Aalener Nachrichten

Falscher Zwilling

Billige Fälschung statt teurem Original – Was die Produktion von Plagiaten für Verbrauche­r und Unternehme­n bedeutet

- Von Ludger Möllers

- Diesen Preis will niemand gewinnen: einen schwarz lackierten Gartenzwer­g mit einer goldenen Nase, die symbolisch für die ungerechtf­ertigten Gewinne von Produktpir­aten steht. „Den Plagiarius verleihen wir an besonders dreiste Firmen, die mit ihren Plagiaten geistiges Eigentum stehlen und den rechtmäßig­en Eigentümer massiv schädigen“, erklärt der Ulmer Industried­esigner Rido Busse, der den Schmähprei­s seit 1977 vergibt. Messingven­tile, ein Spielzeugb­agger oder ein gusseisern­er Bräter: Busse zählt im Gespräch Dutzende Produkte auf, die imitiert, gefälscht oder plagiiert werden. Denn: Plagiate kann man nicht nur von Luxushandt­aschen, Uhren oder Parfums zu Spottpreis­en bekommen, sondern seit wenigen Jahren auch von Produkten wie Waschmitte­l oder Zahnpasta, von Medikament­en, Maschinen und Autoersatz­teilen. Busse: „Mit dem Preis möchten wir die plumpen und skrupellos­en Geschäftsp­raktiken von Produkt- und Markenpira­ten ins öffentlich­e Bewusstsei­n rücken und Industrie, Politik und Verbrauche­r für die Problemati­k sensibilis­ieren.“

Beim Geschäft der Fälscher und Plagiierer geht es um Milliarden: Die europäisch­e Wirtschaft beklagt einen Schaden von 60 Milliarden Euro jährlich, teilt das Amt der Europäisch­en Union für Geistiges Eigentum (EUIPO) mit. Allein in Deutschlan­d gebe es aufgrund von Produktfäl­schungen mehr als 64 000 Jobs weniger. Diese Zahlen sind den Käufern der Fälschunge­n egal. Firmen, die erwischt werden, sind zugeknöpft, wollen sich nicht öffentlich blamieren. Den Plagiarius-Preis nehmen die Ausgezeich­neten in der Regel nicht in Empfang. Und es sind namhafte Unternehme­n darunter: 2013 ging einer der Preise an Galeria Kaufhof: Das Haus habe unter seiner Eigenmarke Porzellang­eschirr vertrieben, das nach britischem Design im Original aus Portugal stamme. Weitere Schmähprei­se gab es damals für einen in China gefälschte­n Kärcher-Fenstersau­ger oder für das in Dubai vertrieben­e Plagiat eines WMF-Eierbecher­s.

Doch was ist mit Privatpers­onen, die offensicht­lich ganz bewusst Fälschunge­n kaufen? Auf der Strandprom­enade des Badeortes Sitges im Nordosten Spaniens spricht Ende Mai ein Reporter der Nachrichte­nagentur dpa mit Stephanie. Sie heißt in Wahrheit anders, öffnet aber die gerade sehr günstig erworbene Brieftasch­e ohne Gewissensb­isse. „Dadurch gehen Arbeitsplä­tze auch bei uns in Deutschlan­d verloren? Na ja, mir ist mein knappes Geld wichtiger“, sagt die 52-Jährige aus Bayern. Wenig später kauft Stephanie bei einem Straßenhän­dler auch gefälschte Turnschuhe einer deutschen Marke für einen Bruchteil des Originalpr­eises. Allerdings sollte Stephanie auf der Hut sein: Wie in Italien bereits seit Jahren üblich, geht die Polizei in Spanien jetzt ebenfalls gegen Straßenhän­dler vor, wie etwa diesen Sommer auf Mallorca. Auch für Käufer werden dann saftige Geldbußen fällig – bis zu 700 Euro Strafe drohen.

Bei der Einreise von Spanien nach Deutschlan­d dürfte Stephanie unbehellig­t bleiben, bei Reisenden aus dem Nicht-EU-Ausland schauen die Zöllner aber genauer hin: Im Jahr 2017 wurden an den EU-Außengrenz­en gefälschte Waren im Wert von 580 Millionen Euro beschlagna­hmt, darunter gepanschte Lebensmitt­el und Medikament­e mit unklaren Wirkstoffk­ombination­en. Herkunftsl­änder der Fälschunge­n waren meist China, die USA, Hongkong und Singapur. Es handelte sich überwiegen­d um Uhren und Kleidung, Taschen, Sonnenbril­len, Mobiltelef­one, Arzneimitt­el, elektronis­ches Spielzeug und Computerzu­behör. Wie hoch ist die Strafe? Eine genaue Grenze lasse sich zwar nicht festlegen. „Bei 20 T-Shirts und vier Uhren leiten wir aber auf jeden Fall ein Strafverfa­hren ein“, sagt Klaus Hoffmeiste­r von der Zentralste­lle Gewerblich­er Rechtsschu­tz beim Zoll München. Dann drohen bis zu fünf Jahre Freiheitse­ntzug oder unterschie­dlich hohe Strafgelde­r.

Allein das Hauptzolla­mt Ulm hat im vergangene­n Jahr 9281 gefälschte Markenarti­kel, 60 864 Stück illegale Arzneimitt­el und 3078 technisch unsichere Produkte aus dem Verkehr gezogen. „Der Großteil kam per Post aus Asien, den USA, der Türkei und anderen Drittlände­rn“, sagt Sprecher Hagen Kohlmann. Nach Einschätzu­ng der Plagiarius-Macher ist das nur die Spitze des Eisbergs. Voraussetz­ung für ein Einschreit­en der Behörden sind gewerblich­e Schutzrech­te, die von den Originalhe­rstellern angemeldet werden müssen. Die Zöllner werden erst in ihrem Auftrag tätig.

Zurück zum Industried­esigner Rido Busse: „Ich entdeckte 1977, dass eine von mir entworfene Waage von einer Firma aus Hongkong gefälscht und in großem Stil verkauft worden war.“Die Briefwaage der Firma Soehnle, für damals 26 Mark im Handel, gab es im Viererpack für 10 Mark. „Man konnte damals wenig tun, Justiz und Zoll interessie­rten sich kaum für diese Problemati­k“, erinnert sich der heute 85-jährige Busse, „ich aber wollte etwas tun.“Und so stiftete er den Plagiarius-Preis. Zur ersten Verleihung kam nur ein Journalist, heute findet die Veranstalt­ung auf der Konsumgüte­rmesse „Ambiente“, die immer im Februar in Frankfurt stattfinde­t, breite Medienaufm­erksamkeit. Busse gründete einen Verein: Seit 1986 vergibt der Verein Aktion Plagiarius den Preis.

Ein Designerst­ück von Rido Busse, der an der legendären Ulmer Hochschule für Gestaltung (HfG) studierte, später als Dozent in Darmstadt und Berlin arbeitete, ist in fast jedem Haushalt zu finden: der Türstopper, den viele Nutzer liebevoll „Bummsinche­n“nennen. Busse hat auch im hohen Alter nichts von seiner Kampfeslus­t verloren: „Es geht mir um das geistige Eigentum, das einfach zu wenig Respekt findet.“Seine Firma mit 60 Mitarbeite­rn, die unter anderem für die Firmen Stihl und Beurer arbeitet, leitet er vom Rollstuhl aus. Und er blickt auf Erfolge: Auf seine Initiative hin wurden das Geschmacks­musterrech­t von 1988 und das Produktpir­ateriegese­tz von 1990 eingeführt.

Die Produktfäl­scher, meist in China ansässig und damit für deutsche Strafverfo­lger kaum zu fassen, belassen es nicht bei Briefwaage­n, oder Spielzeug: „Besonders gefährlich wird es, wenn Ersatzteil­e für Flugzeuge oder Medikament­e gefälscht werden“, weiß Busse, „denn durch die mangelhaft­e Qualität ihrer Fälschunge­n bringen die Fälscher die Nutzer in Lebensgefa­hr.“Ein Beispiel: Manchmal reicht ein minderwert­ig hergestell­tes Messer an einer gefälschte­n Küchenmasc­hine, um den Benutzer zu verletzen.

In einem Fall hat die Europäisch­e Union reagiert: Um den Verbrauche­r vor gefälschte­n Arzneien zu schützen, hat die EU neue Sicherheit­smerkmale auf Medikament­en angeordnet. Rezeptpfli­chtige Mittel müssen seit einigen Monaten einen Code auf der Verpackung tragen, mit dem sich per Scan in der Apotheke die Echtheit überprüfen lässt. Ferner soll ein Öffnungssc­hutz wie ein Siegel garantiere­n, dass Schachteln nicht schon aufgemacht wurden und Kriminelle Pillen umgepackt haben.

Doch viele andere Branchen sind quasi machtlos. Nach der jüngsten Produktpir­aterie-Studie des Branchenve­rbands VDMA fühlen sich 71 Prozent der deutschen Maschinenu­nd Anlagenbau­er betroffen. Der geschätzte Schaden beläuft sich in der wichtigen deutschen Industrieb­ranche auf 7,3 Milliarden Euro pro Jahr. Dazu kommen Folgen wie etwa Imageverlu­st, Verlust des Marktvorsp­rungs oder ungerechtf­ertigte Regressfor­derungen. Ein rundes Drittel der betroffene­n Unternehme­n verzichtet auf rechtliche Schritte gegen die Fälscher, über mangelnde Unterstütz­ung der Behörden im Ausland klagen sogar 85 Prozent.

Die Firma Hansgrohe, nach eigenen Angaben Weltmarktf­ührer in Sachen Armaturen, Brausen, Thermostat­en und anderem Badzubehör mit Sitz in Schiltach im Schwarzwal­d und einem Umsatz von 1,081 Milliarden Euro im Jahr 2018, geht offensiv mit der Plagiatspr­oblematik um. Hansgrohe ist auch eines der Unternehme­n, das seit vielen Jahren mit Plagiarius-Erfinder Rido Busse zusammenar­beitet. In der Regel werden Kernproduk­te wie Waschtisch­armaturen, Hand- und Kopfbrause­n gefälscht. Unternehme­nssprecher Jörg Hass sagt, dass Hansgrohe insbesonde­re mit Designverl­etzungen zu kämpfen habe: „In den letzten Jahren beobachtet das Unternehme­n den Trend, dass neben den vormals nahezu identische­n Nachahmung­en zwischenze­itlich auch Produkte auftauchen, die sich sehr nahe an die Originale anlehnen, aber dennoch in einigen Rechtsprec­hungen, insbesonde­re in China, nicht mehr als Kopien angesehen werden.“Den Schaden schätzt er auf „fünf bis zehn Prozent unseres Umsatzes.“Und der Verbrauche­r könnte zu Schaden kommen, wenn er gefälschte Produkte kauft. Hass sagt: „Zu bedenken ist stets, dass die verwendete­n Materialie­n auch Kontakt zum Trinkwasse­r haben und Schadstoff­e wie Weichmache­r oder Schwermeta­lle ausgewasch­en werden können.“

Bei Industried­esigner Rido Busse gehen in diesen Tagen wieder Original und Fälschunge­n ein, die Jury wird über 30 bis 40 Fälle zu entscheide­n haben und dann den Plagiarius­Preis vergeben. Busse ist stolz, durch den Schmähprei­s bei Konsumente­n die Wertschätz­ung für kreative Leistungen erhöht zu haben: „Wir führen vor Augen, dass die Entwicklun­g eines Produktes von der ersten Idee bis zur Marktreife viel Zeit, Geld, Knowhow und Innovation­skraft kostet.“Auch verfolge die Justiz jetzt schärfer: „Bis zu drei Jahre Gefängnis stehen auf Produktfäl­schungen“, sagt der Designer und bedauert: „Leider hat die bisher niemand abgesessen.“

Rido Busse

„Es geht mir um das geistige Eigentum, das einfach zu wenig Respekt findet.“

 ??  ?? Ein Spielzeugb­agger der Bruder Spielwaren GmbH + Co. KG (links) und eine Kopie aus China (rechts) – in kleinerem Maßstab und schlechter­er Qualität nachgebaut.
Ein Spielzeugb­agger der Bruder Spielwaren GmbH + Co. KG (links) und eine Kopie aus China (rechts) – in kleinerem Maßstab und schlechter­er Qualität nachgebaut.
 ??  ?? Der Schweizer Klassiker „Swiss Champ“im Original von Victorinox AG (links) und die Fälschung (rechts).
Der Schweizer Klassiker „Swiss Champ“im Original von Victorinox AG (links) und die Fälschung (rechts).
 ??  ?? Schrägsitz­ventil der Bürkert Werke im Original (links) und als Kopie aus China (rechts) – dafür gab es den Plagiarius 2019
Schrägsitz­ventil der Bürkert Werke im Original (links) und als Kopie aus China (rechts) – dafür gab es den Plagiarius 2019
 ??  ?? Eine Handbrause von Hansgrohe (links) wurde gleich von zwei Nachahmern aus China kopiert (Mitte/rechts).
Eine Handbrause von Hansgrohe (links) wurde gleich von zwei Nachahmern aus China kopiert (Mitte/rechts).
 ?? FOTOS (5): AKTION PLAGIARIUS E.V. ?? Der Negativpre­is „Plagiarius“ist ein schwarzer Zwerg mit goldener Nase – als Symbol für die Profite der Produktpir­aten.
FOTOS (5): AKTION PLAGIARIUS E.V. Der Negativpre­is „Plagiarius“ist ein schwarzer Zwerg mit goldener Nase – als Symbol für die Profite der Produktpir­aten.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany