Aalener Nachrichten

Das Vertrauen ist verspielt

- Von Sebastian Borger politik@schwaebisc­he.de

In der Nacht zum Sonntag ging bei der EU in Brüssel zum dritten Mal ein Verlängeru­ngsantrag Großbritan­niens ein – Folge der Abstimmung im Unterhaus, mit der der chaotische Austritt („No Deal“) endgültig vom Tisch ist. Boris Johnson hatte sich mit Händen und Füßen gegen die Maßgabe des Parlaments gewehrt. Der Londoner Öffentlich­keit versuchten die PR-Leute Johnsons einzureden, der Premiermin­ister habe sein Gesicht gewahrt, indem er das offizielle Schreiben nicht unterzeich­nete. Unsinn, sagen die Experten: Der Antrag ist rechtsgült­ig und muss nun von den 27 Partnern geprüft werden.

Die Episode beleuchtet schlaglich­tartig das Niveau, auf dem sich britische Politik derzeit abspielt. Rhetorisch­e Kniffe, alberne Verfahrens­tricks, eine fünfwöchig­e Zwangspaus­e fürs Parlament, die der Supreme Court für null und nichtig erklärte: Der Leiter der Minderheit­sregierung hat alles dafür getan, jegliches Zutrauen in seine Verlässlic­hkeit zu verspielen. Die erneute Abstimmung­sniederlag­e war dafür die Quittung.

Wahr bleibt hingegen auch, was Theresa May, Johnsons glücklose Vorgängeri­n, den Mandatsträ­gern ins Stammbuch schrieb: Immer nur gebetsmühl­enartig die bekannten Argumente für und wider den Brexit vorzutrage­n, bringt niemanden voran. Wer den „No Deal“verhindern will, muss früher oder später einem Deal zustimmen. Vor dem Parlament demonstrie­rten erneut Hunderttau­sende für eine zweite Volksabsti­mmung und damit für den EU-Verbleib. Tatsächlic­h will eine Gruppe von Abgeordnet­en ihre Zustimmung zu dem Austrittsp­aket an ein zweites Referendum knüpfen. Ob es dafür eine Mehrheit gibt, ist fraglich. Und den Umfragen zufolge hat das Wahlvolk seine Meinung nicht geändert.

Der Opposition bleibt bald nur eine Alternativ­e: Entweder sie stürzt Johnson und installier­t einen Übergangsp­remier, der eine Neuwahl oder das Referendum organisier­t. Oder sie stimmt einer Neuwahl zu. Europa kann einstweile­n nur Geduld zeigen – und die Briten ein wenig bemitleide­n für die Blockade ihrer Politiker.

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