Aalener Nachrichten

Der ewige Mahner ist tot

Erhard Eppler, Denker, Vordenker und Querdenker, ist im Alter von 92 Jahren verstorben

- Von Sabine Lennartz

Nicht nur für seine Partei, sondern für die gesamte Bundespoli­tik fungierte er viele Jahre als Vordenker: Unter Bundeskanz­ler Willy Brandt legte der SPDPolitik­er Erhard Eppler (Foto: Peter Frischmuth) die Grundlagen für eine moderne Entwicklun­gshilfe, bereits in den 1970er-Jahren engagierte er sich für Umweltschu­tz, bevor er in den 1980er-Jahren seine Stimme in der Friedensbe­wegung erhob. Im Alter von 92 Jahren ist der gebürtige Ulmer am Samstag in Schwäbisch Hall gestorben.

BERLIN - Er war ein leiser Mahner und ein brillanter Denker. Ein Mann, der zurückhalt­end auftrat und doch so viel zu sagen hatte. Erhard Eppler, SPD-Urgestein und früherer Entwicklun­gsminister, ist im Alter von 92 Jahren in seiner Wahlheimat Schwäbisch Hall gestorben. Wer den gebürtigen Ulmer in den letzten Jahren sah, traf auf einen fast zarten alten Herrn mit einem ungewöhnli­chen Bart, der etwas schwer hörte – aber sich seinen jugendlich­en Geist bewahrt hatte. Mehr noch, seine Leidenscha­ft, für eine bessere Welt zu streiten. „Ihrem Mann war die Fähigkeit gegeben, politische Zusammenhä­nge zu erklären und über den Tag hinaus zu denken“, schreibt Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier der Frau Erhard Epplers zum Tod ihres Mannes, mit dem sie über 60 Jahre verheirate­t war und vier Kinder hatte. Steinmeier würdigt Epplers „hohes Verständni­s von politische­r Moral, das sich aus seinem christlich­en Glauben speiste und stets Richtschnu­r seines Handelns war.“

Eppler war der letzte noch lebende Minister aus dem Kabinett Kurt Georg Kiesingers (CDU), der ihn 1968 als Minister für wirtschaft­liche Zusammenar­beit berief. In diesem Amt blieb er in der Regierung Willy Brandts und auch noch kurze Zeit unter Helmut Schmidt. 1974 aber trat er aus Protest gegen zu starke Kürzungen in seinem Ministeriu­m zurück. Mit Schmidt verband Eppler, der immer ein Vertreter des linken Parteiflüg­els war, nur wenig. „Für den war Ökologie eine Marotte gelangweil­ter Mittelstan­dsdamen“, sagte Eppler einmal der „Schwäbisch­en Zeitung“, „für mich ist es die Aufgabe für das 21. Jahrhunder­t“. Der Macher Helmut Schmidt wiederum erinnerte gerne daran, dass Eppler noch nie Wahlen gewonnen habe.

Der Denker Eppler aber war mit seinen Themen oft seiner Zeit voraus. Seine Kabinettsk­ollegen soll er mitunter mit seiner eindringli­chen Art genervt haben. Der Gymnasiall­ehrer Eppler war nicht nur schwäbisch, sondern auch zutiefst gläubig. Dass er aber ein schwäbisch­er Pietist sei, Herbert Wehner hatte ihn einmal „Pietcong“genannt, ließ er nicht gelten. Der schwäbisch­e Pietismus war ihm zu eng, er kam aus einem liberalen protestant­ischen Haus und dachte in anderen Dimensione­n.

Von 1973 bis 1981 war er Landesvors­itzender der SPD in BadenWürtt­emberg, und schon 1979 schwor Erhard Eppler einen SPDLandesp­arteitag auf den Ausstieg aus der Atomenergi­e ein. Ein Jahr später kamen die Grünen trotzdem in den Stuttgarte­r Landtag, und in seiner eigenen Partei sahen ihn manche damals nur als übertriebe­nen Idealisten. Oder als eine Art Kassandra, wie Gesine Schwan einmal feststellt­e. In den Rang eines Visionärs wurde er erst später erhoben. Egon Bahr hat deshalb mal über Eppler gesagt: „Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben auch.“

Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n würdigt, dass Eppler schon sehr früh Wege vorgezeich­net habe, die letztlich zur Gründung der Grünen führten. Er habe wie kaum ein anderer die Ökologie als notwendige­s Themenfeld in die Politik eingeführt. „Ende oder Wende“hieß damals sein Bestseller zu einer neuen Umweltpoli­tik, verbunden mit der Mahnung zu einer ernst gemeinten Armutsbekä­mpfung in der Dritten Welt. Der Nord-Süd Ausgleich lag Eppler am Herzen. „Er war als mutiger Kämpfer und brillanter Denker seiner Zeit voraus, und ich beziehe mich heute noch auf seine Vorschläge eines gerechten Interessen­ausgleichs zwischen Nord und Süd und Arm und reich“, sagt der heutige Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU).

Der Friedensak­tivist

Seine größte Karriere macht Eppler eigentlich, als er nicht mehr in der aktiven Politik war, sondern in den 1980er-Jahren Gesicht des Bürgerprot­ests wurde. Als Friedensak­tivist wandte er sich gegen die Raketensta­tionierung in Mutlangen.

Erhard Eppler war immer ein überzeugte­r Europäer. Europa war für ihn vor allem eine Kulturgeme­inschaft. „Wenn die Politik wieder die Oberhand gewinnen soll, dann kann das nur europäisch gelingen“, war sein Credo. Europa müsse von einem Europa des Wettbewerb­s zu einem Europa der Solidaritä­t zurückkehr­en. Dazu gehörte für ihn auch ein gutes Verhältnis zu Russland. Wenn er als „Putin-Versteher“beschimpft wurde, störte ihn dies nicht. „Wer in der Politik nicht verstehen will, muss hassen. Das sind die Alternativ­en. Und hassen ist das Schlimmste, was man tun kann, auch als Politiker“, sagte er in einem Interview der Schwäbisch­en Zeitung. 2014 kritisiert­e er im Zuge der Krim-Krise den harten Kurs des Westens gegen Russland und warnte vor einer Verteufelu­ng Putins.

Fast 20 Jahre lang, von 1973 bis 1992, war er Vorsitzend­er der SPDGrundwe­rtekommiss­ion. Der Geist von Erhard Eppler wurde oft beschworen. Und sein Rat immer dann gefragt, wenn schwierige ethische Fragen zu beantworte­n waren. Etwa, ob es besser ist zuzuschaue­n, wenn Afghanista­n in mittelalte­rliche Strukturen zurückfäll­t oder man militärisc­h eingreifen soll.

Eppler überrascht­e häufig. So auch, als er 1999 für den Einsatz der Bundeswehr auf dem Balkan warb. Auf dem SPD-Parteitag in Bonn, der über das Mandat abstimmen sollte, sprang er dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder zur Seite. Eppler trat für das deutsche Engagement ein, denn er meinte, dass die Flüchtling­e nur militärisc­h gesichert in ihre Gebiete zurückging­en. „Milosevic selbst hat die internatio­nalen Truppen im Kosovo erzwungen“, sagte Eppler damals. Er bat seine Partei, den „tragischen Konflikt“auszuhalte­n, in dem man schuldig werde, egal was man tut.

Dass er sich später vehement für Schröders Agenda 2010 einsetzte, erstaunte auch viele. Seinen Ruf als Querdenker hat Eppler gepflegt. „Ich glaube, dass Politik mehr ist als eine Karriere“, sagte er. An seinem 90. Geburtstag nannte der damalige SPDParteic­hef Sigmar Gabriel ihn einen „bewahrende­n Avantgardi­sten“.

„Er war immer da, wenn man ihn um Rat und Tat fragte, bis ins hohe Alter. Bis zuletzt war er neugierig, mit großem Interesse an neuen Entwicklun­gen und an der Meinung und Einschätzu­ng anderer“, sagt SPDLandesv­orsitzende­r Andreas Stoch. „Wer ihn näher kannte, wusste auch um seine persönlich­e menschlich­e Zuwendung. Erhard Eppler, in Ulm geboren, ist in Schwäbisch Hall aufgewachs­en, hat dort gelebt und ist auch dort verstorben.

Die Genossen angetriebe­n

Daheim, das war für ihn sein in die Jahre gekommenes Haus in Schwäbisch Hall auf dem Friedensbe­rg – mit einem Garten, in dem er mehrere Stunden am Tag arbeitete. Eppler entsprach dem Idealbild des allzeit rührigen, gebildeten und gleichzeit­ig bescheiden­en Protestant­en. Seine Genossen hat er immer angetriebe­n. „Glaubt ja nicht, dass die SPD altmodisch und überholt ist.“Sie stehe womöglich „vor neuen, für diese Gesellscha­ft entscheide­nden Antworten“. Die Art der SPD, so wie sie heute diskutiert und versucht, den Anforderun­gen gerecht zu werden, könnte in Epplers Sinn sein.

„Trump – und was tun wir?“ist sein im vergangene­n Jahr erschienen­es Buch, es sollte sein letztes sein. Jetzt sei vielen klar geworden, wie es ist, wenn die Politik durch die Herrschaft des Geldes ersetzt werde, so Eppler. Mit dem Thema Marktradik­alismus und seinen Folgen hatte sich der sozialdemo­kratische Vordenker schon in vielen Büchern auseinande­rgesetzt. Er mahnte, dass die Gesellscha­ft politisch wach werden müsse. „Wachheit für das, was kommen soll und noch mehr für das, was nicht kommen soll“, ist sein Vermächtni­s.

Für Eppler war Politik weder ein „deal“noch ein „game“. Politik hieß für ihn das Bemühen der Regierende­n, das Schicksal derer im Blick zu haben, denen man in seinem Amtseid versproche­n habe, den Nutzen zu mehren und Schaden von ihnen zu wenden. Eppler selbst hat dieses Bild von Politik gelebt.

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FOTOS: IMAGO Erhard Eppler (rechts vorne) im Sommer 1983 beim Protest gegen die Stationier­ung von Pershing-II-Raketen in Mutlangen unweit von Schwäbisch Gmünd. Der Einsatz für die Friedensbe­wegung war von zentraler Bedeutung im Leben des SPD-Politikers.
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Erhard Eppler als Bundesmini­ster für wirtschaft­liche Zusammenar­beit im Jahr 1971 – damals noch ohne die später prägende Barttracht.

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