Kleine Steine, große Probleme
Im Kieswerk diskutieren Fachleute über die Zukunft des Rohstoffabbaus im Bodenseeraum
RADOLFZELL - Flächenverbrauch oder Schutzgebiet für seltene Tiere und Pflanzen? Der Kiesabbau und seine Folgen am Bodensee sind ein Diskussionsthema. Die baden-württembergische Grünen-Landtagsabgeordnete Nese Erikli hatte deswegen am Montag zu einer Besichtigung des Kieswerks „Meichle und Mohr“in Radolfzell eingeladen.
„Die aktuellen Geschehnisse erfordern Diskussionen“, sagte Erikli. In der Region am Bodensee steht der Kiesabbau schon lange in der Kritik. Mondlandschaften, die sich teilweise über mehrere Dutzend Hektar erstrecken, sind vielen Menschen ein Dorn im Auge.
Dazu kommt, dass eine große Zahl von Kieslastern Oberschwaben verlässt. Sie versorgen die Schweiz und Österreich mit Kies, weil dort nicht genug abgebaut wird. Kritiker fürchten, dass die Natur ausgebeutet wird – und trotzdem in der Region ein Kiesnotstand entsteht. Denn Kies ist eine wichtige Zutat für die Betonherstellung, und Beton ist in Zeiten der Hochkonjunktur sehr gefragt. Das führt dazu, dass dieser billige, aber wertvolle Rohstoff immer knapper wird.
Die Firma „Meichle und Mohr“in Radolfzell ist eines der Unternehmen, die Kies in die Schweiz exportieren – ungefähr 15 Prozent, wie Seniorchef Rolf Mohr erklärte. „Das ist für uns der regionale Markt.“Auch nach Österreich werde exportiert, dort sei die Rohstoffversorgung „nicht so gut aufgestellt“wie in Baden-Württemberg. Für den Stuttgarter Umweltstaatssekretär Andre Baumann ist es völlig unverständlich, dass im benachbarten Vorarlberg beispielsweise der Abbau von Kies und Sand unter Wasser verboten ist. „Österreich unterliegt als EULand denselben Richtlinien wie wir. Trotzdem verbieten sie den Nassabbau“, kritisierte Baumann.
Mohr betonte, dass seinem Unternehmen auch der Naturschutz wichtig sei. „Natur ist nicht immer das, was Menschen als schön ansehen“, ergänzte Jürgen Trautner. Der Landschaftsökologe begleitet das Unternehmen bereits seit Mitte der 1990er-Jahre. Ungefähr zweieinhalb bis vier Hektar sind in dem Kieswerk derzeit der Natur überlassen – direkt hinter einem großen See, wo in 60 Meter Tiefe Sand und Kies abgebaut werden. „Hier findet sich ein Großteil der geschützten Amphibien, Vögel und Insektenarten“, sagte Trautner über die naturbelassene Fläche. Je größer das Gebiet sei und je länger es unberührt bleibe, desto mehr Arten könnten sich dort ansiedeln – auch wenn die Fläche später einmal dem Nassabbau zum Opfer fällt.
Was kein Problem sei, warf Baumann ein. Denn die Arten seien mobil – wichtig sei es nur, dass langfristig eine ausreichend große Fläche zur Verfügung stünde. Die Schwierigkeit in der politischen Debatte sei es, die Artenvielfalt und den Flächenverbrauch gleichermaßen zu beachten, so Baumann.
In der Frage, wie die Flächen genutzt werden können, sah Rainer Luick, Professor für Natur- und Umweltschutz an der Hochschule Rottenburg, ein Problem. „Da stellt sich die Frage: Wie effizient ist das?“Das Gebiet der Natur zu überlassen ginge nur mit entsprechenden Modellierungen. Im Moment ist vorgesehen, dass Flächen nach dem Abbau wieder so aussehen wie davor – eine Vorgabe, die Luick für zu einschränkend hält.
Ein weiterer Gesprächspunkt im Kieswerk war die Frage, inwieweit Bauschutt wiederverwendet werden kann. „Im Moment werden zehn Prozent des Bauschutts in Baden-Württemberg recycelt“, sagte Thomas Beißwenger, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands Steine und Erden Baden-Württemberg (ISTE). In Ballungsräumen ließe sich dieser Anteil steigern, im ländlichen Raum dagegen sei das schwieriger. Dort käme es vor, dass es billiger ist, neue Rohstoffe einzusetzen, räumte Baumann ein. Ein großes Problem sei außerdem, dass die hiesigen Stadtverwaltungen recyceltes Material für ihre Bauvorhaben oft ablehnten. „Deshalb bieten wir jetzt Schulungen für Architekten an“, sagte Baumann.
Einen weiteren Konfliktpunkt sieht Luick darin, dass vorhandene Kiesvorkommen nicht genutzt würden, obwohl das vorgeschrieben sei. „Bevor ein Industriegebiet gebaut wird, muss das Kies darunter abgebaut werden können“, sagte er. Das passiert aber nicht immer.
„Die Regionalplanung ist das richtige Instrument, um all diese Probleme zu lösen“, schloss Baumann die Diskussion ab und verwies auf die Internationale Bodensee Konferenz (IBK). Der Rohstoffbedarf der nächsten Jahre müsse gesteuert und möglichst sinnvoll genutzt werden, sagte er. Dazu arbeite er intensiv an einer Rohstoffkonzeption. Angesichts komplizierter Absprachen verzögert diese sich allerdings.