DGB besorgt über AfD-Zustimmung bei Gewerkschaftern
Mitbestimmung und Fünf-Tage-Woche: Der Deutsche Gewerkschaftsbund feiert seinen 70. Geburtstag
BERLIN (AFP) - Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, ist beunruhigt über die große Zustimmung zur AfD unter Gewerkschaftsmitgliedern. „Dass leicht überproportional viele Gewerkschaftsmitglieder AfD wählen, besorgt mich natürlich“, sagte Hoffmann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe vor dem Festakt zum 70-jährigen Bestehen des DGB am heutigen Montag in Berlin. Das Erstarken des Rechtsradikalismus sei eine Herausforderung für die Gewerkschaften.
BERLIN - Für einen 70-Jährigen ist das Geburtstagskind erstaunlich fit. Das Sprichwort, wonach Totgesagte länger leben, gilt auch für die Gewerkschaften und ihren Dachverband DGB. Der feiert an diesem Montag sein Jubiläum mit Kanzlerin Angela Merkel als Festrednerin.
Im Oktober 1949 wählen 487 Vertreter von 16 Gewerkschaften Hans Böckler zum ersten DGB-Vorsitzenden. Der ist eine der treibenden Kräfte beim Wiederaufbau der Arbeitnehmerorganisationen. Ihn und seine Mitstreiter leitet die Mahnung von Wilhelm Leuschner. Der Gewerkschafter hat einen Tag vor seiner Hinrichtung durch die Nazis 1944 Mitgefangene ermahnt: „Morgen werde ich hingerichtet, schafft die Einheit.“
Der Sozialdemokrat Leuschner war sich mit dem christlichen Gewerkschafter Jakob Kaiser (später CDU-Bundesminister) und anderen verfolgten Gewerkschaftern einig: Der Aufstieg der Nazis war nicht zuletzt deshalb möglich, weil die Arbeitnehmerschaft gespalten war in parteipolitische Richtungsgewerkschaften und die wiederum in Standesorganisationen für Arbeiter, Angestellte und Beamte. Deshalb ist allen beim Neustart klar: Diese Spaltung ist zu überwinden. Die im DGB zusammengeschlossenen Organisationen sehen sich als Einheitsgewerkschaften: parteipolitisch unabhängig und weltanschaulich neutral. Die Gründung vor 70 Jahren ist somit keine bloße Wiederbelebung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), sondern etwas historisch Neues.
Der DGB ist aber wie der ADGB sozialdemokratisch geprägt. Erst zu Beginn dieses Jahrhunderts lockern sich aufgrund der Agenda-Politik von Gerhard Schröder die historisch engen Beziehungen zur SPD nachhaltig. Hans Böckler kann und will dies so 1949 noch nicht umsetzen. Der Gründungskongress beschließt ein Programm, das dem Kurs der SPD nahesteht (Demokratisierung der Wirtschaft). Aber die Mehrheiten im Bundestag sind andere. Deshalb sucht der DGB statt der Konfrontation eher den Konsens, was Konflikte nicht ausschließt. Dies wird sein Markenzeichen bis in die heutige Zeit.
Auch deswegen kann sich schon früh die „beeindruckende Erfolgsgeschichte der Sozialpartnerschaft“(Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer) zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden herausbilden. Der Nachkriegsboom begünstigt dies. Diese Partnerschaft bewährt sich vor allem in der Finanzkrise nach 2008. Seither zerbröselt sie, weil nur noch 30 Prozent der Betriebe unmittelbar der Tarifbindung unterliegen.
Dieter Schulte, der als DGB-Chef die Kanzler Kohl und Schröder erlebte, stellt zum Geburtstag fest: „Es ist viel erreicht worden. Wenn die Gewerkschaften nicht wären, würde die Arbeitswelt anders aussehen.“Denn: „Vieles, was heute selbstverständlich erscheint, ist von den Gewerkschaften errungen wurden.“
Der DGB zählt zu den ersten großen Erfolgen der letzten 70 Jahre die Montanmitbestimmung, die Böckler 1951 Kanzler Adenauer mit Streikandrohungen abgerungen hat, und das Betriebsverfassungsgesetz. Zu den Erfolgen gehören auch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die Einführung der Fünf-Tage-Woche. Nie wieder waren der DGB und seine Gewerkschaften mit einer Kampagne so erfolgreich wie Ende der 1950er-Jahre mit dem Slogan „Samstag gehört Vati mir“.
70 Jahre Deutscher Gewerkschaftsbund sind aber keine reine Erfolgsgeschichte. Tief sitzt der Schmerz um den Neue-HeimatSkandal (1982). Europas größter Wohnungsbaukonzern, im Besitz der Gewerkschaften, ging aufgrund von Missmanagement und Größenwahn in den Ruin. Auf der Minusseite zu verbuchen ist auch die Entwicklung der Mitglieder.
Digitalisierung, Globalisierung und Klimaschutz verändern die Arbeitswelt. Der amtierende DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann ist überzeugt: „Gewerkschaften sind im 21. Jahrhundert genauso wichtig wie in ihrer Gründungsphase. Es geht darum, gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit in Deutschland und Europa sicherzustellen.“