Serienreif aus dem Drucker
Wie 3-D-Druck die Produktion in der Industrie verändern kann
TETTNANG/RAVENSBURG - Die Zukunft des Fahrens ist autonom. Sobald unsere Autos von alleine ans Ziel steuern, verändert sich auch die Rolle des Fahrers. Er muss nicht mehr aufmerksam den Verkehr beobachten, lenken und durch die Gänge schalten. Stattdessen kann er Kaffee trinken, lesen, Filme schauen oder ein Nickerchen machen. Dabei lehnt er sich zurück in einen Autositz, der ganz individuell an seinen Rücken angepasst ist und damit einen völlig neuen Komfort bietet. Mit 3-D-Druck ist diese Vision durchaus realistisch, sagt Christoph Schell, President 3-D-Printing and Digital Manufacturing beim amerikanischen PC- und Druckerhersteller HP.
„3-D-Druck ist an sich nichts Neues“, sagt Schell im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Das Verfahren gebe es bereits seit 15 Jahren – ursprünglich, um die Herstellung von Prototypen kostengünstig zu ermöglichen. „Das ist ganz interessant, aber nicht faszinierend. Faszinierend ist, wenn man vom Prototyping in die Produktion geht“, so der 48-Jährige bei seinem Besuch an der Elektronikschule in Tettnang. Auf der Durchreise von Dubai nach Barcelona hatte Schell dort einen HP-3-DDrucker an die iLernfabrik der Schule übergeben. Seiner Einschätzung nach gebe es keine Industrie, die nicht in irgendeiner Form vom 3-DDruck profitieren könnte.
Wie vielfältig die Technologie eingesetzt werden kann, macht Schell an zwei Beispielen deutlich. Das erste stammt aus dem Gesundheitsbereich: die Zahnspange. „Es geht darum, komplette Geschäftsmodelle zu verändern“, erklärt Schell. Als er mit seiner Familie in Asien lebte, habe er für die herkömmlichen Zahnspangen seiner beiden Kinder jeweils zwischen 10 000 und 12 000 US-Dollar bezahlt. Mittlerweile gebe es Unternehmen, die die komplette Wertschöpfungskette in diesem Bereich verändert haben – mithilfe von 3-D-Druck.
Diese Firmen benötigen lediglich einen Abdruck der Zähne. Mit diesem stellen sie mittels 3-D-Druck einen Abdruck des Ober- und Unterkiefers her und bauen darauf die passenden Spangen auf. Eine Software wiederum simuliert, wie sich das Gebiss im Lauf der Anwendung entwickeln wird. Dem Verbraucher wird am Ende ein Paket mit mehreren Zahnspangen zugeschickt, die er innerhalb einer vorgegebenen Zeit wechseln soll. Die Kosten: 1800 Dollar.
Ein weiteres Beispiel nennt Christoph Schell aus der Automobilindustrie. Bei elektrischen Autos arbeiten die Hersteller vor allem daran, die Reichweite einer Batterieladung zu erhöhen. Ein entscheidender Faktor ist dabei das Gewicht des Fahrzeugs. Um dieses insgesamt zu reduzieren, müssen die Einzelteile möglichst leicht gebaut werden. Viele Teile seien jedoch unnötig schwer, weil sie bislang in einer Form hergestellt werden mussten, erklärt Schell. 3-DDruck ermögliche hingegen, die Bauteile so zu konstruieren, dass Hohlräume
entstehen. „Dann braucht man weniger Material und das Auto wird leichter“, so Schell.
Das eröffnet auch im Bereich Design ganz neue Wege. Bislang waren
Designer in ihrer Kreativität eingeschränkt – schließlich sollte das entworfene Teil in einer Form herstellbar sein. „Das wird mit dieser Technologie auf den Kopf gestellt. Man kann alles designen“, sagt Schell. So können einzelne Bauteile komplexer und funktionaler entworfen werden. Dadurch entfallen auch Produktionsschritte, die bislang nötig waren, um Teile aufwendig zusammenzusetzen.
HP misst seinen Erfolg nicht etwa an der Anzahl der verkauften Drucker, sondern an der Anzahl der Bauteile, die mit diesen Druckern hergestellt werden. 2018 seien das bereits 5 Millionen Teile gewesen, für 2019 rechnet Schell mit mehr als 18 Millionen. „Und ich bin sicher, dass wir das im nächsten Jahr noch einmal verdoppeln.“2020 will das amerikanische Unternehmen außerdem einen 3-D-Drucker auf den Markt bringen, der Metall drucken kann.
Es sei wichtig, die Innovation, die mit dem 3-D-Druck einhergeht, als etwas Gutes zu begreifen, sagte Schell. Im Maschinenbau etwa könne der 3D-Druck auch negativ gesehen werden: Schließlich könnte der Drucker Kapazitäten der Maschinen wegnehmen. „Es ist unheimlich wichtig, diese Koexistenz herauszustellen, weil es meines Erachtens in der Zukunft beide Technologien geben wird“, sagt Schell. So sei 3-D-Druck immer dann besonders attraktiv, wenn Teile personalisiert werden können.
Ähnlich sieht das auch Rainer Gebhardt vom Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA): „Sobald es um individuell abgestimmte Lösungen geht, wird man an diesem Verfahren nicht mehr vorbeikommen“, sagt er. Vernetzt mit herkömmlichen Fertigungsmethoden berge 3-D-Druck ein großes Potenzial, auch für den Maschinenbau. Beispiele seien Greifersysteme in der Robotik oder Bauteile, die mit Kanälen versehen werden sollen. In der Arbeitsgemeinschaft Additive Manufacturing – was im Grunde nichts anderes als industrieller 3-DDruck bedeutet – tauschen sich mittlerweile rund 150 der insgesamt 3000 VDMA-Mitglieder aus, unter ihnen Zulieferer, Anwender und Hersteller. „Die Spielerei ist vorbei. Die Unternehmen wollen nun wirtschaftlich mit der Technologie arbeiten“, sagt Gebhardt.
Während heute sehr viel Produktion beispielsweise in Asien stattfindet, kann 3-D-Druck künftig auch dazu beitragen, Transportwege zu verkürzen. „Der Kunde kann seine Teile dort herstellen, wo er ist und wann er sie braucht“, erklärt Schell. Durch die weltweite Vernetzung der Drucker sei es möglich, Produktionsvolumen zu verkaufen und so die Fixkosten aus der Herstellung herauszunehmen. „Das ist für die Produktionsindustrie interessant“, sagt Schell. Und damit auch für die Hersteller von bequemen, rückenschonenden Autositzen.