VfB verliert Generalprobe
Der VfB Stuttgart stolpert auch beim 0:1 gegen Holstein Kiel – Holger Badstuber sieht Gelb-Rot und zetert
STUTTGART (dpa) - Sechs Tage vor dem Spitzenspiel der beiden großen Aufstiegsfavoriten hat der VfB Stuttgart die Tabellenführung in der zweiten Fußball-Bundesliga verpasst. Die Schwaben unterlagen am Sonntag Kiel mit 0:1 und bleiben punktgleich hinter dem Hamburger SV auf Rang zwei. Der HSV kann den Vorsprung an der Spitze im Montagsspiel bei Arminia Bielefeld ausbauen. Am Samstag kommt es zum Duell zwischen Hamburg und Stuttgart.
STUTTGART - Die gute Nachricht zuerst: Die 2. Fußball-Bundesliga begeistert die schwäbischen Fans weiter, gleich 54 176 kamen am Sonntag zum Spiel des VfB Stuttgart gegen Holstein Kiel – der Hamburger SV erwartet in den nächsten Partien gegen den VfB in Meisterschaft (am Samstag) und Pokal (Dienstag, 29. Oktober) sogar mehr als 100 000 Fans insgesamt.
Die schlechte Nachricht: Das Niveau in Liga zwei ist nicht ganz so erstklassig, wie die Zuschauerzahl vermuten lässt. Beim 0:1 gegen den Bis-dato-Zweitletzten, dem nächsten peinlichen Stuttgarter Stolperer nach dem 1:2 gegen Schlusslicht Wehen, gab es neben ein paar netten Kombinationen auch viel K(r)ampf zu sehen. Falsche Einwürfe, übermotivierte Grätschen, Stockfehler. Und einen VfB, der seine Chancen nicht nutzt und plötzlich in der Krise steckt. Sollte Bielefeld heute gegen Hamburg gewinnen, ist der Absteiger nur noch Dritter. „Aufwachen, aufwachen“, skandierten die VfB-Fans nach Abpfiff. Trainer Tim Walter steht vor den HSV-Duellen erstmals in seiner viermonatigen Amtszeit unter Druck.
Zum Wiedersehen mit seinem ExClub hatte Walter – Stammspieler gibt es bei ihm ja kaum – seine halbe Mannschaft umgebaut: Gleich sechs Mann mussten raus: Philips, Sosa, Didavi (alle verletzt), der Ex-Kieler Karazor, Gomez und Al Ghaddioui. Für sie kamen Insua, Förster, Castro, Gonzalez, Wamangituka und Holger Badstuber, der zur tragischen Figur des Spiels wurde.
Trikotzupfen und Tirade
Nach 30 Minuten sah der Ex-Nationalspieler aus Rot an der Rot Gelb nach einem 40 Meter langen Solo, das kurz nach der Mittellinie in einer Blutgrätsche mündete. Er hatte sich den Ball zu weit vorgelegt. Nach 54 Minuten wurde Badstuber schließlich nach beharrlichem Trikotzupfen in einem Laufduell vom Platz gestellt. Der 30-Jährige war uneinsichtig und meckerte in einem Ton, der die Strafverfolger im DFB (und alle Metoo-Debattierenden) auf den Plan rufen dürfte: „Ihr habt kein Gefühl, ihr pfeift nur nach den Regeln. Ihr seid Muschis geworden! Muschis!“, wetterte er Richtung Schiris. VfB-Sportdirektor Sven Mislintat dagegen hatte weniger Groll: „Natürlich wäre mehr Fingerspitzengefühl schön gewesen. Aber man kann beide Karten geben, und was Holger dann aus der Emotion heraus gesagt hat, werden wir intern klären.“
Auf jeden Fall war der Platzverweis der Knackpunkt des Spiels, das räumte auch Walter ein. Der VfB wirkte verunsichert, und nur 30 Sekunden darauf segelte eine hohe Flanke ans Fünfmetereck, wo sich der Koreaner Jae-sung Lee mühelos gegen den deutlich größeren Insua durchsetzte und das 0:1 köpfte.
Ein Schock, von dem sich die Stuttgarter nicht mehr erholten. Vor der Pause hätten sie in Führung gehen können, es wäre verdient gewesen. Wamangituka aber traf nach einer Flanke von Castro nur die Unterkante der Latte (36.), Gonzalez scheiterte mit zwei Kopfbällen – und Förster am Kieler Torhüter Ioannis Gelios. Mehr Chancen zu kreieren fiel dem VfB diesmal aber schwer: Die Umstellungen und das Fehlen von Spielmacher Didavi waren zu spüren. Der schnelle Rechtsaußen Roberto Massimo, der erstmals in der Startelf stand und der für Walter der Anlass war, das System in ein 4-3-3 zu verändern („Wir wollten mehr Tempo haben“), hatte noch spürbare Anpassungsprobleme und traute sich zu wenig zu im Dribbling.
Nach dem 0:1 brachte Walter Gomez für Massimo, der VfB bemühte sich und warf alles nach vorn, aber nur Joker Tanguy Coulibaly hatte noch eine gute Chance. Im Gegenzug kam Kiel zu vier hochkarätigen Kontern und hätte das Spiel früher entscheiden müssen.
Den Stuttgartern war die Partie entgleist, und Walter hatte wenig Erklärungen. Nur 15 Tore in zehn Spielen, null Punkte gegen die zwei Letzten der Tabelle, nur ein Tor bei 50 Schüssen in zwei Partien sind zu wenig für Stuttgarts Ansprüche. „Wir spielen die Chancen heraus, aber wir nutzen sie nicht, wir belohnen uns nicht für den enormen Aufwand. Solche Phasen gibt es, wir schütteln uns jetzt, dann geht es weiter“, sagte Walter. Und ergänzte in Richtung Holger Badstuber: „Wenn einer die Gelb-Rote Karte sieht, ist er immer selbst schuld, egal, ob sie berechtigt ist oder nicht.“
Diese Einsicht hatte am späteren Sonntagnachmittag offenbar auch Holger Badstuber selbst. Über diverse sozialen Medien bat der Verteidiger um Verzeihung: „Hochemotionales Spiel heute. Ich habe mich ungerecht behandelt gefühlt und falsch reagiert. Das tut mir leid, und ich entschuldige mich bei allen Beteiligten. Ich bin meiner Vorbildfunktion nicht gerecht geworden.“
„Wir spielen die Chancen heraus, aber wir nutzen sie nicht, wir belohnen uns nicht für den enormen Aufwand. Solche Phasen gibt es, wir schütteln uns jetzt, dann geht es weiter.“VfB-Trainer Tim Walter