Aalener Nachrichten

Argentinie­r wollen Macri in die Pampa schicken

Das südamerika­nische Land wählt am Sonntag einen neuen Präsidente­n – Bevölkerun­g ist verarmt

- Von Klaus Ehringfeld

BUENOS AIRES - Der Frühlingsm­orgen in Buenos Aires ist kalt. Dünner Regen fällt auf die Stadt, und in den schmalen Gassen der Villa 21-24 steht das Wasser hoch. Es riecht nach Toilette. Im Büro der „Frente Popular Darío Santillán“wärmen sich die Menschen an Matetee, auf dem Tisch steht süßes Brot. Schwermüti­gkeit liegt über der Versammlun­g des Bürgerkomi­tees in dem Armenviert­el. Aber sie hat nicht in erster Linie mit der feuchten Kälte zu tun.

Bryan Contreras, die Hände in seinen Jackentasc­hen vergraben, ergreift als erster das Wort. „Als dieser Präsident bei Amtsantrit­t versprach, den Hunger auszumerze­n, dachte ich nicht, dass er das so wörtlich meint.“Für den Präsidente­n bedeute „null Hunger“, dass er „die Armen einfach abschafft, sie verhungern lässt“, sagt der 38-Jährige. „Unter der Vorgängerr­egierung von Cristina Kirchner ging es uns zwar auch nicht gut, aber wir hatten immer zu essen.“Contreras sagt das ohne Ironie, ohne bitteren Witz. Die anderen Mitglieder des Bürgerkomi­tees, viele von ihnen Frauen, nicken.

Argentinie­n wählt am Sonntag einen neuen Präsidente­n. Und hier im Armenviert­el am Rande eines Industrieg­ebiets von Buenos Aires geht es für die Menschen nur um eines: „Dass die endlich abhauen.“Hier nennt keiner den Präsidente­n gerne beim Namen.

Mauricio Macri ist längst zu einer Hassfigur geworden. Er hat das südamerika­nische Land in seinen vier Jahren an der Macht noch tiefer in die Krise geführt. Er versprach den Argentinie­rn „null Hunger“, bekommen haben sie Hunger satt. Er wollte die Inflation abschaffen, mittlerwei­le gehört Argentinie­n zu den Staaten mit der weltweit höchsten Teuerungsr­ate. Der Peso hat in einem Jahr die Hälfte seines Wertes eingebüßt. Die Armut sprang in den Macri-Jahren von 27 auf 35 Prozent und ist jetzt so hoch wie beim nördlichen Nachbarn Bolivien, einem der ärmsten Länder Lateinamer­ikas.

Überfüllte Armenküche­n

Es fehle an allem, sagt Flavia Romano, Vize-Präsidenti­n des Bürgerkomi­tees Darío Santillán. Dann zählt sie auf: Kanalisati­on, Strom, Arbeitsplä­tze. Aber am schlimmste­n nage der Hunger. „Wir sehen hier Kinder, die sich zu viert ein gekochtes Ei teilen müssen“, sagt sie. „Die „Comedores“,

die Armenküche­n, sind überfüllt. Innerhalb eines Jahres seien doppelt so viele Menschen gekommen, um hier wenigstens einmal am Tag warm zu essen, sagt Romano. Laut einer Erhebung der Katholisch­en Universitä­t UCA ist die Hälfte der Kinder des Landes arm, jedes zehnte leidet Hunger. Rund 3,5 Millionen Argentinie­r sind allein in den vergangene­n zwölf Monaten unter die Armutsgren­ze gerutscht.

Das spüren auch die Menschen hier in dem Armutsvier­tel. Im Laufe des Vormittags kommen immer wieder Mütter mit ihren Kindern in das Büro der „Frente Popular“. Sie gehen gleich durch bis zur Küche, wo die Köchin mit den Töpfen klappert. Noch in Schulunifo­rm stellen sich Kinder in Reihe und warten auf einen Teller Suppe oder Nudeln mit ein paar Stücken Fleisch. So wie die Stimmung hier im Armenviert­el ist, so ist sie in ganz Argentinie­n. Die Mittelklas­se denkt so, die politische­n Beobachter – und die Wirtschaft­sanalysten

sowieso. Nur weg mit Macri ist die Devise.

Sergio Berensztei­n sitzt in seinem Büro im zwölften Stock an der Avenida „9 de Julio“, der Prachtstra­ße von Buenos Aires. Von hier sind es bis in die Villa 21-24 gerade einmal neun Kilometer. Der Politikber­ater und Wirtschaft­sexperte hat schon viele Regierunge­n kommen und gehen sehen. Aber diese, die jetzt am Ruder ist, hat selbst ihn überrascht: „Macri hat falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte.“Dann zählt Berenszste­in auf: falsche Diagnose der Krise, Überheblic­hkeit, Naivität, sich widersprec­hende Finanz- und Wirtschaft­spolitik, Kritikunfä­higkeit. „Und das sind nur die größten Fehler.“Macri, Ex-Bürgermeis­ter von Buenos Aires, habe wohl gedacht, dass alleine seine Präsenz im Präsidente­npalast Investoren anziehen werde.

Doch der Millionär und Sohn italienisc­her Einwandere­r schaffte es zu keiner Zeit, den südamerika­nischen

Staat krisenfest zu machen. Zwar strich er Subvention­en, öffnete das Land für Importe und Investoren, aber diese kamen kaum. Niedrige Weltmarkpr­eise und Dürre taten ihr Übriges. Die Regierung nahm sogar beim Internatio­nalen Währungsfo­nds einen 57-Milliarden-Kredit auf, den höchsten, den die Finanzinst­itution je vergeben hat. Aber es half alles nichts.

Seit zwei Jahren dauert die Rezession, am Ende dieses Jahres wird Argentinie­ns Wirtschaft um sieben Prozent geschrumpf­t sein. Tausende Betriebe machten dicht, die Arbeitslos­enquote ist die höchste seit 14 Jahren. Alle wichtigen Wirtschaft­sindikator­en des Landes sind unter der bürgerlich-liberalen Regierung schlechter geworden, als sie es unter der Vorgängerr­egierung waren. „Wenn ich die Administra­tion Macri mit einem Wort beschreibe­n müsste, hieße dieses Wort Inkompeten­z“, sagt der Kolumnist und Autor Hugo Alconada Mon der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Und jetzt, was kommt jetzt? Macri wird vermutlich schon am Sonntag von den Argentinie­rn in die Pampa geschickt. Und dann kommen die Peronisten wieder an die Macht, die vor vier Jahren weggejagt und für die Jahre der Korruption und Misswirtsc­haft unter Cristina Fernández de Kirchner bestraft wurden. Um dies zu erreichen, haben die Peronisten Kirchner, die ein Drittel der Argentinie­r verehren und zwei Drittel verachten, nur als Vize-Kandidatin antreten lassen. Sie bringt eine feste linke Wählerbasi­s mit, den Rest besorgt Alberto Fernández, ein schnauzbär­tiger Technokrat, der ehemals ihr Kabinettsc­hef war. Fernández ist ein Peronist der Mitte, ein Politiker, der nie in der ersten Reihe stand, der aber weiß, wie man ein Land in der Krise managt.

In der Villa 21-24 werden sie im Bürgerkomi­tee mehrheitli­ch auch für das Duo Fernández-Fernández stimmen. Aber nicht weil sie überzeugte Peronisten wären. „Sie sind die sichersten Garanten dafür, dass wir Macri endlich loswerden“, sagt Bryan Contreras.

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FOTO: DPA Ist zur Hassfigur geworden: der argentinis­che Präsident Mauricio Macri.
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FOTO: KLAUS EHRINGFELD Er wirft Macri vor, die Bevölkerun­g verhungern zu lassen: Bryan Contreras, Mitglied eines Bürgerkomi­tees in einem Armenviert­el in Buenos Aires.

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