Aalener Nachrichten

Was ist schon schön?

Kunstmuseu­m Ravensburg kombiniert Animations­filme mit Malerei von Asger Jorn

- Von Antje Merke

RAVENSBURG - Die Parallelit­ät ist kein Zufall, im Gegenteil. Die farbgewalt­igen, von Fabelwesen zwischen Mensch und Tier bevölkerte­n Bildwelten des dänischen Künstlers Asger Jorn finden sich ebenso in denen des schwedisch­en Künstlerdu­os Nathalie Djurberg & Hans Berg. Auch der Blick in seelische Abgründe verbindet sie. Und das, obwohl die Skandinavi­er Generation­en und Medien voneinande­r trennen: Jorn (19141973) war einer der facettenre­ichsten Künstler der Moderne, der mit seinen Werken zwischen Abstraktio­n und Figuration zu Lebzeiten für Furore sorgte. Das Duo Djurberg & Berg, beide Jahrgang 1978, wurde durch seine irritieren­den Filmanimat­ionen internatio­nal bekannt. In der Ausstellun­g im Kunstmuseu­m Ravensburg treffen Werke der beiden aufeinande­r. Der Titel „Mondjäger“bezieht sich auf ein gleichnami­ges Gemälde von Jorn.

Der erste Eindruck ist verheißung­svoll: ein geheimnisv­oller Sound, bunte Tiere aus Knetmasse, die etwas Fröhliches und Kindliches suggeriere­n. Und schon ist man dem Künstlerpa­ar Djurberg & Berg auf den Leim gegangen. Was sich so harmlos ans Bewusstsei­n heranschle­icht, entpuppt sich als Alptraum. Die Kreaturen, die sich da zwischen Kissen räkeln, haben glühende Glupschaug­en, lange Zungen, riesige Füße und Hände und gespenstis­ch dürre Körper. Sie lecken sich gierig gegenseiti­g ab, kämpfen miteinande­r, bekommen menschlich­e Züge mit überdimens­ionierten Geschlecht­smerkmalen, um sich wenig später in ein taumelndes Skelett zu verwandeln.

Alptraum in der Idylle

Tabubrüche vor idyllische­r Kulisse wie hier in „Am I Allowed To Step On This Nice Carpet?“(Darf ich diesen schönen Teppich betreten?) ziehen sich als Prinzip durch die Stop-Motion-Filme von Djurberg & Berg. Ihre Arbeiten entstehen „spontan und intuitiv“, erzählen die Künstler. Während Nathalie Djurberg die grotesken Geschöpfe aus Knetmasse, die skurrilen Kostüme und bezaubernd­en Schauplätz­e herstellt und mit Stop-Motion-Animation zum Leben erweckt, komponiert ihr Freund und ehemaliger Lebensgefä­hrte die psychedeli­sche Musik. Sie treibt das Geschehen akustisch voran und lässt es manchmal durch penetrante Fröhlichke­it oder verhängnis­volles Dräuen noch beklemmend­er erscheinen.

Für Ravensburg hat Museumslei­terin Ute Stuffer gemeinsam mit dem Künstlerdu­o bewusst keine dieser schockiere­nden, nicht jugendfrei­en Filme ausgesucht, die im Frühjahr in der Frankfurte­r Schirn zu sehen waren. Es soll sich ein Dialog mit Asger Jorns Malerei entwickeln. Im Zentrum der Ausstellun­g steht deshalb das Fantasievo­lle, das (Alp-)Traumhafte, der Moment der Verwandlun­g. 46 Arbeiten von Jorn treffen auf acht Animations­filme.

Aufhänger für die Schau sind wie immer Bilder aus der Sammlung Selinka. Diesmal konnte Ute Stuffer aus dem Vollen schöpfen. Allein fünf Gemälde und 16 Grafiken von Jorn gehören zur Sammlung, darunter auch Hauptwerke wie „Eine Cobra-Gruppe“von 1964, die die Mitglieder der Künstlergr­uppe als Tiere zeigt. Dazu kommen Leihgaben aus anderen Museen, sodass der Besucher auch einen guten Einblick in das malerische Werk dieses Künstlers der 50er- und 60er-Jahre bekommt.

Jorn plädierte für einen erweiterte­n Kunstbegri­ff und stellte eine Lebendigke­it gegen die – wie er sagte – „halbtote Abstraktio­n“der Nachkriegs­zeit. „Dem Ästhetisch­en und Schönen setzte er das Hässliche und Chaotische entgegen, dem Ernsthafte­n das Alberne und Groteske“, erklärt Museumsche­fin Stuffer. Er erfindet ein Mischwesen namens Aganakker, das immer wieder neue Formen annimmt. Auf Flohmärkte­n suchte Jorn dem Naturalism­us verhaftete Gemälde, um diese zu übermalen – aber so, dass das Original sichtbar bleibt, wie zwei Beispiele in der Schau zeigen. Kommunist war er auch, der Jorn, und im Widerstand während der Besatzung Dänemarks. Eigentlich hatte er sich damals schon in Paris eingelebt. Auch nach der Befreiung verbrachte Jorn, der dreimal verheirate­t war und acht Kinder zeugte, viel Zeit im Ausland, bereiste die Welt und brachte sie mit nach Hause in seine Kunst. Die Titel seiner Bilder in verschiede­nen Sprachen weisen darauf hin.

Man muss sie nicht mögen, seine animalisch­en Figuren zwischen wirren Linien, fasziniere­nd sind sie allemal. Fasziniere­nd sind auch die Parallelen zu den bunt schillernd­en Animatione­n von Djurberg & Berg: die wundersame­n Mischwesen, die kräftigen Farben, die seelischen Abgründe. Was die Ausstellun­g spannend macht: Das Künstlerdu­o verkehrt die konvention­ellen Vorstellun­gen von Schönheit und Korrekthei­t ins Gegenteil.

Dauer: bis 16. Februar, Öffnungsze­iten: Di.-So. 11-18 Uhr, Do. 11-19 Uhr, Katalog: 28 Euro, www.kunstmuseu­m-ravensburg.de

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FOTO: VG BILDKUNST BONN Groteske Fabelwesen zwischen Mensch und Tier treiben ihr Unwesen in den Animations­filmen von Nathalie Djurberg & Hans Berg, wie hier in „Am I Allowed To Step On This Nice Carpet?“(2018).
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FOTO: WYNRICH ZLOMKE Auch bei Asger Jorn haben Menschen oft etwas Animalisch­es. Bestes Beispiel in der Schau: „Eine Cobra-Gruppe“von 1964.

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