Das Vertrauen ist verspielt
In der Nacht zum Sonntag ging bei der EU in Brüssel zum dritten Mal ein Verlängerungsantrag Großbritanniens ein – Folge der Abstimmung im Unterhaus, mit der der chaotische Austritt („No Deal“) endgültig vom Tisch ist. Boris Johnson hatte sich mit Händen und Füßen gegen die Maßgabe des Parlaments gewehrt. Der Londoner Öffentlichkeit versuchten die PR-Leute Johnsons einzureden, der Premierminister habe sein Gesicht gewahrt, indem er das offizielle Schreiben nicht unterzeichnete. Unsinn, sagen die Experten: Der Antrag ist rechtsgültig und muss nun von den 27 Partnern geprüft werden.
Die Episode beleuchtet schlaglichtartig das Niveau, auf dem sich britische Politik derzeit abspielt. Rhetorische Kniffe, alberne Verfahrenstricks, eine fünfwöchige Zwangspause fürs Parlament, die der Supreme Court für null und nichtig erklärte: Der Leiter der Minderheitsregierung hat alles dafür getan, jegliches Zutrauen in seine Verlässlichkeit zu verspielen. Die erneute Abstimmungsniederlage war dafür die Quittung.
Wahr bleibt hingegen auch, was Theresa May, Johnsons glücklose Vorgängerin, den Mandatsträgern ins Stammbuch schrieb: Immer nur gebetsmühlenartig die bekannten Argumente für und wider den Brexit vorzutragen, bringt niemanden voran. Wer den „No Deal“verhindern will, muss früher oder später einem Deal zustimmen. Vor dem Parlament demonstrierten erneut Hunderttausende für eine zweite Volksabstimmung und damit für den EU-Verbleib. Tatsächlich will eine Gruppe von Abgeordneten ihre Zustimmung zu dem Austrittspaket an ein zweites Referendum knüpfen. Ob es dafür eine Mehrheit gibt, ist fraglich. Und den Umfragen zufolge hat das Wahlvolk seine Meinung nicht geändert.
Der Opposition bleibt bald nur eine Alternative: Entweder sie stürzt Johnson und installiert einen Übergangspremier, der eine Neuwahl oder das Referendum organisiert. Oder sie stimmt einer Neuwahl zu. Europa kann einstweilen nur Geduld zeigen – und die Briten ein wenig bemitleiden für die Blockade ihrer Politiker.