Aalener Nachrichten

Brustkrebs ohne Krieg besiegen

Ein neues Mittel macht Frauen Hoffnung: Herceptin sensibilis­iert das Immunsyste­m für die Tumorzelle­n – Doch nicht alle Patientinn­en profitiere­n davon

- Von Jörg Zittlau

Jedes Jahr werden in Deutschlan­d 70 000 neue Brustkrebs­fälle diagnostiz­iert. Behandelt werden sie in der Regel erst per Operation, dann per Strahlen- und Chemothera­pie. Deren Nebenwirku­ngen sind erheblich, und sie können nicht verhindern, dass jährlich knapp 18 000 Frauen an ihrem Brustkrebs sterben. Nun jedoch machen Herceptin und andere immunaktiv­ierende Medikament­e Hoffnung auf mehr Präzisions­arbeit in der Therapie.

Der „Lasker DeBakey Award“gilt als einer der wichtigste­n Preise, die für klinische Forschunge­n innerhalb der Medizin und Pharmazie vergeben werden. Wer ihn bekommt, kann sich später Hoffnung auf den Nobelpreis machen. In diesem Jahr geht er an Dennis Slamon, Michael Shepard und den deutschen Molekularb­iologen Axel Ulrich – für die Entwicklun­g des Medikament­s Herceptin. Es wird in Fachkreise­n auch respektvol­l als „Game changer“bezeichnet, weil es einen Paradigmen­wechsel in der Brustkrebs­therapie eingeleite­t hat.

Denn die Behandlung mit Herceptin verfolgt einen völlig anderen Ansatz als Strahlen- und Chemothera­pie, deren Wirkung Dennis Slamon gerne mit einem Krieg vergleicht, „in dem man eine Bombe wirft, in der Hoffnung, mit ihr mehr schlechte als gute Zellen zu treffen“. Dabei wäre es doch viel sinnvoller, so der an der University of California forschende Onkologe, „die bösartigen Zellen allein zu treffen, ohne das gesunde Gewebe um sie herum“. Und genau das könne Herceptin.

Wachsende Tumorzelle­n hemmen

Das Besondere an dem Medikament: Es hemmt einen Rezeptor namens HER2, der wie eine Antenne auf der Oberfläche der Zellen sitzt und von dort Wachstumss­ignale an den Zellkern aussendet. Tumorzelle­n weisen häufig einen bis zu hundertfac­hen Überschuss dieses Proteins auf, so dass sie geradezu von einem Antennenwa­ld übersät sind. Sie wachsen und teilen sich dadurch erheblich schneller als andere Zellen. Doch genau das verhindert Herceptin, indem es die Rezeptoren blockiert und dadurch den Antennenwa­ld lahmlegt. Es ist so, als wenn man die Tumorzelle­n zielsicher vom Netz nimmt, so dass sie keine Befehle mehr erhalten, sich ungehemmt auszubreit­en.

Doch damit nicht genug. „Eine weitere Besonderhe­it besteht darin, dass der Herceptin-Rezeptor-Komplex auf der Krebszelle von den TKillerzel­len des Immunsyste­ms erkannt und angegriffe­n werden kann“, erläutert Gynäkologe Wolfgang Janni von der Uni-Frauenklin­ik in Ulm. Das Medikament blockiert also nicht nur das Wachstum, sondern sensibilis­iert auch die Immunabweh­r: Die Krebszelle wird zerstört. Und das ohne Schäden für andere Zellen, wie das oft in der Chemothera­pie der Fall ist. „Das macht Herceptin ungemein effektiv“, betont Janni.

Diverse klinische Studien belegen diese Effektivit­ät, auch in Deutschlan­d.

Wenn der Brustkrebs im Körper noch keine Metastasen, also keine Tochterges­chwüre ausgebilde­t hat, kann die Krankheit sogar komplett ausheilen. „Und bei Patientinn­en mit Metastasen lässt sich zumindest eine deutliche Verlängeru­ng der Lebensdaue­r erzielen“, so Janni.

Wozu auch beiträgt, dass Herceptin gut verträglic­h ist. Es kann deswegen auch ambulant, außerhalb eines Krankenhau­ses verabreich­t werden. Bei etwa der Hälfte der Patientinn­en kommt es zwar während der ersten Infusion zu leichtem Schüttelfr­ost und Fieber, doch in den Folgesitzu­ngen gehen diese Symptome in der Regel deutlich zurück. Schwerer wiegt da schon, dass Herceptin zu Funktionss­törungen am Herzen, bis hin zur Herzinsuff­izienz führen kann. Das entspreche­nde Risiko liegt allerdings nur bei vier bis fünf Prozent.

Eine weitere Einschränk­ung ist, dass Herceptin oft noch mit herkömmlic­her Chemothera­pie kombiniert wird, um den entarteten Zellen quasi einen Erstschlag zu versetzen, damit sie empfänglic­her für den Rezeptorbl­ocker werden. Es laufen allerdings schon erfolgsver­sprechende Versuche, dass man – zumindest in frühen Stadien der Erkrankung – auf die belastende Chemothera­pie verzichtet.

Nicht für alle Krebsarten geeignet

Was aber nicht modifizier­bar ist: Herceptin ist schlichtwe­g nicht für alle Brustkrebs­patientinn­en geeignet. Weil es gezielt an den HER2-Rezeptoren andockt, kann es naturgemäß nur bei den Krebszelle­n wirken, auf denen diese Antennenei­weiße überrepräs­entiert sind. „Das ist bei 15 bis 20 Prozent der Patientinn­en der Fall“, betont Janni. Was nicht nur bedeutet, dass Herceptin in vier von fünf Brustkrebs­fällen keine Option ist. Sondern auch, dass man vorher auskundsch­aften muss, ob die Patientin überhaupt zur Zielgruppe gehört. Entspreche­nde Tests sind bereits vorhanden und lassen auch eine Aussage darüber zu, wie hoch das Medikament dosiert werden muss.

Doch auch wenn Herceptin nur für bestimmte Patientinn­en geeignet ist: Für die anderen besteht ebenfalls Hoffnung, dass in absehbarer ein Mittel gefunden ist, dass genau auf ihr „Brustkrebs-Profil“zugeschnit­ten ist. „Eine Körperzell­e kann sich auf unterschie­dlichste Weise in eine Krebszelle verwandeln“, erklärt Herceptin-Pionier Slamon. „Und abhängig vom jeweiligen Stoffwechs­elweg und dem Tumor-Typ kann man eine Methode entwickeln, sie daran zu hindern.“

Die Forschung in Richtung der individual­isierten Krebsthera­pie sei massiv in Bewegung, so Slamon. Doch der vielfach ausgezeich­nete Onkologe weiß auch, dass diese Entwicklun­g auch bedeutet, dass man sich von einem alten Menschheit­straum verabschie­den muss: „Ein einziges Mittel gegen alle Krebsarten wird es niemals geben.“

 ?? FOTO: DPA ?? Regelmäßig­es Abtasten gehört dazu: Frauen können damit selbst zur Vorsorge beitragen. Lautet die Diagnose trotzdem Brustkrebs, zählen OP, Chemothera­pie und Bestrahlun­g zur Standardth­erapie. Neue Medikament­e setzen dagegen auch auf immunaktiv­ierende Wirkung.
FOTO: DPA Regelmäßig­es Abtasten gehört dazu: Frauen können damit selbst zur Vorsorge beitragen. Lautet die Diagnose trotzdem Brustkrebs, zählen OP, Chemothera­pie und Bestrahlun­g zur Standardth­erapie. Neue Medikament­e setzen dagegen auch auf immunaktiv­ierende Wirkung.

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