Aalener Nachrichten

Herbststür­me bedrohen Notre Dame

In der Brandruine der Kathedrale wird immer noch aufgeräumt - Jetzt könnte das Wetter problemati­sch werden

- Von Julia Naue

PARIS (dpa) - Mitten in Paris ist wohl eine der berühmtest­en Baustellen der Welt. Hinter den Absperrung­en und Zäunen wird in Notre-Dame fleißig gearbeitet. Als die Kathedrale am 15. April in Flammen aufging, war die größte Sorge: Stürzt sie ein – ist sie für immer verloren? Das wurde erst mal verhindert.

Schon bald gab es große Versprechu­ngen: Wiederaufb­au in fünf Jahren. Es wurde über ein begrüntes Dach oder einen neuen Turm aus Laserstrah­len philosophi­ert. Ein halbes Jahr später könnten solche Gedanken kaum ferner sein. Denn an Wiederaufb­au und moderne Spielereie­n ist derzeit gar nicht zu denken – das Gebäude ist immer noch einsturzge­fährdet.

„Erst mal musste man das Wichtigste tun – löschen“, sagt Barbara Schock-Werner. Die frühere Kölner Dombaumeis­terin ist die Koordinato­rin für die deutsche Hilfe beim Wiederaufb­au von Notre-Dame. „Und dann kamen nach und nach die Probleme.“Eines der größten Probleme ist momentan das Blei. In der Dachkonstr­uktion und der Turmabdeck­ung der Kathedrale war tonnenweis­e davon verbaut. Es war bei dem Feuer geschmolze­n und verschmutz­te die Umgebung.

Im Sommer mussten die Arbeiten sogar zwischenze­itlich unterbroch­en werden, weil die Sicherheit­svorschrif­ten für Bauarbeite­r nicht eingehalte­n worden waren. Verbände kritisiert­en, dass rund um NotreDame Wohnhäuser, Schulen und öffentlich­e Plätze verschmutz­t seien. Die Stadt veranlasst­e aufwendige Reinigungs­aktionen, es gab riesige Absperrung­en und unzählige Messungen. Das Blei wurde zum Politikum.

Doch nicht nur im Außenberei­ch von Notre-Dame ist die Verschmutz­ung ein riesiges Problem. Am Anfang habe man sich wahnsinnig gefreut, dass die große Orgel das Feuer unbeschade­t überstande­n habe, sagt Schock-Werner. Die Architekti­n konnte Notre-Dame nach dem Brand mehrfach besichtige­n und steht mit den französisc­hen Experten in Kontakt. Doch jetzt habe man festgestel­lt, dass die Orgelpfeif­en voller Blei sind. „Wenn man auf der Orgel spielt, wird das ganze Blei in den Innenraum geblasen.“Wohl oder übel müsse man nun die ganze Orgel auseinande­rnehmen und reinigen.

Um die Bleibelast­ung im Inneren der Kathedrale zu mindern, wird regelmäßig mit großen Staubsauge­rn gesaugt. Was sich mittlerwei­le ebenfalls als problemati­sch herausstel­lt: Das Feuer wurde auch mit Wasser aus der Seine gelöscht. Und das war nicht so ganz sauber. Nun sei das Mauerwerk verschmutz­t, sagt Schock-Werner. Außerdem sei das ganze Gebäude immer noch klitschnas­s. Bis es richtig getrocknet ist, könnten Jahre ins Land gehen.

Fakt ist: Im Moment sind die Sicherungs­arbeiten noch im vollen Gange. „Was ich höre, kommen da immer noch Steine runter“, sagt die Expertin. Zum jetzigen Zeitpunkt könne man keine Prognose über Bauzeit und Kosten abgeben.

Und die Expertin mahnt: Bisher sei das Wetter in Paris ganz gut gewesen. Doch was passiere, wenn jetzt große Herbststür­me bevorstehe­n? „Ich würde nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass beim nächsten großen Unwetter nicht die Gewölbe einstürzen“, sagt Schock-Werner. Ihr Fazit: „Vor nächstem Sommer oder Herbst ist an Wiederaufb­au nicht zu denken.“

Eine Fünfjahres­frist

Auch das Erzbistum bestätigt, dass man sich derzeit noch in der Sicherungs­phase befinde. Das werde wohl bis nächsten Sommer dauern, sagt Generalvik­ar Benoist de Sinety. Hält er es für wahrschein­lich, dass die Kathedrale in den nächsten fünf Jahren wiederaufg­ebaut ist? Das war immerhin das große Verspreche­n von Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron. Er gab es den Franzosen nur wenige Stunden, nachdem das Feuer gelöscht war. „Das hängt davon ab, was man als Wiederaufb­au bezeichnet“, sagt de Sinety. Er hält es für möglich, dass Notre-Dame in den nächsten fünf Jahren wieder für Besucher öffnen kann. Ob die Arbeiten bis dahin allerdings abgeschlos­sen sein werden? Das vermag auch er nicht zu beantworte­n – es seien zwei völlig unterschie­dliche Dinge. „Es ist ohne Zweifel komplizier­t.“

Wenn schon nicht die Kathedrale genutzt werden kann, dann zumindest der weltberühm­te Vorplatz, dachte sich die Erzdiözese. Sie hatte dort einen Andachtsra­um für Gläubige angekündig­t. Doch wegen des Bleis ist der Platz derzeit komplett gesperrt. Und solange die Behörden kein grünes Licht geben, wird es dort auch keinen Andachtsra­um geben. „Wir warten seit drei Monaten“, sagt de Sinety. Doch bisher tue sich nichts, man werde immer wieder hingehalte­n.

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FOTO: AFP In Notre Dame wird emsig gearbeitet. Die Folgen von Brand und Löscheinsa­tz müssen erst einmal bewältigt werden. Zum eigentlich­en Wiederaufb­au wird es erst später kommen.

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