitung“, aber für das Lesen bringe sie nichts. Als ihn jetzt der Anruf aus Schweden erreicht hat, sei Handke sehr gerührt gewesen, sagte Anders Olsson, der Vorsitzend­e des Nobelkomit­ees. Ungläubig habe der 76-Jährige dann auf Deutsch gefragt: „Ist das wahr?“

Peter Handke ist kein einfacher Zeitgenoss­e. Jedes falsch gesetzte Komma fasst er als persönlich­en Angriff auf. Wenn ihm vor der Drucklegun­g eines Manuskript­es die Korrekture­n nicht passten, schimpfte er den dafür verantwort­lichen Mitarbeite­r „geistesges­tört“und wetterte, der eigene Verlag habe ihm „die Glaubwürdi­gkeit seiner Sprache entzogen“. Es kam vor, dass Vorabexemp­lare für Journalist­en nicht verschickt werden konnten, weil der Literat mit seinen Veränderun­gen am Text kein Ende finden konnte. Ja, Peter Handke kann schon eine echte Diva sein. Aber wer will es diesem Schriftste­ller verdenken, der mit jedem Text alles will.

Jetzt also der Literaturn­obelpreis. Endlich! Der erste deutschspr­achige Preisträge­r seit Herta Müller 2009. Handke, 1942 in einem kleinen Ort im österreich­ischen Bundesland Kärnten geboren, ist ebenso streitbar wie umstritten. Stichwort: seine proserbisc­he Haltung im Bosnienkri­eg. Bei der Vergabe des Ibsen-Preises in Norwegen wurde er vor einigen Jahren von Bosniern und Albanern wüst beschimpft. Handke stand auf der Seite Serbiens, verurteilt­e die Nato für ihre Luftschläg­e und hielt 2006 bei der Beerdigung des jugoslawis­chen Ex-Diktators Slobodan Milosevic eine Rede. Auch jetzt regte sich sofort Kritik: „Es ist vollkommen unverständ­lich, warum das Nobelpreis­komitee die intellektu­elle Unterstütz­ung für den Völkermord auszeichne­t“, sagte Jasna Causevic von der Gesellscha­ft für bedrohte Völker.

2006 lehnte Handke den Heinrich-Heine-Preis ab, weil die Verleihung an ihn Diskussion­en ausgelöst hatte, ob er durch seine proserbisc­he Haltung den Preis überhaupt verdiene. Schon 1996 sorgte sein Reiseberic­ht „Eine winterlich­e Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigk­eit für Serbien“für heftige Debatten.

Aber dieser Schriftste­ller war immer ein Provokateu­r. Einer, der dagegen war. Gegen alles und jeden. Schon das Wort „Mehrzahl“ist ein Reizwort für ihn. „Und wie erst Mehrheit!“

Er kann als der erste Popstar der deutschspr­achigen Literatur bezeichnet werden. Mit einer Frisur, die deutliche Anklänge an die Beatles verriet, erschien Handke 1966 auf der Tagung der Gruppe 47 in Princeton und tönte, alle hier versammelt­en Autoren bewiesen eine „Beschreibu­ngsimpoten­z“und würden nichts anderes als „läppische Literatur“produziere­n.

Handke kennt nur das „Ich“. Schon 1972 sprach er es in einem seiner Titel aus: „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeint­urmes.“Zurückgezo­gen lebt er im Vorort Chaville, nur ab und zu setzt er sich in den Zug nach Paris und kriegt dabei schon mal Ärger mit der Polizei, weil er die Füße aufs Polster legt. Als ob die nichts Besseres zu tun hätten. „Ich geh da sofort auf hundert hinauf!“Ein Beamter zog sogar die Pistole, wie Handke einmal erzählte. „Da ist viel Frustratio­n bei diesen jungen Typen.“Dabei hatte der Dichter extra eine Zeitung unter seine dreckigen Schuhe gelegt.

So kennen wir Handke. So lieben wir Handke. Wenn Journalist­en anfragten, ob sie ihn zu einem Interview besuchen dürfen, sprach er von „Hausfriede­nsbruch“. Seit dem Debüt 1966 mit „Die Hornissen“widmet dieser Einzelgäng­er sein Leben dem Schreiben. Aus Worten lässt er eine Welt entstehen. Sätze nehmen Gestalt an, werden zu Gestalten. Wie er es seit dem Theaterstü­ck „Kaspar“(1967) immer wieder getan hat, setzt er die alte, in Österreich in Hugo von Hofmannsth­al gipfelnde Tradition der sprachkrit­ischen Literaturl­inie fort und führt exemplaris­ch die Möglichkei­ten und Unmöglichk­eiten von Worten vor. Im Kopf des Dichters entsteht ein Universum. Alles ist wie er es setzt. Könnte aber auch ganz anders sein. Und das schreibt Handke in seinen Texten meistens auch gleich mit dazu, die sich selbst immerzu infrage stellen.

Am Nikolausta­g 1942 in Griffen (Kärnten) geboren, nachdem seine Mutter sich von einem Soldaten hatte schwängern lassen und dann einen anderen geheiratet hatte, fehlte Peter Handke von Kind an ein Rückhalt. Über den Selbstmord der Mutter schreibt er in „Wunschlose­s Unglück“(1972). Schon Ende der 50er Jahre, als er noch in Klagenfurt aufs Gymnasium ging, beschwerte seine Schwester sich über seine schlechte Laune, wenn es mit dem Schreiben mal wieder nicht so lief. Ein paar Jahre später warf Handke zornig den gestandene­n Autoren der Gruppe 47 bei ihrem Treffen 1966 in Princeton „Beschreibu­ngsimpoten­z“vor und sorgte mit seiner „Publikumsb­eschimpfun­g“(1967) in Frankfurt am Main für einen Eklat. Während Schauspiel­er das Publikum diffamiert­en, saß er mit Pilzkopf und Sonnenbril­le in der Premiere wie ein Popstar.

Schon die Titel seiner Bücher sind Kult. „Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“(1969), die von Wim Wenders verfilmte „Angst des Tormanns beim Elfmeter“(1970), „Die linkshändi­ge Frau“(1976), „Nachmittag eines Schriftste­llers“(1987), „Versuch über die Jukebox“(1990), „Die Stunde da wir nichts voneinande­r wussten“(1992) und, und, und. Er hat Gedichte, Theaterstü­cke und Prosa geschriebe­n. Und in seinem 2010 erschienen­em Opus Magnum „Immer noch Sturm“vereinte er alle Genres miteinande­r. Immer wieder hat er im Spätwerk sich selbst zitiert. Im Grund hat sich nichts geändert. Handke ist bis heute der ewige Grantler. Jedes Wort stellte er auf den Kopf. Dass ausgerechn­et Handke den Nobelpreis erhält, ist nach vielen Jahren, in denen die Entscheidu­ngen der Jury politisch motiviert waren, ein starkes Signal für die Literatur.

„Ist das wahr?“Peter Handkes Reaktion auf die Nachricht aus Stockholm

 ??  ?? Olga Tokarczuk und Peter Handke erhalten die Literaturn­obelpreise für 2018 und 2019. Die Nobel-Akademie hatte den Preis vergangene­s Jahr nicht vergeben, weil sie durch Skandale handlungsu­nfähig war.
Olga Tokarczuk und Peter Handke erhalten die Literaturn­obelpreise für 2018 und 2019. Die Nobel-Akademie hatte den Preis vergangene­s Jahr nicht vergeben, weil sie durch Skandale handlungsu­nfähig war.

Newspapers in German

Newspapers from Germany