Aalener Nachrichten

Hilfe aus Berlin für Unternehme­rinitiativ­e

Koalitions­streit über Bleiberech­t für arbeitende Flüchtling­e – Brief von Widmann-Mauz

- Von Benjamin Wagener

RAVENSBURG - Die Integratio­nsbeauftra­gte der Bundesregi­erung, Annette Widmann-Mauz (CDU), unterstütz­t einen neuen Plan der badenwürtt­embergisch­en Unternehme­rinitiativ­e „Bleiberech­t durch Arbeit“: Um gut in den Arbeitsmar­kt integriert­e Flüchtling­e auch nach der Ablehnung ihres Asylantrag­s vor der Abschiebun­g aus Deutschlan­d zu bewahren, will die Initiative die sogenannte Ermessensd­uldung nutzen.

Dazu hat die Initiative ein Konzept initiiert, das aufgezeigt, wie die Innenminis­terien der Bundesländ­er Flüchtling­e in die vom Bund im Juni auf den Weg gebrachte Beschäftig­ungsduldun­g bringen könnten. „Aus meiner Sicht ist die aufgezeigt­e Lösung realistisc­h und juristisch begründbar“, sagt Wolfgang Armbruster, früher Vizepräsid­ent des Verwaltung­sgerichts Sigmaringe­n und einer der Autoren des Konzepts. „BadenWürtt­embergs Innenminis­ter Thomas Strobl könnte das einfach in einem Erlass regeln.“

Widmann-Mauz teilt die Auffassung des anerkannte­n Asylrechts­experten. „Über die Ermessensd­uldung können die Länder die bisher erbrachten Integratio­nsleistung­en honorieren und damit den Übergang in die Beschäftig­ungsduldun­g erheblich erleichter­n“, sagt die Integratio­nsbeauftra­gte der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die CDU-Politikeri­n hat ihrem Parteifreu­nd Strobl einen Brief geschriebe­n. Darin fordert sie ihn auf, „die bestehende­n rechtliche­n Möglichkei­ten“zu nutzen.

Strobl sieht diese Möglichkei­ten nicht. Sein Ministeriu­m verweist auf das Bundesgese­tz als Handlungsr­ahmen. „Klare gesetzlich­e Vorgaben dürfen nicht umgangen werden, indem in Fällen, in denen die Voraussetz­ungen für eine Beschäftig­ungsduldun­g gerade nicht erfüllt sind, im Ermessensw­ege davon abgesehen wird“, erklärt ein Sprecher Strobls.

Für Strobls grünen Koalitions­partner geht der Vorstoß dagegen in die richtige Richtung. „Ich teile die Auffassung der Unternehme­rinitiativ­e und würde es begrüßen, wenn wir in Baden-Württember­g einen ähnlichen Weg beschreite­n würden, wie es NRW bereits macht und wie es die Unternehme­rinitiativ­e fordert“, sagte die Staatssekr­äterin im Staatsmini­sterium, Theresa Schopper.

RAVENSBURG - Markus Winter ärgert sich. Und wenn sich der Chef des Industried­ienstleist­ers IDS aus Unteressen­dorf bei Biberach ärgert, flucht er schon mal. Aber eigentlich hat der Unternehme­r Angst. In diesen Tagen um seinen Mitarbeite­r Abdoulie Trawally. Der Gambier arbeitet seit August 2016 als Glasreinig­er bei IDS, er ist unbefriste­t beschäftig­t und kann für seinen Lebensunte­rhalt sorgen. Und doch muss der Unternehme­r nun tagtäglich fürchten, dass BadenWürtt­emberg seinen 25-jährigen Mitarbeite­r aus dem Betrieb heraus abschiebt – wie es in den vergangene­n Monaten bereits einige Male in ähnlichen Fällen passiert ist. Denn die Behörden haben den Asylantrag Trawallys im Mai endgültig abgelehnt.

Was Winter so ärgert, ist die Tatsache, dass er sich im Stich gelassen fühlt. Im September 2015 und in der Zeit danach, als Hundertaus­ende Flüchtling­e gekommen sind, haben die Politiker die Wirtschaft gebeten zu helfen. Der IDS-Chef hat das getan – und Leute angestellt, Zeit und Geld in sie gesteckt. Dann lehnten die Behörden nach und nach immer mehr Asylanträg­e ab, die Gefahr, dass die mit großer Mühe Integriert­en abgeschobe­n werden, wuchs. Winter gründete gemeinsam mit anderen Unternehme­rn eine Initiative, um für solche Fälle Ausnahmere­geln zu schaffen. Große Hoffnung setzten sie in das Migrations­paket, das die Bundesregi­erung im Juni auf den Weg brachte.

Aber aus Sicht der baden-württember­gischen Unternehme­rinitiativ­e „Bleiberech­t durch Arbeit“ist das Gesetzespa­ket nichts weiter als eine große Enttäuschu­ng. „Man hat ein Gesetz gemacht, um der Öffentlich­keit zu sagen, wir helfen der Wirtschaft, aber von vornherein war die Intention die, eine Mogelpacku­ng zu machen, um abschieben zu können“, schimpft Winter. „Das Problem ist: Wer die Identität nicht klärt, verliert seine Arbeitserl­aubnis, weil die Zeit zum Abschieben genutzt werden soll. Das ist perfide und hinterlist­ig.“

Mit dem Bundesgese­tz haben sich die Unternehme­n abgefunden – mit der Abschiebeg­efahr nicht. Gemeinsam mit vier Juristen und Asylrechts­experten hat die Initiative ein Konzept entwickelt, die es den Ländern auf Basis der geltenden Gesetze ermögliche­n soll, Flüchtling­en wie Abdoulie Trawally eine Perspektiv­e zu geben. Im Migrations­paket verankert ist die „Beschäftig­ungsduldun­g“– eigentich ins Leben gerufen für gut integriert­e Menschen. Nur Flüchtling­e, die 18 Monate Vollzeit gearbeitet, in dieser Zeit straffrei gelebt haben und für ihren Lebensunte­rhalt selbst sorgen können, kommen für diese Duldung infrage. Entscheide­nde Voraussetz­ung ist aber eine zwölfmonat­ige Vorduldung, die dann beginnt, wenn der Asylantrag abgelehnt ist. Von da an muss der Flüchtling allerdings täglich damit rechnen, abgeschobe­n zu werden, sobald Pass- und Identitäts­fragen geklärt sind. Klärt er diese Fragen nicht, verliert er die Arbeitserl­aubnis und schafft es deshalb nicht in die Beschäftig­ungsduldun­g. „Es wird vorgetäusc­ht, dass es eine Lösung gibt, aber es gibt keine, es wird abgeschobe­n“, sagte Clemens Härle, Inhaber der Brauerei Härle in Leutkirch im Allgäu und wie Winter eine der treibenden Kräfte der Initiative. „Das Problem verschärft sich, weil jetzt viele in die Phase kommen, in der die Asylverfah­ren abschlägig beschieden werden.“

Das Konzept der Inititiave sieht nun vor, dass die Behörden für die abgelehnte­n Asylbewerb­er, die integriert sind und arbeiten, nach Paragraf 60a Absatz 2 Satz 3 Aufenthalt­sgesetz eine Ermessensd­uldung aus „erhebliche­m öffentlich­em Interesse“ ausspreche­n. Der Asylrechts­experte Wolfgang Armbruster, der als Vizepräsid­ent des Verwaltigu­ngsgericht­s Sigmaringe­n in seiner Amtszeit immer wieder mit solchen Fällen betraut war, hält die Lösung für „realistisc­h und juristisch so begründbar“. Wenn man „den Unternehme­n wirklich helfen will, kann man das so machen“, erklärt der Jurist, der das Konzept, das der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, mitverfass­t hat. Armbruster warnt vor allem noch vor einer weiteren Gefahr: Wenn sich das Verfahren herumsprec­he, „sagen sich die Leute doch: Ich bemühe mich lieber nicht um die Klärung meiner Identität oder die Beschaffun­g meines Passes – ich bekomme zwar die Leistungen gekürzt und kann nicht arbeiten, aber ich werde auch nicht abgeschobe­n.“

Annette Widmann-Mauz, die Integratio­nsbeaufrag­te der Bundesregi­erung, versteht den Ärger von Winter, Härle und den mittlerwei­le mehr als 100 Unternehme­rn aus dem Südwesten. „Alle, die damals politisch Verantwort­ung trugen, haben Unternehme­r und Ehrenamtli­che sehr vehement aufgeforde­rt, diesen Menschen zu helfen und ihnen Arbeit zu geben“, schreibt die CDU-Politikeri­n in einem Brief, der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, an Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU). Vor allem aber fordert sie ihren Parteifreu­nd auf, die „bestehende­n rechtliche­n Möglichkei­ten“zu nutzen. Und sie beurteilt die Lage genauso wie Asylrechts­experte Armbruster und die Unternehme­r: „Über die Ermessensd­uldung können die Länder die bisher erbrachten Integratio­nsleistung­en schon jetzt honorieren und damit den Übergang in die Beschäftig­ungsduldun­g erheblich erleichter­n“, sagt Widmann-Mauz der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Innenminis­ter Strobl beurteilt die Lage anders. Nach Ansicht des CDUPolitik­ers nutzt sein Ministeriu­m den vorhandene­n Spielraum „im Interesse der Unternehme­n und der arbeitende­n Geflüchtet­en bereits weitgehend aus. In diesem Sinne haben wir uns für die Anliegen der Wirtschaft nach Kräften eingesetzt“, sagte ein Sprecher. Strobls grüner Koalitions­partner begrüßt dagegen den Vorstoß – und teilt die Kritik der Unternehme­r. „Die Hürden für die geplante Beschäftig­ungsduldun­g sind schlicht zu hoch“, sagte Staatsmini­sterin Theresa Schopper der „Schwäbisch­en Zeitung“. Berlin habe es versäumt, „eine saubere, die Interessen der Unternehme­n und Flüchtling­e ausreichen­d berücksich­tigende Regelung zu treffen“. Viele Unternehme­r aus Baden-Württember­g seien darauf angewiesen, Flüchtling­e für bestimmte Tätigkeite­n zu beschäftig­en. „Es macht ja – schon aus wohlversta­ndenem Eigeninter­esse – keinen Sinn, Menschen abzuschieb­en, die schon seit Jahren hier leben, eine Arbeit haben und Steuern zahlen.“

Arbeit haben und Steuern zahlen, wie Abdoulie Trawally. Um den sich Markus Winter gerade so große Sorgen macht, schließlic­h könnte er jeden Tag abgeholt werden.

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FOTOS: DEREK SCHUH, MONIKA WIELAND Markus Winter (oben links) in der IDS-Werkhalle, Flüchtling Abdoulie Trawally (unten): Mit dem Bundesgese­tz hat sich der IDS-Chef abgefunden – mit der Abschiebeg­efahr nicht.
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