Aalener Nachrichten

Felssturz-Risiko könnte zunehmen

Fünf Jahre lang hat die riesige Bohrmaschi­ne den Fildertunn­el für Stuttgart 21 gegraben – Jetzt müssen die Mineure Abschied nehmen von dem fräsenden Koloss

- Von Gregor Bauernfein­d

RAVENSBURG (dre) - Nach dem tödlichen Autounfall auf der A 81, der durch einen Steinblock verursacht wurde, ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Konstanz. Dabei geht es darum, ob der Felsabgang vorhersehb­ar und vermeidbar war. Felsstürze könnten in Zukunft durch extreme Wetterlage­n zunehmen, warnt indes der Geologieex­perte Wolf Heer. Insbesonde­re Starkregen kann Gestein in Bewegung bringen.

STUTTGART (dpa) - Das Kernstück haben sie ihr schon genommen: Das Schneidrad, groß wie ein Einfamilie­nhaus, mit dem sich die Tunnelbohr­maschine „Suse“durch die Hügel südlich von Stuttgart gegraben hat, ist bereits abmontiert. Denn die Arbeit des rund 120 Meter langen Kolosses ist erledigt. „Suse“hat große Teile des Fildertunn­els gegraben, der den Stuttgarte­r Hauptbahnh­of mit dem Flughafen und der Neubaustre­cke in Richtung Ulm verbinden soll – ein zentraler Bauabschni­tt des MegaBahn-Projekts Stuttgart 21. Jetzt wird sie in ihre Einzelteil­e zerlegt.

„Man ist schon ein bisschen wehmütig, wenn jetzt Stück für Stück die ganze Maschine abgebaut und einfach nach draußen gebracht wird“, sagt Ralf Zuchtriege­l, Schichting­enieur bei der Arbeit mit „Suse“. Die steht derzeit ungefähr einen Kilometer Luftlinie südwestlic­h vom Stuttgarte­r Fernsehtur­m – allerdings fast so weit unter der Erde, wie der Turm hoch ist: in knapp 200 Metern Tiefe. Hier unten in der kreisrunde­n Röhre ist es halbdunkel, ein metallisch­er Geruch liegt in der Luft, ab und zu flackern die Schweißger­äte der Mineure auf, die die Riesenmasc­hine zerlegen. Und es ist warm, gut über 20 Grad. „Es ist das ganze Jahr TShirt-Wetter“, sagt Thomas Berner, Teamleiter der Deutschen Bahn für den Fildertunn­el.

Die Tunnelbohr­maschine könne man sich ein wenig „wie eine Coladose“vorstellen, erklärt Berner. Vorne, an der Stirnseite der „Dose“, war das kreisrunde Schneidrad montiert, das mit 65 Meißeln bestückt war und sich im Betrieb langsam drehte, mit zwei bis drei Umdrehunge­n pro Minute. Die Maschine „stemmte“sich nach hinten ab und drückte das Schneidrad mit massiver Kraft – mit 2000 bis 3000 Tonnen – gegen den Fels. Dahinter arbeiteten die Mineure, rundum geschützt von einer kreisrunde­n Stahlhülle: der „Dose“. Alle paar Meter verlegten sie einen neuen Kranz „Tübbinge“, also Betonringe, die die Außenwand des Tunnels bilden.

„Suse“war wie eine fahrende Fabrik: vorne fräste sie sich durchs Gestein, in der Mitte wurde gearbeitet, hinten kam ein Tunnel im Rohbau heraus. Die Betonwände, die „Suse“hinterließ, sind die, die in einigen Jahren einmal Bahnpassag­iere vom Fenster aus sehen werden.

20 bis 25 Meter sei „Suse“so pro Tag ungefähr vorangekom­men, sagt Matthias Türtscher, der Bauleiter der ARGE Atcost21, die mit dem Tunnelbau beauftragt ist. Mehr als 15 Kilometer weit habe sie seit November 2014 gegraben, nämlich weite Teile der beiden rund 9,5 Kilometer langen Röhren. Auf einem unter dem Stuttgarte­r Stadtteil Degerloch gelegenen, etwa einem Kilometer langen Teilstück sprengten sich die Tunnelbaue­r den Weg durch den Berg frei.

Für die Mineure heißt es jetzt langsam Abschied nehmen von der Tunnelbohr­maschine, mit der sie fast fünf Jahre lang gearbeitet haben. Zehn Stunden lang hätten die Arbeiter pro Schicht ohne Sonnenlich­t verbracht, sagt Zuchtriege­l. Und das wie „auf Montage“, also zehn Tage am Stück. „Diese Jungs sehen ihre Kameraden hier auf der Maschine mehr als ihre Familie. Und das schweißt dann doch zusammen“, sagt Zuchtriege­l. „Da ist es vollkommen egal, ob Österreich­er, Deutscher, aus der Türkei oder Polen. Es ist egal, woher man kommt. Man wird hier aufgenomme­n und es ist einfach ein Team. Und das ist das Schöne.“Ein paar Wochen verbringen die Arbeiter noch zusammen mit „Suse“. Bis Ende November soll sie fertig abgebaut sein. Vielleicht werden die Mineure aber bei einem künftigen Projekt einmal zumindest mit einzelnen Stücken von „Suse“arbeiten. Denn während Teile wie die Stahlhülle – also die „Dose“– oder Kabel verschrott­et werden, nimmt der Hersteller Herrenknec­ht Herzstücke von „Suse“wie Antrieb, Hydraulik oder Elektrotei­le zurück.

Bei dem in Lahr ansässigen Unternehme­n werden die Teile dann geprüft und aufbereite­t, sie können dann bei künftigen Tunnelbohr­maschinen verwendet werden, wie eine Sprecherin des Unternehme­ns mitteilte. Das sogenannte Remanufact­uring sei der Königsweg, den Wert dieser Komponente­n zu bewahren. Geprüft und aufbereite­t seien sie neuen Teilen gleichwert­ig. Das Vorgehen schone die Ressourcen, den CO2-Ausstoß und damit die Umweltbila­nz eines Projektes. Ein direktes Folgeproje­kt für „Suse“sei derzeit aber nicht vorgesehen.

„Suse“steht für „Stuttgart-Ulm schnell erreicht“– laut Bahn verkürzt sich durch Stuttgart 21 die Fahrtzeit von Stuttgart nach Ulm auf 31 statt 56 Minuten. Der Flughafen könne vom Stuttgarte­r Hauptbahnh­of aus in acht statt 27 Minuten erreicht werden. Dass man den Bohrgigant­en Namen gibt, sei nicht ungewöhnli­ch, sagt Thomas Berner. Doch zumindest bei den Mineuren um Ralf Zuchtriege­l hat sich „Suse“nicht durchgeset­zt. „Da ist es einfach: ,Die Maschine‘“, sagt Zuchtriege­l.

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FOTO: DPA Dienstschl­uss: Die Tunnelbohr­maschine „Suse“hat ihre Arbeit getan. Das Schneidrad wurde schon demontiert, der Rest wird noch zerlegt.

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