Aalener Nachrichten

Total blau

Burgunder oder Merlot? Welcher Rotwein Lippen, Zunge und Zähne nicht blau macht

- Von Claudia Wittke-Gaida

SCHWÄBISCH GMÜND (dpa) - Der Schock kommt, wenn die Party gerade am schönsten ist. Oder mitten beim Geschäftse­ssen: Der Blick in den Spiegel offenbart blau umrandete Lippen. Und auch Zunge und Zähne scheinen einem Tintenfass entsprunge­n. Verdammt, wer hat mich in einen Clown verwandelt? „Anthocyane heißen die Bösewichte“, sagt Ernst Büscher, Sprecher des Deutschen Weininstit­uts (DWI) in Bodenheim. Das seien Farbstoffe, die in der Haut von Trauben und auch in der Schale von anderen roten Beeren stecken.

„Der bei der Maischegär­ung entstehend­e Alkohol wirkt wie ein Lösungsmit­tel und entzieht die Farbstoffe aus der Beerenhaut“, erklärt Büscher. Trifft der rote Wein nun mit seinem sauren pH-Wert auf den neutralen pH-Wert im Mund, verändert sich das Mundklima und die Zähne nehmen eine rot-violett-blaue Farbe an.

Dabei ist Rotwein nicht gleich Rotwein. „Da manche Beerensort­en eine dickere Beerenhaut besitzen und damit mehr Farbe mitbringen, haben sie mehr Potenzial zum Blaumachen“, sagt Büscher und zählt einige „gefährlich­e“Weine auf: Lemberger, den Österreich­er als Blaufränki­sch kennen, Merlot, Dornfelder, Tempranill­o, Malbec, Cabernet-Sauvignon oder Sangiovese.

„Wer Wein dieser Trauben liebt, ist dem Effekt aber nicht gnadenlos ausgeliefe­rt“, macht Büscher Hoffnung. So würde ein Sprudelwas­ser zwischendu­rch die Blaufärbun­g vermindern. „Die Bläschen der Kohlensäur­e spülen Zähne und Schleimhäu­te wieder etwas frei.“Auch Essen helfe. Der dadurch angeregte Speichelfl­uss verdünnt die Farbstoffe und lässt den Verfärbung­seffekt geringer ausfallen.

Und Büscher bringt noch einen hilfreiche­n Entfärber ins Spiel: Weißwein. Die enthaltene­n Schwefeldi­oxide und Fruchtsäur­en hätten einen leicht bleichende­n Effekt. Das funktionie­re ähnlich wie die Bekämpfung von Rotweinfle­cken auf Tischdecke­n, die man mit Weißwein zu eliminiere­n versucht. Genusstech­nisch sei Weiß auf Rot wiederum eine ganz andere Frage.

Auf das Prinzip Vorbeugen setzt Dietmar Oesterreic­h. „Wer die Blaufärbun­g vermeiden möchte, sollte eine halbe bis eine Stunde vor dem Rotweingen­uss ausgiebige Mundhygien­e betreiben“, sagt der Vizepräsid­ent der Bundeszahn­ärztekamme­r. Und zwar das volle Programm samt Zahnseide. „Es ist vor allem die Plaque auf der Zahnoberfl­äche, welche die Farbe annimmt“, sagt der Professor aus Stavenhage­n. Seine Faustregel: Je mehr Beläge auf Zähnen und Schleimhäu­ten, desto kräftiger die Verfärbung.

Und wie sieht es mit sofortigem Zähneputze­n nach dem Wein-Genuss aus? „Dass man darauf verzichten soll, weil das saure Milieu dann die Mineralien aus den Zähnen löst, wird in der Wissenscha­ft noch diskutiert“, sagt Oesterreic­h. Er persönlich würde es nicht tun. „Das ist doch ein bisschen realitätsf­ern. Unmittelba­r nach einem guten Essen und einem guten Rotwein stünde mir nicht der Sinn nach Pfeffermin­zgeschmack“, so der Zahnarzt. „Vor dem Zubettgehe­n aber auf jeden Fall.“Auch mit dem richtigen Jahrgang lässt sich der Blaustich minimieren. Rotwein wird mit zunehmende­m Alter heller. „Weil sich die Farbstoffe mit der Zeit untereinan­der verbinden und sich irgendwann als Depot am Boden absetzen, neigen gereifte Rotweine weniger zum Färben“, weiß Weinexpert­e Büscher. Allerdings müsste der Wein dann schon wenigstens fünf bis zehn Jahre alt sein.

Gibt es unter den Roten auch weniger gefährlich­e Blaumacher? Büscher rät zu „den roten Burgunders­orten, wie Spätburgun­der, St. Laurent oder Schwarzrie­sling sowie Württember­ger oder auch Portugiese­r“.

Und was sollten Weintrinke­r tun, die vom eigenen Spiegelbil­d im Badezimmer­spiegel

Dietmar Oesterreic­h, Zahnarzt

überrascht wurden? Sich entschuldi­gen oder diskret aus dem Staub machen? „Auf gar keinen Fall“, sagt Susanne HelbachGro­sser, die als Trainerin für Stilund Umgangsfor­men in Schwäbisch Gmünd arbeitet.

„Wenn ich etwas nicht mehr ändern kann, sollte ich es thematisie­ren“, schlägt die Stilexpert­in die Flucht nach vorne vor. Wenn man wieder an den Tisch zurückkehr­t, könne man eine Story daraus machen. Die könnte so gehen: „Schaut her, was passiert ist! Das erinnert mich ja so an meine Kindheit, wenn ich mit den Eltern Waldheidel­beeren gesammelt habe ...“Gehe man nicht offensiv mit dem Thema um, wird es auch schwierig für die anderen Gäste am Tisch. „Jeder kämpft dann mit der Frage: Soll ich es ihr oder ihm sagen oder lieber nicht?“

Aber auch für den Fall hat die Fachfrau einen entspreche­nden Ratschlag. „Bei heiklen Sachen gilt die Regel: Wenn der- oder diejenige es nicht sofort ändern kann, sollte man darüber hinwegsehe­n.“Etwas anderes wäre es, wenn jemand Kresse zwischen den Zähnen hat. Dann könne man einen dezenten Hinweis geben und der Betroffene kann Abhilfe schaffen.

Wer das blaue Risiko gar nicht erst eingehen will, weil es sich etwa um ein wichtiges Geschäftsd­inner handelt, sollte umschwenke­n. Susanne Helbach-Grosser rät: „Dann ist es besser, einen Weißwein zu bestellen.“

„Es ist vor allem die Plaque auf der Zahnoberfl­äche, welche die Farbe annimmt.“

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FOTO: DPA Blaue Lippen: Wer das beim Geschäftse­ssen vermeiden will, bestellt lieber Weißwein.

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