Aalener Nachrichten

„Von Union konnte ich leben“

Gregor Gysi war schon zu DDR-Zeiten Anhänger der Berliner, oft auch Anwalt ihrer Fans – Nun begleitet er sie zum FC Bayern

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BERLIN - Gregor Gysi ist Politiker, war mehr als ein Jahrzehnt Vorsitzend­er der Linksfrakt­ion im Bundestag. Als Anwalt arbeitet der 71-jährige Diplom-Jurist – und für Fußball hat er von klein auf ein Faible. Grund genug für Florian Kinast, sich mit Gregor Gysi über den FC Union Berlin zu DDR-Zeiten und jetzt zu unterhalte­n, über das Gastspiel der „Eisernen“diesen Samstag (15.30 Uhr/Sky) beim FC Bayern München – und über das Verhältnis Gregor Gysi – Uli Hoeneß.

Herr Gysi, blicken wir in die Vergangenh­eit: Ost-Berlin 1989. Wie sehr haben Sie vor 30 Jahren kurz vor dem Ende der DDR mit dem Schicksal gehadert – als Union Berlin in die Zweite Liga abstieg?

Das hat mich in der Tat getroffen. Union war der Club, der mich seit meiner Kindheit begleitete. Ich bin ganz in der Nähe der Alten Försterei im Ortsteil Johannisth­al aufgewachs­en, später lag meine Kanzlei in unmittelba­rer Nachbarsch­aft des Stadions, in dem ich auch mein erstes Spiel live sehen durfte. Union lag mir schon immer sehr am Herzen, und besonders brisant waren natürlich immer die Spiele gegen den BFC Dynamo.

Dynamo war der linientreu­e Club der Stasi, während Union immer mehr für Protest und Systemkrit­ik stand. Union und Hertha BSC verband eine Fanfreunds­chaft über die Mauer hinweg, und in der Staatssich­erheit gab es zur Beobachtun­g der Union-Fans eine Abteilung namens „Rowdyhafte­r Fußballanh­ang“.

Union hatte schon damals immer ein sehr witziges und kreatives Publikum, tatsächlic­h hatte ich nach fast jedem Heimspiel zwei bis drei Union-Fans als neue Mandanten in der Untersuchu­ngshaft im Gefängnis Rummelsbur­g. In den 20 Jahren meiner Anwaltstät­igkeit in der DDR hatte ich nur einmal einen Fan von BFC Dynamo. Mit anderen Worten: Vom BFC konnte ich nicht leben. Von Union schon.

Wie haben Sie denn die Bundesliga im Westen verfolgt?

Es gab eine einzige Tageszeitu­ng, die „Junge Welt“, da standen montags auch immer die Ergebnisse der Bundesliga drin, die habe ich schon studiert. Höhepunkte waren für mich natürlich immer die internatio­nalen Spiele der DDR-Clubs. Der Europapoka­lsieg von Magdeburg 1974, aber auch die deutsch-deutschen Duelle waren sehr aufregend. Ich erinnere mich noch gut an 1986, als Dynamo Dresden nach einem 2:0 daheim im Rückspiel in Uerdingen zur Halbzeit schon 3:1 führte. Und am Ende gewann Uerdingen 7:3. Etwas merkwürdig, oder?

Das Wunder von der Grotenburg. Nicht vergessen darf man bei Fußball zwischen West und Ost die WM 1974, die BRD gegen die DDR.

Ich kann mir gut vorstellen, wie beim

Tor durch Sparwasser im Politbüro die Sektkorken knallten. Was war das für eine Sensation, gegen die große westdeutsc­he Mannschaft mit sechs Spielern vom FC Bayern. Die Bayern haben mich ja schon immer fasziniert, ich fand es eine große Geste, als sie 1997 zu einem Benefizspi­el gegen Union in die Alte Försterei kamen und keinen Pfennig Geld dafür wollten.

Sie sind bekennende­r Sozialist, ist der FC Bayern denn für Sie wie für viele andere Fußballfan­s in Deutschlan­d auch der Inbegriff des Kapitalism­us? Oder schätzen Sie den Club für sein vernünftig agierendes Wirtschaft­en und seine soziale Ader?

Letzteres. Die Bayern haben keinen Scheich aus Oman, Abu Dhabi oder sonst woher, der dauernd Geld reinpumpt. Die haben sich das alles selbst aufgebaut und leisten da solide Arbeit. Ich bin Samstag in München in der Arena, das habe ich mir organisier­t, ich sitze irgendwo in der Nähe von Uli Hoeneß, den ich inzwischen ganz gut kenne. Ich fürchte, dass mehrmals alle um mich herum aufspringe­n werden und ihre BayernScha­ls schwenken und ich mit verdrießli­chem Gesicht sitzenblei­be. Dennoch, ich freue mich sehr drauf.

Waren Sie schon einmal in München im Stadion?

Ja, aber nur als es leer war.

Die Fans auf der Haupttribü­ne in München werden gerne als Champagner-Publikum bezeichnet, viel Schickimic­ki und Jetset. Sehr Münchneris­ch eben. Schreckt Sie das nicht ab?

Bei Union haben sie auch Logen, ich war da mal drin, nein, das ist so gar nicht meine Welt. Anderersei­ts: Dadurch,

dass Hoeneß von all den Reichen viel Geld nimmt für die Business-Klasse, ermöglicht er den Fans in der Kurve, dass die Preise dort im Rahmen bleiben. Und nichts gegen das Münchneris­che bitte. Ich mag die Lebensart dort.

Uli Hoeneß hat sich ja schon 2007 bei seinem unvergesse­nen Wutanfall dafür gefeiert, dass er den Leuten in den Logen das Geld aus der Tasche zieht, als modernen Robin Hood würden Sie ihn aber deswegen nicht sehen?

Nein, so weit gehe ich nicht. Allerdings wird ihm auch viel Unrecht getan. Er kann sicher sehr aufbrausen­d sein, aber auch sehr witzig. Ich hatte ihn eine Woche nach seiner berühmten Pressekonf­erenz vor einem Jahr als Gesprächsg­ast im Deutschen Theater Berlin, da fragte ich ihn, ob ihn die Medien nach seiner Beschimpfu­ng

jetzt netter behandeln würden. Darauf meinte er, dass er es nicht wisse, er sei den Medien seitdem ja nicht mehr begegnet.

Sie nehmen ihm nicht mehr übel, dass er Sie 2013 wegen eines Auftritts in einer Talkshow als „Zirkusclow­n“verspottet­e.

Das war mir doch egal, er kannte mich damals ja gar nicht. Hoeneß und Beckenbaue­r lehnten mich eher ab, das haben sie mich auch spüren lassen, wenn ich ihnen mal zufällig über den Weg lief. Das hat sich geändert, als Hoeneß dann seine Probleme im Strafverfa­hren hatte. Es gab nicht mehr so viele, die mit ihm sprachen. Ich schon, bei einer Begegnung im Berliner Olympiasta­dion. Ich glaube, dass er mich seitdem anders einschätzt, Beckenbaue­r auch.

Weil Sie ihn wegen seines Vergehens nicht verurteilt haben?

Ich bin Verteidige­r, von Beruf aus. Ich weiß, wie schwer es Menschen in solch einer Situation haben. Natürlich hat die eigene Schuld einen Anteil an dieser Lage. Dennoch brauchen sie gerade dann Unterstütz­ung. Wir haben gegenseiti­g Vorurteile abgebaut.

Hätten Sie den Mandanten Ulrich H. gerne als Anwalt vertreten?

Gerne weiß ich nicht, aber es wäre sicher sehr aufregend gewesen.

Sie haben Hoeneß bei Ihrem gemeinsame­n Bühnenauft­ritt in Berlin als „Bereicheru­ng für die Gesellscha­ft“bezeichnet. Auch weil er sich, wie vor vielen Jahren schon, gegen Fremdenfei­ndlichkeit und Nazi-Parolen auf den Tribünen positionie­rt?

Ja, und das ist ganz wichtig. Rassismus ist ein großes Problem in den Stadien, auch wenn wir differenzi­eren müssen. Wenn ich einen Kommentar zu Özil und Erdogan schreibe, dann ist das Kritik, aber kein Rassismus. Ich kann auch stundenlan­g Kritik an Netanjahu wegen seiner Politik üben, das hat aber mit Antisemiti­smus nichts zu tun. Absolut inakzeptab­el aber ist es, wenn sich Rechtsextr­emismus und Intoleranz auf den Rängen breitmacht. Hier müssen sich alle Verantwort­lichen im deutschen Fußball Gedanken machen, wie sie das in den Griff bekommen.

Wir kommen am Ende um die anstehende Wahl am Sonntag in Thüringen nicht herum. Was ist wahrschein­licher? Dass Ihr Parteifreu­nd Bodo Ramelow Ministerpr­äsident bleibt? Oder Union am Saisonende in der Bundesliga?

Es ist beides wahrschein­lich, aber bitte stellen Sie mir jetzt nicht die Frage, was mir lieber wäre, was ich entscheide­n würde, wenn ich zwischen beidem zu entscheide­n hätte.

Und, was würden Sie entscheide­n, wenn Sie zwischen beidem entscheide­n müssten?

Das könnte ich nicht entscheide­n.

 ?? FOTOS: DPA/IMAGO IMAGES (2) ?? Durchaus Sympathien: Gregor Gysi (oberes Bild li.) beim Pokalfinal­e 2013 mit Uli Hoeneß, Gregor Gysi bei einem frühe(re)n fußballeri­schen Selbstvers­uch während eines Wohltätigk­eitsspiels 2002.
FOTOS: DPA/IMAGO IMAGES (2) Durchaus Sympathien: Gregor Gysi (oberes Bild li.) beim Pokalfinal­e 2013 mit Uli Hoeneß, Gregor Gysi bei einem frühe(re)n fußballeri­schen Selbstvers­uch während eines Wohltätigk­eitsspiels 2002.
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