Auf der Suche nach dem großen Ganzen
Maja Lunde erzählt in ihrem neuen spannenden Roman „Die Letzten ihrer Art“vom Artensterben
Vor wenigen Tagen wurden in London die besten Tierfotos des Jahres gekürt. Das Siegerfoto aus China zeigt ein Murmeltier, das gerade aus dem Winterschlaf erwacht ist und direkt mit den Gefahren der Natur konfrontiert wird: Eine Tibetfüchsin beäugt es mit voller Konzentration, das Murmeltier starrt entsetzt und mit weit geöffnetem Mund zurück, die Todesangst steht ihm ins Gesicht geschrieben. Was das mit der Erfolgsautorin Maja Lunde zu tun hat? Die Norwegerin hat sich in ihrem neuen Buch „Die Letzten ihrer Art“genau wie der siegreiche Fotograf mit dem so spannenden wie sensiblen Artenreichtum dieses Planeten auseinandergesetzt. Zwar geht es bei Lunde nicht um Murmeltiere und Füchse, ihre Botschaft ist aber eine ganz ähnliche: Schaut her, wie grandios diese Natur sein kann. Und wie fragil.
Lunde hat sich mit ihrem millionenfach verkauften Roman „Die Geschichte der Bienen“international einen Namen gemacht. Sie zählt längst zu den Schwergewichten der norwegischen Literatur, die sich gerade auf der Frankfurter Buchmesse von ihrer besten Seite zeigte. In Zeiten der internationalen Klimaproteste und einem langsam, aber stetig wachsenden Umweltbewusstsein passt Lunde mit ihren Büchern: In der „Geschichte der Bienen“zeichnete sie das Bild eines Planeten, dem die Bienen abhandengekommen sind, im Nachfolgewerk „Die Geschichte des Wassers“wurde dann das Trinkwasser knapp.
Auch in „Die Letzten ihrer Art“droht die Welt etwas zu verlieren: das Przewalski-Pferd, das letzte echte Wildpferd, ein Schatz der Natur. Lunde schildert die abenteuerliche Suche nach ihm in der Mongolei des 19. Jahrhunderts, lässt eine deutsche Tierärztin in den 1990er-Jahren ebenso um seinen Erhalt kämpfen wie eine Norwegerin im Jahr 2064. Wie in den ersten beiden Werken verwebt Lunde Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einer großen Geschichte. Alles kulminiert am Ende zu einem großen Ganzen.
Besonders spannend ist dabei erneut Lundes Ausblick in die Zukunft. Das Klima ist kollabiert, die Wissenschaft hat mit ihren Erkenntnissen, auf die in der Realität junge Aktivisten wie die Schwedin Greta Thunberg immer wieder hinweisen, recht behalten. Die Folge ist eine Massenflucht und ein jahrelanger Krieg.
Viele resignieren, Lundes Romanfigur Eva dagegen nicht. Trotz der prekären Lage ringt sie um den Erhalt ihrer beiden Wildpferde – die Letzten ihrer Art. Dass Eva dabei ihre eigene Art aus dem Blick verliert, fällt ihr erst im Nachhinein auf. Solche tieferen Details machen Lundes Romane so wertvoll: Die Kleinigkeiten im großen Ganzen, die die Menschen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eint. Menschen machen Fehler. Menschen lieben sich. Menschen wollen Kinder zeugen und für sie da sein, schaffen es aber dann doch nicht. Lunde hält der Menschheit im Jahr 2019 somit einen Spiegel vor: Wer sind wir? Warum sind wir so? Und wie wollen wir eigentlich sein? (dpa)
Maja Lunde: Die Letzten ihrer Art, btb Verlag, München, 640 Seiten, 22 Euro.