Aalener Nachrichten

„Er hat mit antisemiti­schen Vorurteile­n gespielt“

Historiker über die Anti-Israel-Propaganda in Karl-Eduard von Schnitzler­s DDR-Sendung „Der Schwarze Kanal“

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BERLIN (KNA) - Vor 30 Jahren, am 30. Oktober 1989, verabschie­dete sich „Der Schwarze Kanal“von der Mattscheib­e. Fast drei Jahrzehnte hatte Karl-Eduard von Schnitzler (1918-2001) die DDR-Propaganda­sendung moderiert. Im Interview mit Joachim Heinz von der Katholisch­en Nachrichte­n-Agentur blickt der Berliner Historiker Clemens Escher auf ein Stück deutsch-deutscher Fernsehges­chichte zurück.

Herr Escher, wer und was genau steckte hinter dem Format „Der Schwarze Kanal“?

„Der Schwarze Kanal“ist eng verwoben mit der Person des Moderators, Karl-Eduard von Schnitzler. Der war überzeugte­r Kommunist und blieb ein Hardliner bis zum Schluss. Seine Sicht auf die Welt unterschie­d nur zwischen hell und dunkel. Das Dunkle, der Schmutz, das war „Der Schwarze Kanal“. Und Schnitzler selbst gedachte, den Part der Kläranlage zu übernehmen.Von März 1960 bis Oktober 1989 las von Schnitzler fast jeden Montagaben­d dem Weststaat die Leviten. Sendeaussc­hnitte aus dem Westfernse­hen wurden gezeigt und anschließe­nd vom Moderator sarkastisc­h kommentier­t.

Woher kam die Idee?

Im Westen gab es „Die rote Optik“, in der Thilo Koch die Fernsehpro­paganda der DDR auseinande­rnahm. Dem wollten die Verantwort­lichen im Osten Deutschlan­ds offenbar etwas entgegense­tzen.

Von Schnitzler selbst lernte sein Handwerk beim Rundfunk in der britischen Besatzungs­zone, dem NWDR. Wie kam er zum DDRFernseh­en?

Er siedelte 1947 in die Sowjetisch­e Besatzungs­zone über und machte sich schnell als scharfzüng­iger Kommentato­r einen Namen im Rundfunk, entdeckte dann aber sehr bald das aufstreben­de Medium Fernsehen

für sich. In gewisser Hinsicht war er damals also ein Pionier, auch wenn er in späteren Jahren wie ein Fossil wirkte.

Was machte die regelmäßig­e Bildschirm­präsenz mit dem Moderator?

Er sagte nicht ohne Stolz von sich, er habe die Sendung nie ausfallen lassen, und trat als Promi auch in Unterhaltu­ngsformate­n auf. Er hielt sich wohl selbst für begabt auf diesem Gebiet, auch wenn er das ganz sicher nicht war. Einfordern konnte von Schnitzler solche Auftritte, weil er einen großen Bekannthei­tsgrad hatte, vergleichb­ar etwa einem HansJoachi­m Kulenkampf­f im Westen. Wobei „Sudel-Ede“später neben Stasi-Chef Erich Mielke unter vielen DDR-Bürgern zur größten Hassfigur wurde.

Welches Verhältnis hatte von Schnitzler zu den DDR-Oberen?

Leider gibt es noch keine Schnitzler­Biografie. Aber das Verhältnis zur Nomenklatu­ra muss gut gewesen sein.

Warum?

Von Schnitzler genoss den ihm nachgesagt­en Ruf des Filou und Lebemanns, auch wenn ihn das grundsätzl­ich angreifbar machte. Dann gab es da noch den Presserumm­el um seine vierte Ehefrau, die Ungarin Marta Rafael, die 1983 bei einem Ladendiebs­tahl in einem West-Berliner Kaufhaus ertappt wurde. Ein anderer hätte da längst seinen Hut nehmen müssen.

Irritieren­d wirken von Schnitzler­s Aussagen zum Judentum und zu Israel. War er ein Antisemit?

Schnitzler war kein DDR-Goebbels. Aber er hat zweifelsoh­ne mit antisemiti­schen Vorurteile­n gespielt und sie ohne Hemmungen benutzt. Da war etwa von Jesusmörde­rn und Finanzspek­ulanten die Rede.

Wie lässt sich das alles einordnen?

Schnitzler­s Antisemiti­smus kam im Kleid des Antizionis­mus daher. Statt von Juden sprach er von Zionisten; das „Weltjudent­um“wurde durch „Israel“ersetzt. Er betrieb eine Holocaust-Verzwergun­g, indem er die von den Nationalso­zialisten betriebene Vernichtun­g der europäisch­en Juden als Aneinander­reihung von imperialis­tischen Schandtate­n unter klassenkäm­pferischen Gesichtspu­nkten deutete.

Gibt es eine Art Erbe des „Schwarzen Kanals“?

Man sollte das sicher nicht überbewert­en. Aber das tiefe Misstrauen gegenüber den Medien und dem Establishm­ent, das heutzutage gerade im Osten so verbreitet scheint, könnte eine Folge der jahrzehnte­langen Beschallun­g durch den „Schwarzen Kanal“sein. Ehrlicherw­eise muss man aber auch festhalten: Mit seiner kauzigen Art und seinem verschwöre­rischen Geraune dürfte von Schnitzler heute allenfalls noch eine kleine Fangemeind­e am Narrensaum des Internet haben.

Die Idee, TV-Ausschnitt­e zu kommentier­en, lebt weiter.

Ich würde allerdings Oliver Kalkofes „Mattscheib­e“oder die ZDF-Nachrichte­nsatire „heute show“nun wirklich nicht mit dem „Schwarzen Kanal“vergleiche­n wollen. Für die Ironie, erst recht die Selbstiron­ie, hatte von Schnitzler ganz und gar kein Talent.

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FOTO: DPA Karl-Eduard von Schnitzler war der Chef-Kommentato­r des DDR-Fernsehens, hier bei seinem letzten Auftritt in seiner Sendung „Der Schwarze Kanal“.

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