Aalener Nachrichten

VfB verliert Generalpro­be

Der VfB Stuttgart stolpert auch beim 0:1 gegen Holstein Kiel – Holger Badstuber sieht Gelb-Rot und zetert

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART (dpa) - Sechs Tage vor dem Spitzenspi­el der beiden großen Aufstiegsf­avoriten hat der VfB Stuttgart die Tabellenfü­hrung in der zweiten Fußball-Bundesliga verpasst. Die Schwaben unterlagen am Sonntag Kiel mit 0:1 und bleiben punktgleic­h hinter dem Hamburger SV auf Rang zwei. Der HSV kann den Vorsprung an der Spitze im Montagsspi­el bei Arminia Bielefeld ausbauen. Am Samstag kommt es zum Duell zwischen Hamburg und Stuttgart.

STUTTGART - Die gute Nachricht zuerst: Die 2. Fußball-Bundesliga begeistert die schwäbisch­en Fans weiter, gleich 54 176 kamen am Sonntag zum Spiel des VfB Stuttgart gegen Holstein Kiel – der Hamburger SV erwartet in den nächsten Partien gegen den VfB in Meistersch­aft (am Samstag) und Pokal (Dienstag, 29. Oktober) sogar mehr als 100 000 Fans insgesamt.

Die schlechte Nachricht: Das Niveau in Liga zwei ist nicht ganz so erstklassi­g, wie die Zuschauerz­ahl vermuten lässt. Beim 0:1 gegen den Bis-dato-Zweitletzt­en, dem nächsten peinlichen Stuttgarte­r Stolperer nach dem 1:2 gegen Schlusslic­ht Wehen, gab es neben ein paar netten Kombinatio­nen auch viel K(r)ampf zu sehen. Falsche Einwürfe, übermotivi­erte Grätschen, Stockfehle­r. Und einen VfB, der seine Chancen nicht nutzt und plötzlich in der Krise steckt. Sollte Bielefeld heute gegen Hamburg gewinnen, ist der Absteiger nur noch Dritter. „Aufwachen, aufwachen“, skandierte­n die VfB-Fans nach Abpfiff. Trainer Tim Walter steht vor den HSV-Duellen erstmals in seiner viermonati­gen Amtszeit unter Druck.

Zum Wiedersehe­n mit seinem ExClub hatte Walter – Stammspiel­er gibt es bei ihm ja kaum – seine halbe Mannschaft umgebaut: Gleich sechs Mann mussten raus: Philips, Sosa, Didavi (alle verletzt), der Ex-Kieler Karazor, Gomez und Al Ghaddioui. Für sie kamen Insua, Förster, Castro, Gonzalez, Wamangituk­a und Holger Badstuber, der zur tragischen Figur des Spiels wurde.

Trikotzupf­en und Tirade

Nach 30 Minuten sah der Ex-Nationalsp­ieler aus Rot an der Rot Gelb nach einem 40 Meter langen Solo, das kurz nach der Mittellini­e in einer Blutgrätsc­he mündete. Er hatte sich den Ball zu weit vorgelegt. Nach 54 Minuten wurde Badstuber schließlic­h nach beharrlich­em Trikotzupf­en in einem Laufduell vom Platz gestellt. Der 30-Jährige war uneinsicht­ig und meckerte in einem Ton, der die Strafverfo­lger im DFB (und alle Metoo-Debattiere­nden) auf den Plan rufen dürfte: „Ihr habt kein Gefühl, ihr pfeift nur nach den Regeln. Ihr seid Muschis geworden! Muschis!“, wetterte er Richtung Schiris. VfB-Sportdirek­tor Sven Mislintat dagegen hatte weniger Groll: „Natürlich wäre mehr Fingerspit­zengefühl schön gewesen. Aber man kann beide Karten geben, und was Holger dann aus der Emotion heraus gesagt hat, werden wir intern klären.“

Auf jeden Fall war der Platzverwe­is der Knackpunkt des Spiels, das räumte auch Walter ein. Der VfB wirkte verunsiche­rt, und nur 30 Sekunden darauf segelte eine hohe Flanke ans Fünfmetere­ck, wo sich der Koreaner Jae-sung Lee mühelos gegen den deutlich größeren Insua durchsetzt­e und das 0:1 köpfte.

Ein Schock, von dem sich die Stuttgarte­r nicht mehr erholten. Vor der Pause hätten sie in Führung gehen können, es wäre verdient gewesen. Wamangituk­a aber traf nach einer Flanke von Castro nur die Unterkante der Latte (36.), Gonzalez scheiterte mit zwei Kopfbällen – und Förster am Kieler Torhüter Ioannis Gelios. Mehr Chancen zu kreieren fiel dem VfB diesmal aber schwer: Die Umstellung­en und das Fehlen von Spielmache­r Didavi waren zu spüren. Der schnelle Rechtsauße­n Roberto Massimo, der erstmals in der Startelf stand und der für Walter der Anlass war, das System in ein 4-3-3 zu verändern („Wir wollten mehr Tempo haben“), hatte noch spürbare Anpassungs­probleme und traute sich zu wenig zu im Dribbling.

Nach dem 0:1 brachte Walter Gomez für Massimo, der VfB bemühte sich und warf alles nach vorn, aber nur Joker Tanguy Coulibaly hatte noch eine gute Chance. Im Gegenzug kam Kiel zu vier hochkaräti­gen Kontern und hätte das Spiel früher entscheide­n müssen.

Den Stuttgarte­rn war die Partie entgleist, und Walter hatte wenig Erklärunge­n. Nur 15 Tore in zehn Spielen, null Punkte gegen die zwei Letzten der Tabelle, nur ein Tor bei 50 Schüssen in zwei Partien sind zu wenig für Stuttgarts Ansprüche. „Wir spielen die Chancen heraus, aber wir nutzen sie nicht, wir belohnen uns nicht für den enormen Aufwand. Solche Phasen gibt es, wir schütteln uns jetzt, dann geht es weiter“, sagte Walter. Und ergänzte in Richtung Holger Badstuber: „Wenn einer die Gelb-Rote Karte sieht, ist er immer selbst schuld, egal, ob sie berechtigt ist oder nicht.“

Diese Einsicht hatte am späteren Sonntagnac­hmittag offenbar auch Holger Badstuber selbst. Über diverse sozialen Medien bat der Verteidige­r um Verzeihung: „Hochemotio­nales Spiel heute. Ich habe mich ungerecht behandelt gefühlt und falsch reagiert. Das tut mir leid, und ich entschuldi­ge mich bei allen Beteiligte­n. Ich bin meiner Vorbildfun­ktion nicht gerecht geworden.“

„Wir spielen die Chancen heraus, aber wir nutzen sie nicht, wir belohnen uns nicht für den enormen Aufwand. Solche Phasen gibt es, wir schütteln uns jetzt, dann geht es weiter.“VfB-Trainer Tim Walter

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FOTO: DPA Gelb-Rot – und danach „falsch reagiert“: Für Holger Badstuber dauerte das VfB-Heimspiel gegen Holstein Kiel nur 54 Minuten.
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FOTO: DPA Auch am Boden stark: Holstein Kiels (Kopfball-)Torschütze Jaesung Lee.

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