Finanzskandal im Kirchenstaat
Vatikan soll Spenden in riskante Geschäfte investiert haben
ROM - Ein neuer Finanzskandal erschüttert den Vatikan. Es geht um rund 650 Millionen Euro, die dem Papst vor allem durch den jährlich in aller Welt eingesammelten Peterspfennig für karitative Zwecke und die Finanzierung des Klerus zur Verfügung gestellt werden. Doch dieses Geld soll vom Staatssekretariat des Kirchenstaates für dubiose Transaktionen genutzt worden sein. Das fand der auf Vatikaninterna spezialisierte Journalist Emanuele Fittipaldi vom italienischen Wochenmagazin „Espresso“heraus. Das Magazin beruft sich auf Unterlagen der vatikanischen Staatsanwaltschaft, nach denen gegen Kirchenmitarbeiter wegen Veruntreuung, Betrugs, Amtsmissbrauchs und Geldwäsche ermittelt wird.
Der Fall reicht ins Jahr 2012 zurück. Damals wurde der italienische Finanzier Raffaele Mincione beauftragt, für den damaligen Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone ein Geschäft in Höhe von 200 Millionen Dollar in die Wege zu leiten. Das Geld stammte aus dem Geheimfonds des Staatssekretariats.
Die große Summe sollte zunächst in die Co-Finanzierung einer Ölplattform in Angola fließen. Doch wegen des schwankenden Ölpreises wurde der Plan verworfen. Stattdessen schlug Mincione Bertones Mitarbeiter Fabrizio Tirabassi, der vom „Espresso“als federführender Mann im Staatssekretariat des Vatikans für dieses Geschäft bezeichnet wird, vor, das Geld in den Fonds seiner Luxemburger Holding WRM einfließen zu lassen. Mit dem Geld sollte der Vatikan auf diese Weise Miteigentümer einer großen Immobilie in der Sloan Avenue in London werden. In dem ehemaligen Lagergebäude sollten Luxuswohnungen entstehen. Mincione garantierte dem Vatikan eine hervorragende Rendite.
Doch die Arbeiten kamen nicht voran, und schließlich erwarb das Staatssekretariat Ende 2018 die gesamte Immobilie. Für diese Transaktion war Edgar Pena Parra verantwortlich, ein enger Vertrauter von Papst Franziskus und seit August 2018 im Staatssekretariat des Vatikans verantwortlich für die laufenden Geschäfte.
Auf der Londoner Immobilie liegt allerdings, wie „Espresso“nachweist, eine Hypothek. Um die streichen zu lassen, brauchte Pena Parra rund 150 Millionen Euro. Und so wandte sich der Erzbischof an die Vatikanbank IOR. Sie sollte das Geld an das Staatssekretariat überweisen. Doch der Generalsekretär der Bank, Gian Franco Mammì, wollte wissen wofür es bestimmt sei. Mammì erhielt keine klare Antwort, und erstattete Anzeige bei der Justizbehörde des Vatikans. Die begann vor Kurzem mit ihren Ermittlungen.
Keine Besserung nach Vatileaks?
Der Fall wirft ein schlechtes Licht auf das Finanzwesen des Kirchenstaates. Anscheinend, so der investigative Journalist Fittipaldi, „hat sich seit den Jahren von Vatileaks, ein Skandal, der zum Rücktritt von Benedikt XVI. geführt hat, nichts verändert“. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Staatssekretariat anscheinend immense Finanzmittel bei Credit Suisse geparkt zu haben scheint. Fittipaldi zufolge geht es um rund 500 Millionen Euro. Geld, das, so der Journalist, in undurchsichtigen Finanzaktionen zum Einsatz komme.
Eigentlich dürfte sich das Staatssekretariat nicht um Immobilieninvestitionen kümmern. Die 1988 von Johannes Paul II. verabschiedete Verfassung des Kirchenstaates „Pastor Bonus“schreibt in Artikel 172 ausdrücklich vor, dass nur die vatikanische Behörde APSA für den Kauf und Verkauf von Immobilien zuständig ist. Doch die Realität sieht anders aus.
2014 hatte Kardinal George Pell versucht, die Finanzmittel des Staatssekretariats transparenter zu machen. Pell war damals Präfekt des Wirtschaftssekretariats, das von Papst Franziskus damit beauftragt war, die Finanzen des Vatikans zu ordnen, um neue Finanzskandale zu verhindern. In der katholischen Zeitung „Catholic Herald“sprach Pell damals von geheimen Geldern in Höhe von 1,3 Milliarden Euro. Doch Pell musste aufgrund des Vorwurfs von Pädophilie zurücktreten, und niemand anderes klagte fortan die undurchsichtigen Finanzgeschäfte des Staatssekretariats an.
Der neue Finanzskandal im Kirchenstaat wirft erneut die Frage auf, ob es Papst Franziskus schaffen wird, das Staatssekretariat unter seine Kontrolle zu bringen. Benedikt XVI. war das nicht gelungen.
Der Vatikan selbst teilte offiziell bisher nur mit, dass am 1. Oktober Büros im Staatssekretariat und bei der vatikanischen Finanzaufsicht durchsucht und Unterlagen sowie Computer beschlagnahmt worden seien.