„Der nächste Megatrend ist Afrika“
Entwicklungsminister Gerd Müller über billige Jeans, arme Kaffeebauern und den Neubau Hunderter Kohlekraftwerke
FRIEDRICHSHAFEN - In Deutschland ist der Klimaschutz das TopThema – während die Menschen in vielen Teilen der Welt dringend billige Energie benötigen. „Wenn auf der Basis von Kohle jeder afrikanische und indische Haushalt Zugang zu Strom bekommt, sind tausend weitere Kohlekraftwerke nötig“, warnt Entwicklungsminister Gerd Müller. Der CSU-Politiker fordert deswegen eine Investitionsoffensive für erneuerbare Energien in Afrika. Auch die Textilbranche, die in einigen afrikanischen und asiatischen Ländern stark vertreten ist, will Müller zu einer nachhaltigeren Produktion bewegen – mit dem neuen Siegel „Grüner Knopf“. Ulrich Mendelin hat mit ihm gesprochen.
Das Textilsiegel Grüner Knopf ist jetzt auf dem Markt. Wie ist das Projekt angelaufen?
Gut. Die ersten Produkte sind bereits im Handel. 27 Unternehmen sind bereits dabei, darunter auch acht aus Baden-Württemberg – Unternehmen wie Vaude, Trigema oder Lidl, aber auch kleinere Start-Ups wie 3 Freunde aus Konstanz. Auch Boss möchte mitmachen. Seit dem Start haben sich 100 weitere Unternehmen bei uns gemeldet.
Und was hat die Näherin in Kenia oder Äthiopien davon?
Die Produktionskette für Kleidung beginnt meist in einem Entwicklungsland, auf dem Baumwollfeld oder in den Textilfabriken in Bangladesch oder Äthiopien. Dort arbeiten weltweit 75 Millionen Menschen, vor allem Frauen, unter schwierigsten Umständen: 25 Cent Stundenlohn, 14 Stunden am Tag, Sechs-TageWoche, kein Arbeitsschutz, kein Schutz für Schwangere. Und das, damit die Jeans möglichst billig für fünf Dollar produziert werden kann. Mit dem Grünen Knopf ändern wir das. Die Firmen verpflichten sich soziale und ökologische Mindeststandards umzusetzen: Verbot gesundheitsgefährdender Chemikalien, Bau von Kläranlagen, feste Arbeitsverträge mit geregelten Arbeitszeiten und Zahlung des festgeschriebenen Mindestlohns. Die Jeans wird dadurch im Einkauf nur um einen Euro teurer – von fünf auf sechs Euro. Auf den Verkaufspreis in Deutschland hat das fast keine Auswirkungen. Aber für die Näherinnen macht das alles einen riesigen Unterschied.
Sie haben gerade zwei neue Fonds für Investitionen in Afrika aufgelegt. Wieso können das nicht private Banken leisten?
Im Augenblick laufen die globalen Investitionsströme in Richtung Asien. Aber der nächste Megatrend für Investitionen ist Afrika. Dazu müssen wir jetzt Brücken bauen, insbesondere für deutsche Mittelständler: Die Hermes-Risikoabsicherung haben wir bereits verbessert, also die Ausfallbürgschaften für Investitionen. Wenn ein Mittelständler sagt, er investiert fünf Millionen Euro etwa in den Aufbau einer Mangosaftfabrik, dann braucht er Investitionsund Rechtssicherheit. Deshalb versichert der Bund solche Anfangs-Investitionen.
Investitionen und Wachstum heißen nicht unbedingt, dass Arbeitsplätze geschaffen werden ...
... aber es ist die Voraussetzung. Die Wertschöpfung muss langfristig in den Produktketten in Afrika stattfinden. Beispiel Kaffee: Die Bohnen werden in Afrika für einen Hungerlohn geerntet. Von einem Kilo Kaffee, das hier in Friedrichshafen acht bis zehn Euro kostet, erhalten die Bauern nur 50 Cent. Warum werden die Bohnen nicht vor Ort geröstet, verarbeitet und der Kaffee marktgerecht angeboten? Dann würde Wertschöpfung in den afrikanischen Ländern stattfinden, und das schafft Arbeitsplätze.
Das Geld aus Ihren Fonds ist konkret daran gebunden, dass Arbeitsplätze geschaffen werden?
Ja, das ist genau das Ziel. Diese Fonds richten sich ganz besonders an mittelständische Unternehmen und Erfolgsbranchen mit gewaltigem Investitionsbedarf. Dazu gehört der Energiesektor. Afrika ist der Kontinent der erneuerbaren Energien. Deutschland hat die Technologie, die wir mit staatlicher Unterstützung dorthin bringen wollen. Und da ist der gesamte Bereich Bau und Infrastruktur. Das Investitionsvolumen wird in den nächsten zehn Jahren auf dem afrikanischen Kontinent so groß sein, wie in Europa in den vergangenen 100 Jahren: Straßen, Kanalisation, Wasser, Krankenhäuser, Schulen, Wohnungen für eine wachsende Bevölkerung. Deutsche Unternehmen sollten hier dabei sein.
Derzeit bauen in Afrika vor allem die Chinesen ...
Die Chinesen haben die Zeichen der Zeit längst erkannt. Sie sichern sich die Ressourcen des Kontinents und investieren in Infrastruktur. In Europa sollten wir erkennen, dass es höchste Zeit ist, Afrika als Investitionsstandort zu entwickeln.
Energiemangel ist ein großes Thema in Afrika. Viele Staaten planen deswegen neue Kohlekraftwerke. Was bedeutet das für das Klima?
950 Kohlekraftwerke sind in den Entwicklungsund Schwellenländern derzeit in Planung oder Bau. Und das ist erst der Anfang: Wenn auf der Basis von Kohle jeder afrikanische und indische Haushalt Zugang zu Strom bekommt, sind tausend weitere Kohlekraftwerke nötig. Deswegen müssen wir eine Investitionsoffensive für erneuerbare Energien starten. Deutschland kann das allein nicht leisten. Deswegen sage ich: Brüssel muss seine Hausaufgaben machen. Weg von einem auf Subventionen gerichteten Haushalt. Der EU-Haushalt muss ein Investitionshaushalt werden, auch für Investitionen in Afrika.
Sind Sie enttäuscht von ihrer ehemaligen Kabinettskollegin Ursula von der Leyen, dass es auch in der künftigen EU-Kommission, anders als von Ihnen gefordert, keinen eigenen EU-Afrika-Kommissar geben wird?
Nein. Die neue Kommissarin für internationale Partnerschaften, Jutta Urpilainen wurde damit beauftragt, Afrika ganz oben auf die Agenda zu setzen und einen EU-Afrika-Vertrag vorzubereiten. Sie ist sozusagen die europäische Telefonnummer für Afrika. Wahrscheinlich wird dieser Vertrag während der deutschen Ratspräsidentschaft abgeschlossen. Investitionen sind dabei ein wichtiges Thema.
Sie sind viel in Afrika unterwegs. In wieweit ist dort der Klimawandel im Bewusstsein präsent und die Notwendigkeit, etwas dagegen zu unternehmen? Oder ist Armutsbekämpfung das einzig dominierende Thema?
In den 54 afrikanischen Ländern gibt es sehr unterschiedliche Bedingungen. Aber wenn ich in Armut ohne Arbeitsplatz jeden Tag überlege, wie ich überleben soll, dann spielt eine Klimadebatte, wie sie in Deutschland geführt wird, zunächst einmal keine große Rolle. Deshalb geht der Weg leider auch in Richtung Kohlenutzung, die verfügbar und billig ist. Hier müssen wir ansetzen und den Afrikanern andere Wege aufzeigen: Nutzung von Sonne, Wind und Wasser.
Haben Sie den Eindruck, die politischen Entscheidungsträger in Afrika haben ein Bewusstsein für die Notwendigkeit, erneuerbare Energien auszubauen?
In Deutschland stoßen wir jedes Jahr zehn Tonnen CO2 pro Kopf aus, die Afrikaner im Durchschnitt eine. Aber die Afrikaner leiden am meisten unter den Auswirkungen der Klimakatastrophe. 20 Millionen Menschen mussten bereits aus Dürreregionen fliehen, weil sie ihre Lebensgrundlage verloren haben, weil Pflanzen und Tiere sterben. Und diesen Klimaschock verursachen nicht die Afrikaner, sondern wir, die Industrieländer. Deswegen sind auch wir gefordert, die Afrikaner bei der Einführung erneuerbaren Energien und neuen, klimaangepassten Anbaumethoden zu unterstützen.