Grüne jubeln in der Schweiz
SVP verliert 3,6 Prozent, bleibt aber stärkste Kraft
BERN (dpa) - Mit dem Thema Klimawandel haben die Schweizer Grünen bei der Parlamentswahl am Sonntag selbst die kühnsten Vorhersagen übertroffen. Nach ersten Hochrechnungen überholten sie mit 13 Prozent eine der vier Regierungsparteien. Die Grünen wären damit viertstärkste Kraft. Verlierer war nach der vorläufigen Hochrechnung des Umfrageinstituts gfs.bern die rechtskonservative SVP mit minus 3,6 Prozentpunkten. Sie bleibt aber stärkste Kraft, wohl mit 25,8 Prozent. In der großen Kammer, dem Nationalrat, dürften die Grünen nach der Hochrechnung 16 Sitze dazugewinnen und kämen auf 27 Sitze. Die Grünliberalen kämen mit zusätzlich acht Sitzen auf 15 Sitze. Die SVP müsste elf Sitze abgeben, die Sozialdemokraten und die liberale FDP je vier. Die konservativsten Fraktionen von SVP und FDP büßen demnach ihre absolute Mehrheit von 101 der 200 Nationalratssitze ein.
GENF - In der Schweizer Politik werden in den nächsten vier Jahren die Grünen deutlich stärker vertreten sein als bisher. Bei den Parlamentswahlen am Sonntag verzeichneten die zwei grünen Parteien laut ersten Hochrechnungen des Schweizer Fernsehens satte Zugewinne. Die Grünen können demnach ihren Anteil bei den Wahlen zur großen Parlamentskammer auf knapp 13 Prozent steigern. Bei den letzten Wahlen 2015 erzielten die Grünen noch rund sieben Prozent.
Auch die Grünliberalen (GLP) verbreitern ihre Basis auf fast acht Prozent. Vor vier Jahren holte die GLP knapp fünf Prozent. Trotz vieler ähnlicher Forderungen verstehen sich die beiden grünen Kräfte als Konkurrenten. Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) muss ersten Ergebnissen zufolge hingegen Verluste von mehr als drei Prozentpunkten hinnehmen.
Das Erstarken der Grünen und der Grünliberalen lässt sich auf die glogrößten bale Umweltkrise zurückführen: Die Erderwärmung rückt auch in der Schweiz in den Vordergrund. Die Einwohner des Alpenlandes können die verheerenden Folgen der steigenden Temperaturen mit eigenen Augen verfolgen. Gletscher schmelzen ab, die Schneegrenze rückt nach oben und somit verändert sich das Gesicht der Berge dramatisch.
Wie viele Parlamentssitze an die grünen Parteien fallen, war zunächst noch unklar. Das alle vier Jahre gewählte Parlament der Eidgenossen setzt sich aus der großen Kammer, dem Nationalrat, und der kleinen Kammer, dem Ständerat, zusammen. Die 200 Nationalräte und die 46 Ständeräte werden im Dezember zu einem ihrer wichtigsten Termine zusammenkommen – sie werden eine neue Regierung wählen.
Falls die Grünen ihre starke Position tatsächlich behaupten können, werden sie einen Sitz in der siebenköpfigen Regierung, dem Bundesrat, reklamieren. Noch besteht die Regierung gemäß dem Prinzip der Konkordanz aus Repräsentanten der vier Parteien: Der SVP, den Sozialdemokraten, der liberalen FDP und der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP). Laut Hochrechnungen verloren Sozialdemokraten und FDP Stimmen, die CVP legte leicht zu.
SVP bleibt stärkste Kraft
Die SVP bleibt voraussichtlich mit rund 26 Prozent stärkste politische Kraft der Schweiz. Gegenüber ihrem Rekordergebnis von mehr als 29 Prozent bei den letzten Nationalratswahlen 2015 büßte die Volkspartei aber viel Unterstützung ein. Traditionell hatte die SVP in ihrem Wahlkampf 2019 wieder auf Angst gesetzt – vor einem zu starken Einfluss der „zentralistischen“Europäischen Union, die das Nichtmitglied Helvetien am Gängelband führen will, und der Angst vor Masseneinwanderung. Die SVP schürte ebenso die Furcht vor einem wirtschaftlichen Abschwung: „Unternehmen und Länder ruinieren sich in guten Zeiten“, sagte der SVPÜbervater Christoph Blocher, der selbst ein Milliardenvermögen angehäuft hat. Und Blochers Tochter, Magdalena Martullo-Blocher, eine SVP-Nationalrätin und Firmenchefin, warnte vor einer „Rezession“.
Doch konnte die SVP nicht so stark wie früher punkten. Ein Grund: Den meisten Schweizern geht es wirtschaftlich gut. Die Arbeitslosenquote liegt stabil bei etwas über zwei Prozent. Das SVP-Ergebnis lässt sich zudem auch an Personen festmachen. Der inzwischen 79-jährige Christoph Blocher machte die Partei einst groß: Der Sohn eines Pfarrers begeisterte große Teile des Volks mit seinen Auftritten, seinem derben Humor und seinem Freund-Feind-Denken.
Doch inzwischen hat er sich weit zurückgezogen – einen Nachfolger mit ähnlich folkloristischem Appeal hat die SVP noch nicht hervorgebracht.