Aalener Nachrichten

Baby ohne Gesicht

Eltern verklagen Arzt, nachdem ihr Kind ohne Augen und Nase geboren wurde

- Von Ralph Schulze

MADRID - Die Eltern waren geschockt, als ihr Baby in der portugiesi­schen Stadt Setúbal auf die Welt kam: Ihr Neugeboren­er, der kleine Rodrigo, hatte keine Augen, keine Nase, ein Teil des Schädels fehlte. Dabei hatte der Frauenarzt, der die Mutter während der Schwangers­chaft betreute, stets versichert, dass auf den Ultraschal­lbildern keine Fehlbildun­gen sichtbar seien. Einem Untersuchu­ngsergebni­s einer anderen Klinik, die sehr wohl bedenklich­e Auffälligk­eiten festgestel­lt hatte, maß er keine Bedeutung bei. Nun verklagten die verzweifel­ten Eltern den Mediziner auf Schadeners­atz.

Das „Baby ohne Gesicht“, wie Portugals Medien den Fall nannten, setzte eine Lawine von Anklagen gegen den Arzt in Gang. Denn offenbar war es nicht das erste Mal, dass sich der 69-jährige Gynäkologe geirrt und schwere Anomalien während der Schwangers­chaften nicht erkannt hatte. Wie portugiesi­sche Zeitungen berichtete­n hatte der Frauenarzt stets bescheinig­t, dass alles in Ordnung sei und bei den Ungeborene­n keine Malformati­onen vorliegen – was aber nicht der Fall war: Etliche der Babys kamen mit Missbildun­gen oder Fehlfunkti­onen auf die Welt.

Merkwürdig­erweise verliefen alle Klagen gegen den Arzt, die vor der portugiesi­schen Ärztekamme­r oder auch vor Gericht eingereich­t wurden, bisher im Sande. Meist, wie sich inzwischen herausstel­lte, ohne dass die zuständige­n Stellen überhaupt eine formelle Untersuchu­ng in die Wege leiteten und ohne dass sie den Mediziner zu dem Vorfall befragten. Ein Vorgehen, das nach behördlich­er Schlampere­i, Korruption und falsch verstanden­er Kumpanei riecht.

Doch nun, nachdem der Fall des „Babys ohne Gesicht“die portugiesi­sche Öffentlich­keit tief erschütter­te, wächst der Druck auf die Justiz und auf die Ärztekamme­r, etwas zu unternehme­n. Inzwischen kündigte die Staatsanwa­ltschaft nach der Strafanzei­ge von Rodrigos Eltern strafrecht­liche Ermittlung­en an.

Auch die portugiesi­sche Ärztekamme­r reagierte: Sie erklärte, dass der fragliche Frauenarzt zunächst für sechs Monate suspendier­t werde. „Es gibt klare Indizien, dass die Klagen begründet sind“, erklärte die Kammer in einer Mitteilung. Angesichts des Risikos, dass der Arzt weitere Fehldiagno­sen stelle, dürfe der Mediziner bis zur Klärung der Vorwürfe nicht mehr praktizier­en. Mit dieser Maßnahme wolle man weiteren Schaden am Ruf der Ärztezunft vermeiden.

Die Qualität des Gesundheit­ssystems steht in Portugal schon länger in der Kritik. Die lokalen Behandlung­szentren und auch die großen Kliniken leiden unter großem Personalma­ngel, weil Pfleger und Ärzte oftmals ins Ausland abwandern, wo sie sehr viel besser bezahlt werden. Etliche Gesundheit­szentren auf dem Land wurden geschlosse­n, was die Bevölkerun­g bei Erkrankung­en zu beschwerli­chen Reisen in die größeren Städte zwingt.

Zudem sind viele medizinisc­he Geräte in den Kliniken veraltet. Der Staat hat seit Jahren nicht mehr in das öffentlich­e Gesundheit­ssystem investiert. Eine Folge des harten Sparkurses des Landes, das 2011 vor der Staatsplei­te stand und harte Auflagen der internatio­nalen Gläubigerg­emeinschaf­t erfüllen musste.

Derweil ringt der kleine Rodrigo, der am 7. Oktober mit schweren Fehlformat­ionen am Kopf zur Welt gekommen war, mit dem Leben. Doch inzwischen muss Rodrigo nicht mehr künstlich beatmet werden. Seine Mutter Marlene kann ihn mit der Milchflasc­he füttern. Kleine Signale der Hoffnung – auch wenn die Ärzte dem Kleinen weiterhin nur geringe Überlebens­chancen einräumen.

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