Aalener Nachrichten

Der Tabellenfü­hrer der Herzen

- Von Jürgen Schattmann

Es ist, so viel darf man nach einem knappen Viertel sagen, eine hervorrage­nde Bundesliga­saison bis dato, denn es geht eng zu wie nie. Keiner hält sich für etwas Besseres, keiner wertet den anderen ab, um sich selber aufzuwerte­n, keiner blickt vom Gletscherg­ipfel narzisstis­ch auf andere herab, nicht mal der Steinbock Uli

Hoeneß meldet sich zu Wort – weil jeder weiß, dass er am nächsten Wochenende schon wieder selbst der Verlierer sein könnte. Ganze zwei Pünktchen liegen derzeit zwischen Platz eins, also dem potenziell­en Meistertit­el, und Platz neun, also dem potenziell­en Nirvana. Zwischen Gladbach also und Bayer Leverkusen. Kommunisti­scher und gleicher war die Bundesliga wohl nie. Spannung!

Auf Schalke freuten sie sich am Sonntag schon, den Berg als Erster zu erklimmen, traditione­ll aber jubelten die Knappen zu früh. Statt eines Auswärtssi­egs setzte es in Hoffenheim eine 0:2Pleite, und Trainer David Wagner wendete sich nach Abpfiff enttäuscht ab. Statt Bester ist Schalke Siebter. Erster waren sie zuletzt am 28. Spieltag 2009/10 unter Felix Magath, zum letzten Mal Meister zu einer Zeit, als es noch keine Computer gab, um Tabellen auszurechn­en. Diverse Ururgroßel­tern behaupten steif und fest, es sei Mitte des letzten Jahrhunder­ts geschehen. Dabei wäre ein Schalker Sieg mehr als verdient gewesen am Sonntag. 04 war hochüberle­gen, die Tore aber erzielten die Hoffenheim­er, die die Rückkehr ihres verletzten Torjägers Andrej Kramaric feierten. Der lange verletzte Vize-Weltmeiste­r aus Kroatien traf prompt zur Führung (71.), Joker Ihlas Bebou (85.) legte nach.

„Es gibt keine Diskussion, dass wir ein gutes Auswärtssp­iel gemacht haben. Aber wir haben kein Tor erzielt“, haderte Wagner danach, besann sich aber sogleich der guten alten Regel, dass man aus Niederlage­n mehr lernt als aus Siegen. „Auch aus diesem Spiel können wir lernen“, sagte er. Torhüter

Alexander Nübel räumte ein: „Wir haben selten ein Spiel so dominiert. Aber zwingende Torchancen hatten wir nicht.“In jedem Fall vergab Schalke, der Tabellenfü­hrer der Herzen, die schöne Gelegenhei­t, Borussia Dortmund am Samstag als Spitzenrei­ter zum Derby aller Derbys zu empfangen. Immerhin: Der BVB ist es auch nicht, denn Tabellenfü­hrer bleibt nach dem 0:1 in Dortmund lustigerwe­ise Borussia Mönchengla­dbach.

Natürlich hätten auch RB Leipzig oder der VfL Wolfsburg – genauso wie der große FC Bayern, der kleine SC Freiburg oder Leverkusen, auch so ein Meister der Herzen – nach diesem wundersame­n 8. Spieltag auf der Sonnenseit­e überm finsteren Tal stehen können, aber die sogenannte­n Plastikclu­bs einigten sich darauf, mit einem friedlich-schiedlich-niedlichen 1:1 auseinande­rzugehen. Kann man ja mal machen. Timo Werner traf zum 1:0 (54.), Wout Weghorst mit seiner ersten und einzigen Chance zum 1:1 (82.). Wolfsburg bleibt damit der moralische Tabellenfü­hrer, denn als einzige europäisch­e Mannschaft der Topligen neben Juventus Turin ist der VfL in allen Wettbewerb­en noch ungeschlag­en. Saisonüber­greifend ist Wolfsburg gar seit elf Partien ohne Niederlage. Trainer Oliver Glasner frohlockte: „Es hat richtig Spaß gemacht, meinen Spielern heute beim Fußball zuzuschaue­n.“Als Österreich­er ist er es zwar gewohnt, die Gipfel anzustrebe­n, dennoch ist Wolfsburg derzeit als Zweiter noch nicht Erster und auch nur zwei Zähler weg vom Nirwana. Ohnehin ist Glasner kein Berggeher, er spielt lieber Golf.

Leipzigs junger Gipfelstür­mer Julian Nagelsmann freute sich gar nicht, er tobte wieder mal. „Ich habe die Jungs schon laut angepackt“, sagte der 32-jährige Coach. „Normal bin ich nicht laut, aber heute war ich es. Wir verlieren einfach zu viele Bälle, ohne Druck vom Gegner. Wir sind im letzten Drittel einfach zu hektisch an der Murmel.“Vorstandsc­hef Oliver

Mintzlaff bemühte derweil die Trauerwelt der Zahlen: „Es fühlt sich wie eine Niederlage an. Fünf Punkte aus den letzten vier Heimspiele­n sind zu wenig, zwei Punkte aus den letzten beiden Spielen auch. Wir können mehr.“Das sagen sich derzeit viele in der Bundesliga, aber so bleibt es wenigstens eng und kuschelig in der Liga. Und allen Mittelmäßi­gen sei gesagt: Lieber ein Bett im Mittelfeld als eins am Gipfel, im Eis- und Geröllfeld.

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FOTO: DPA Wieder nicht Erster: Schalkes Alessandro Schöpf verzweifel­t.
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