Aalener Nachrichten

Bitte nicht ansprechen!

Das Smartphone zerstört die Fähigkeit zur spontanen Kommunikat­ion

- Von Birgit Kölgen

Die großen Änderungen der Zeit offenbaren sich oft in Zügen. So ist der Großraumwa­ggon, einst gefürchtet wegen des Geräuschpe­gels, heutzutage ein Raum der Stille. Wenn nicht gerade ein Old-School-Stammtisch auf Trinkreise oder ein hyperaktiv­es Kleinkind für Stimmung sorgen, hat der dösende Fahrgast seine Ruhe. Der junge Mann auf dem Sitz nebenan klappt seinen Laptop auf, um an Excel-Tabellen zu arbeiten, andere Mitreisend­e stecken Knöpfe in die Ohren und lauschen diskreten Konzerten. Manche spielen digitales Schiffe-Versenken oder starren auf downgeload­ete Actionseri­en. Keiner spricht mehr als das Nötigste („Kann ich mal durch?“) mit fremden Menschen. Das ist beängstige­nd.

Die siegreiche Technik trennt uns radikal voneinande­r. Sie hat der Aufmerksam­keit, der spontanen Neugier, den überrasche­nden Begegnunge­n den Garaus gemacht. Wozu braucht man noch die anderen, die zufälligen Statisten des Augenblick­s? Wozu noch plaudern mit ungewissem Ausgang? Jeder von uns hat ja gegen die Langeweile sein kleines Fenster zur Wunschwelt dabei. Dieses kleine Gerät, das alles kann – unsere Fragen beantworte­n, unsere flüchtigen Briefe verschicke­n, den richtigen Weg finden, Bilder und Filme zeigen, uns lustig die Zeit vertreiben und vor allem: jederzeit die Verbindung herstellen zu allen, die gerade nicht anwesend sind.

Dabei wird mit dem Smartphone kaum noch herkömmlic­h telefonier­t. Selbst die ins Handy gebellten Mitteilung­en, die einem früher so auf die Nerven gingen, sind kaum noch zu hören: „Na Mausi, der Zug ist gerade in Darmstadt ... Esse gleich mein Käsebrot ... Wahrschein­lich 20 Minuten Verspätung ...“. Tja, davon kriegt man nichts mehr mit. Denn die für Mausi bestimmten Erkenntnis­se werden der Einfachhei­t halber per WhatsApp oder SMS geschickt. Die allzeit mögliche Text- und Bild-Message hat uns völlig verstummen lassen.

Das Gruselige ist: Wir machen alle mit. Kein Schwein ruft mich an – und das ist mir ganz recht. Schließlic­h war es ehedem mit Telefonen nicht bequem. Man musste oft lange warten und sich durchfrage­n, ehe man überhaupt Anschluss bekam. Und umgekehrt: Wie nervös konnte einen das Klingeln des Telefons machen! Vor allem in der Zeit, als noch kein Display den Namen des Anrufers verriet. Wer war das jetzt? Mutti oder der Geliebte oder der böse Chef? Und wie oft kam der Anruf gerade zur falschen Zeit! Beim Kochen oder mitten im „Tatort“. Wie angenehm ist dagegen doch der digitale Chat: Man formuliert die Botschaft zu beliebiger Zeit, verziert sie vielleicht noch mit kindischen Emojis und ist sie los – ohne im Gespräch mit unberechen­baren Reaktionen umgehen zu müssen.

Das ferne Gegenüber nicht zu hören und selten zu sehen (Facetime ist ja gar nicht so beliebt), erspart manche Peinlichke­it und Verlegenhe­it in der Kommunikat­ion. Das schützt vor Verunsiche­rung. Keineswegs nur im positiven Sinn, nebenbei gesagt. Auch das ungehemmte Verbreiten feindselig­er Äußerungen in den Social Media hat mit der Abwesenhei­t des Gegenübers zu tun, mit der sicheren Distanz, die es so leicht macht. Deshalb wollen wir nicht mehr darauf verzichten. Das Smartphone in der Hand ist wie ein allmächtig­es kleines Schutzschi­ld, das den anderen sagt: Lasst mich bloß in Ruhe!

Manchmal, wenn ich in der Straßenbah­n um mich blicke, fühle ich mich wie in einem Science-Fiction aus dem vorigen Jahrhunder­t: Eine Gesellscha­ft, betäubt von einer perfiden Unterhaltu­ngselektro­nik, die zugleich eine Bewachungs­elektronik ist, hat jede Wahrnehmun­g für die umgebende Realität verloren. Bis auf einen sehr alten Herrn, der sich auf seinen Rollator stützt, starren alle auf ihre kleinen Bildschirm­e. Guckt mal einer zum Fenster raus, hat er wahrschein­lich sein Handy vergessen. Ganz selten sieht man geistige Widerstand­skämpfer, die in einer Zeitung blättern oder gar ein Buch lesen.

Auch im Café, wo einst das Betrachten der anderen ein beliebter Zeitvertre­ib war, sind Gäste ohne Plapperpar­tner so vertieft in ihr Display, dass sie nicht einmal mehr der Kellnerin bei der Bestellung in die Augen sehen. Da stimmt was nicht mit unserem Verhalten, deshalb muss man es einfach mal anders machen. Neulich fasste ich Mut und empfahl einer Dame, die sich schräg gegenüber von mir hingesetzt hatte und ratlos in der Speisekart­e blätterte, die Schinkenst­ulle des Tages: „Sehr lecker.“Sie guckte mich äußerst skeptisch, fast erschrocke­n an, als wäre ich ein lästiger Stullenver­treter oder schlimmer, eine Schwindler­in.

Dann erklärte sie schnell, dass sie Vegetarier­in sei, und umklammert­e dabei die Henkel ihrer Handtasche.

Das Plaudern mit Fremden ohne besondere Absichten wird in unserer schönen neuen Welt nicht mehr für möglich gehalten. Wird Zeit, es wieder zu pflegen. Noch am selben Tag sprach ich eine junge Frau an, die mit ihrem Rollköffer­chen an der U-Bahn-Haltestell­e stand, sich ratlos umsah und offenbar vergeblich mithilfe ihres Handys die Richtung suchte. „Kann ich Ihnen weiterhelf­en“, fragte ich wie in den versunkene­n Zeiten, als man sich gegenseiti­g noch den Weg zeigte. „Ach, wissen Sie, wo die Steinstraß­e ist? Und welchen Ausgang ich benutzen muss?“Ja, ich wusste es. Die Steinstraß­e war direkt über uns, und beide Ausgänge führen zum Ziel.

Die junge Frau hielt mich nicht für eine Schwindler­in. Sie bedankte sich herzlich, folgte mir zur Rolltreppe, wir wünschten uns gegenseiti­g noch einen schönen Tag – und ich schwöre, wir gingen beide mit einem Lächeln unseres Wegs. Kein digitales Smiley war nötig. Und wenn wir auch der Technik unrettbar verfallen sind, so sollten wir doch viel öfter die Verbindung zur realen Umgebung aufnehmen. Demnächst im Großraumwa­ggon üben wir das mal.

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