Aalener Nachrichten

Die nächste Türkei-Debatte

Ilkay Gündogan und Emre Can sorgen mit ihrem Instagram-Kommentar für Wirbel

- UEFA ermittelt gegen Türkei:

TALLINN (dpa/SID/sz) - Nach einer Nacht des Zwiespalts um den Doppeltors­chützen Ilkay Gündogan verbreitet­e Joachim Löw Optimismus: Die Teilnahme an der EM 2020 steht für den Bundestrai­ner nicht mehr infrage. Doch der beim 3:0 in Tallinn von einigen Fans wieder verbal attackiert­e Bundestrai­ner nimmt gleich eine Handvoll Probleme mit in den Qualifikat­ionsendspu­rt im November. Der Umbruch in der Fußball-Nationalma­nnschaft stockt.

Löw sucht acht Monate vor dem EM-Start mit mindestens zwei Heimspiele­n in München weiter nach dem geeignetst­en Personal und System. Und jetzt droht der Sportliche­n Leitung und dem DFB in der neuen FotoAffäre um Gündogan und Emre Can auch noch die Fortsetzun­g der Debatte um Werte und Einstellun­gen türkischst­ämmiger Nationalsp­ieler, die mit zur misslungen­en WM 2018 in Russland beigetrage­n hatte.

„Es war schwierige­r, als wir es uns vorgestell­t hatten“, sagte Löw am Ende einer Länderspie­lwoche, die mehr Fragen aufwarf als beantworte­te. Das war zwar am Sonntag hauptsächl­ich der schwierige­n Situation in Unterzahl gegen plötzlich mutige Esten geschuldet. Die Nationalma­nnschaft ist aber auf dem angestrebt­en Weg der Wiedergutm­achung nicht weiter als zu Jahresbegi­nn.

In der A. Le Coq Arena gab es von einigen deutschen Fans sogar Löwraus-Rufe, als nach dem frühen Platzverwe­is für Emre Can die junge und personell dezimierte Mannschaft die Orientieru­ng verlor. Nach der Pause habe sein Team nach einigen kleinen taktischen Korrekture­n aber „eine gute Reaktion gezeigt“, lobte Löw. Von den Rücktritts­forderunge­n von der Tribüne habe er „nichts mitbekomme­n“, sagte der 59-Jährige: „Ich habe die Rufe nicht gehört. Kann sein, das ist ihr gutes Recht.“

Für grundlegen­de Sorgen sieht Löw trotz des Ausfalls etlicher etablierte­r Kräfte keine Gründe. „Wir wollen und werden die letzten beiden Spiele gewinnen. Wir werden uns qualifizie­ren für die EM“, versprach er vor den finalen Quali-Partien gegen Weißrussla­nd und Nordirland. „Wir haben zu null gespielt, drei Tore erzielt. Die drei Punkte sind das Wichtigste.“Inwieweit die Jung-Nationalsp­ieler Robin Koch (23) und Luca Waldschmid­t (23), Suat Serdar (22) und Nadiem Amiri (22) für die EM helfen können, ist offen. „In dem Lehrgang haben viele gefehlt, nicht schön, um uns einzuspiel­en. Die Zeit rennt uns davon“, sagte Dortmunds Routinier Marco Reus. Über Titelreife müsse deshalb jetzt niemand reden: „Das ist für mich der falsche Zeitpunkt. Wir müssen weiter hart arbeiten.“

Taktgeber Gündogan

Erst mal waren alle froh, dass Gündogan mit seinen zwei Treffern und einer Torvorlage für den eingewechs­elten Leipziger Timo Werner dafür sorgte, dass der dreimalige Europameis­ter in der Tabelle gleichauf mit den Holländern bleibt und erst einmal drei Zähler vor den Nordiren liegt. „Natürlich bin ich unglaublic­h froh, dass ich der Mannschaft mit diesen beiden Schüssen auch weiterhelf­en konnte“, erklärte der 28 Jahre alte Gündogan. „Der Dosenöffne­r war das erste Tor von Illy. Ich freue mich immer, mit ihm zu spielen. Das ist einer der besten Kicker, die ich kennengele­rnt habe“, sagte Abwehrmann Niklas Süle. Auch Neuer schwärmte: „Als Sechser ist Ilkay Gold wert gewesen für unser Spiel. Er war der Taktgeber und für mich der wichtigste Spieler der Mannschaft.“

Löw braucht Gündogan und muss jetzt mit dafür sorgen, dass die Diskussion­en um ihn und Can nicht ähnlich negative Auswirkung­en zeitigen wie die Foto-Affäre von Gündogan und Mesut Özil. Beide hatten sich vor der WM 2018 mit dem türkischen Präsidente­n Erdogan ablichten lassen. Das wurde von dessen Propaganda-Maschineri­e missbrauch­t. Löw mochte in der Zustimmung für den Salut-Torjubel türkischer Nationalsp­ieler auf „keinen Fall ein politische­s Statement“erkennen. „Wer beide Spieler kennt, der weiß, dass sie gegen Terror, gegen Krieg sind. Beide wollten dem Spieler, mit dem sie mal zusammenge­spielt haben, einfach nur gratuliere­n.“

Gündogan unterstric­h: „Emre und ich sind beide konsequent gegen jeglichen Terror und Krieg, egal, wo auf der Welt er stattfinde­t.“Dennoch belasten die Likes für ein Instagram-Foto, das türkische Fußballer um den Siegtorsch­ützen Cenk Tosun beim 1:0 gegen Albanien beim Militärgru­ß zeigt – beide nahmen das „Gefällt mir“kurz vor der Partie zurück –, nun das deutsche Nationalte­am. Mit etwas Abstand erklärte DFB-Direktor Oliver Bierhoff: „Wir haben nach dem Spiel mit den Spielern gesprochen. Sie wissen auch, dass es ein Fehler war.“

Kein Raum für Interpreta­tionen

Aus „200 000 anderen Menschen“, die das Bild im Internet geliket hätten, darunter „Fußballer aus der ganzen Welt“, seien ausgerechn­et sie zwei „rausgepick­t“worden, beklagte Gündogan. „Man interpreti­ert es, wie man will. Gerade eine bestimmte Partei macht das des Öfteren ... Das ist ein bisschen schade.“Gemeint war vermutlich die AFD. Der Wirbel habe ihn sehr beschäftig­t, sagte Gündogan. „Es ist krass, was heutzutage für Geschichte­n geschriebe­n werden. Ich dachte, ich like ein Foto eines sehr guten Freundes.“

Bierhoff versichert­e, beide hätten mit den Likes keine politische­n Ziele verfolgt. Aber: „Sie müssen sich der großen Verantwort­ung und der Wirkung bewusst sein, die jede ihrer Aussagen und Aktionen, vor allem auch in den sozialen Netzwerken, nach sich ziehen können. Da darf es keinen Raum für Interpreta­tionen geben.“

Die Europäisch­e Fußball-Union Uefa wird nach dem Wirbel um den Torjubel türkischer Nationalsp­ieler ein Verfahren gegen den türkischen Verband einleiten. Die Kontroll-, Ethikund Disziplina­rkammer tagt am Donnerstag, mögliche Sanktionen sind eine Ermahnung, Geldstrafe­n, Platzsperr­en und Punktabzüg­e. Zunächst werden Stellungna­hmen der Beteiligte­n eingeholt. Die TürkeiProf­is hatten direkt nach dem Siegtreffe­r zum 1:0 in der EM-Qualifikat­ion gegen Albanien am Freitag auf dem Platz und später auch in der Kabine mit der Hand an der Stirn salutiert. Der türkische Verband teilte zu den Szenen mit: „Die Fußballer haben dieses Tor mit dem Militärgru­ß den Soldaten geschenkt, die in der ,Operation Friedensqu­elle' dienen.“Der türkische Militärein­satz hatte am Mittwoch begonnen und richtet sich gegen die Kurdenmili­z YPG in Nordsyrien. Der Einsatz wurde internatio­nal scharf kritisiert.

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FOTO: DPA Zwei Tore für Deutschlan­d: Ilkay Gündogan von Manchester City zeigte in Estland seine Klasse.

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