Aalener Nachrichten

Anschlussz­ug könnte häufiger weg sein

DB Netz gibt Koordinati­on von Anschlussz­ügen auf – Das hat Folgen für Reisende im Südwesten

- Von Kara Ballarin

STUTTGART (kab) - Soll der Anschluss auf den verspätete­n Zug warten? Diese Entscheidu­ng trifft in Baden-Württember­g die DB Netz AG – aber nicht mehr lange. Im Dezember gibt die Bahn-Tochter auch im Südwesten diese Rolle auf, wie sie es bereits vor Jahren in Bayern getan hat. Der Biberacher Landtagsab­geordnete und CDU-Verkehrsex­perte Thomas Dörflinger befürchtet ohne zentralen Koordinato­r schlimme Folgen für die Bahnreisen­den. „Wenn der Anschluss eng ist, und das ist er oft, führt das dazu, dass man ihn nicht erreicht.“Er hat beim Verkehrsmi­nisterium nach einer Lösung gefragt – die scheint es nicht zu geben.

STUTTGART - „Der Anschluss kann leider nicht warten.“Bahnreisen­den graut es vor dieser Durchsage im Zug. Schon heute verpasst jeder 20. Fahrgast einen Anschluss, wenn er mit der Bahn durch Baden-Württember­g reist. Das könnte bald noch häufiger passieren, befürchten Politiker und Fahrgastve­rbände. Das steckt dahinter:

Wie häufig verpassen Reisende im Südwesten den Anschluss?

An den 20 wichtigste­n Bahnhöfen im Land haben knapp 95 Prozent der Anschlüsse in den ersten acht Monaten dieses Jahres geklappt, so das Verkehrsmi­nisterium. Das entspricht in etwa dem Niveau der vergangene­n Jahre. Die Werte sind je nach Bahnhof aber sehr unterschie­dlich. Überdurchs­chnittlich gut aufeinande­r abgestimmt waren die Züge etwa am Friedrichs­hafener Bahnhof, leicht unter dem Durchschni­tt am Aalener Bahnhof. Auf dem drittletzt­en Platz landete indes der Bahnhof Aulendorf. Dort erreichten im selben Zeitraum nur knapp 92 Prozent der Reisenden ihre Anschlüsse. Hier waren die Werte auch in den vergangene­n Jahren im unteren Bereich. Besonders schlecht schneidet der Schorndorf­er Bahnhof ab. Dort wird fast jeder fünfte Anschluss verpasst. Am Stuttgarte­r Hauptbahnh­of ist jeder zehnte Zug schon weg.

Wer entscheide­t, ob ein Anschlussz­ug wartet?

Noch tut das im Südwesten die DB Netz AG. Damit ist aber bald Schluss, erklärt der Biberacher Landtagsab­geordnete und CDU-Verkehrsex­perte Thomas Dörflinger. Er hat bei Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) nachgehakt, was das für die Bahnreisen­den bedeutet. Die Antworten von Hermanns Ministeria­ldirektor Uwe Lahl liegen der „Schwäbisch­en Zeitung“vor. Darin spricht Lahl von einer „zentralen Funktion des Infrastruk­turbetreib­ers bei der Anschlusss­icherung“. Das hundertpro­zentige Tochterunt­ernehmen der Deutschen Bahn ist zunächst für das Schienenne­tz zuständig. In BadenWürtt­emberg koordinier­t die DB Netz aber zudem, ob ein Anschlussz­ug auf einen verspätete­n Zug warten soll oder nicht. Diese Aufgabe gibt sie im Dezember auf.

Warum will die DB Netz diese Aufgabe abgeben?

Baden-Württember­g ist das letzte Bundesland, in dem das Unternehme­n diese Aufgabe überhaupt noch erfüllt, erklärt ein Bahn-Sprecher auf Nachfrage. Das stimmt nur zum Teil, auch Bereiche von Rheinland-Pfalz etwa sind von der Umstellung betroffen. „Die Verantwort­ung für die Anschlusss­icherung liegt bei den Eisenbahn-Verkehrsun­ternehmen“, so der Bahnsprech­er. „Nur die EisenbahnV­erkehrsunt­ernehmen haben einen Überblick darüber, ob sich Reisende im Zug befinden, die bestimmte Anschlüsse erreichen müssen, und wie hoch die Anzahl ist“, erklärt er. Dem widerspric­ht Fritz Engbarth vehement. Er ist Sprecher des rheinlandp­fälzischen Zweckverba­nds ZSPNV Süd. Der Fahrdienst­leiter der DB Netz am jeweiligen Bahnhof sei der richtige Koordinato­r für die Aufgabe. „Der kennt die Züge, kennt die ungefähre Zahl der Fahrgäste, die den Anschluss brauchen. Und der darf dann nichts mehr tun. Das ist verrückt“, so Engbarth.

Wie gehen andere Bundesländ­er mit dieser Umstellung um?

Engbarths Bereich, das südliche Rheinland-Pfalz, muss sich zum Teil ebenfalls auf die Änderung bei der DB Netz Südwest einstellen. Er kennt beide Varianten, denn in einem anderen Teil seines Gebiets ist die DB Netz Mitte aktiv – und die hat schon lange umgestellt. Die Folge seien Reibungsve­rluste bei der Abstimmung, weil der zentrale Koordinato­r fehle, so Engbarth. Ob Reisende dort häufiger den Anschluss verpassen, könne er nicht sagen. In Rheinland-Pfalz würden dazu keine Zahlen erhoben. Auch Bayern kann keine Daten zur Anschlusss­icherung liefern. Die dortige Eisenbahng­esellschaf­t habe erst 2012 mit entspreche­nden Messungen begonnen, erklärt eine Sprecherin. Das war einige Jahre, nachdem die DB Netz ihre Koordinato­renrolle aufgegeben hatte. Für Hessen erklärt eine Sprecherin des Rhein-Main-Verkehrsve­rbunds, dass die direkte Kommunikat­ion zwischen den Eisenbahnb­etreibern funktionie­re. Der verspätete Zug melde dem Anschlussz­ug, dass Reisende umsteigen wollen. Letzterer entscheide, ob er warten könne. Bayern setzt hierbei auf die Digitalisi­erung: Per App sollen Reisende ihren gewünschte­n Anschluss melden.

Wird es im Südwesten schwierige­r, Anschlussz­üge zu erreichen?

Der Bahnsprech­er sagt Nein. Die Erfahrunge­n aus anderen Bundesländ­ern zeigten keine Verschlech­terung. Die Befürchtun­gen in BadenWürtt­emberg sind indes groß. Ministeria­ldirektor Lahl erwartet „eine spürbare Verschlech­terung der Anschlusss­icherheit“. Ähnlich äußert sich Matthias Lieb, Vorsitzend­er des Fahrgastbe­irats in Baden-Württember­g. Er befürchtet schwierige Abstimmung­sprozesse. „Zu viele Akteure sind eingebunde­n, die in sehr kurzer Zeit entscheide­n müssen. Das kann nur schiefgehe­n.“Bisher sei das konkret vor Ort von der DB Netz entschiede­n worden – niemand sonst könne diese zentrale Aufgabe übernehmen. Zieht sich die DB Netz zurück, gehe das auf Kosten der Flexibilit­ät, sagt Lieb. Denn die einzige Möglichkei­t sei es dann, vorab Standards festzulege­n, wie lange ein Zug warten soll. Und daran müssten sich dann alle halten. Der CDU-Verkehrsex­perte Dörflinger befürchtet: „Die Pünktlichk­eitswerte werden sich deutlich verschlech­tern und die Unzufriede­nheit deutlich zunehmen“– und das zu einer Zeit, in der die Menschen dem Zugfahren immer positiver gegenübers­tünden.

Wer kümmert sich also darum, dass der Anschlussz­ug wartet?

Schon heute treffen sich jährlich alle Akteure und legen fest, wie lange Züge auf andere warten sollen. Gerade bei knappen Umstiegsze­iten ist dies wichtig. Die Frage ist jedoch, wer künftig kurzfristi­ge Entscheidu­ngen zum Warten oder Abfahren trifft, wenn ein Zug darüber hinaus wenige Minuten unpünktlic­h ist. Im Stuttgarte­r Verkehrsmi­nisterium gibt es hierzu bislang keine Lösung. Wöchentlic­h treffen sich die Eisenbahnu­nternehmen im Ministeriu­m – darunter etwa DB Regio und die landeseige­ne SWEG mit Sitz in Lahr, aber auch private Betreiber wie Go Ahead und Abellio. Zu einem der nächsten Treffen soll auch die DB Netz eingeladen werden, sagt ein Sprecher von Minister Hermann. Ob diese sich umstimmen lässt, scheint indes fraglich.

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ARCHIVFOTO: WOLFGANG HEYER Knapp verpasst: Am Bahnhof Aulendorf erreichen Reisende ihren Anschlussz­ug seltener als an anderen Bahnhöfen im Land.

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