Brustkrebs ohne Krieg besiegen
Ein neues Mittel macht Frauen Hoffnung: Herceptin sensibilisiert das Immunsystem für die Tumorzellen – Doch nicht alle Patientinnen profitieren davon
Jedes Jahr werden in Deutschland 70 000 neue Brustkrebsfälle diagnostiziert. Behandelt werden sie in der Regel erst per Operation, dann per Strahlen- und Chemotherapie. Deren Nebenwirkungen sind erheblich, und sie können nicht verhindern, dass jährlich knapp 18 000 Frauen an ihrem Brustkrebs sterben. Nun jedoch machen Herceptin und andere immunaktivierende Medikamente Hoffnung auf mehr Präzisionsarbeit in der Therapie.
Der „Lasker DeBakey Award“gilt als einer der wichtigsten Preise, die für klinische Forschungen innerhalb der Medizin und Pharmazie vergeben werden. Wer ihn bekommt, kann sich später Hoffnung auf den Nobelpreis machen. In diesem Jahr geht er an Dennis Slamon, Michael Shepard und den deutschen Molekularbiologen Axel Ulrich – für die Entwicklung des Medikaments Herceptin. Es wird in Fachkreisen auch respektvoll als „Game changer“bezeichnet, weil es einen Paradigmenwechsel in der Brustkrebstherapie eingeleitet hat.
Denn die Behandlung mit Herceptin verfolgt einen völlig anderen Ansatz als Strahlen- und Chemotherapie, deren Wirkung Dennis Slamon gerne mit einem Krieg vergleicht, „in dem man eine Bombe wirft, in der Hoffnung, mit ihr mehr schlechte als gute Zellen zu treffen“. Dabei wäre es doch viel sinnvoller, so der an der University of California forschende Onkologe, „die bösartigen Zellen allein zu treffen, ohne das gesunde Gewebe um sie herum“. Und genau das könne Herceptin.
Wachsende Tumorzellen hemmen
Das Besondere an dem Medikament: Es hemmt einen Rezeptor namens HER2, der wie eine Antenne auf der Oberfläche der Zellen sitzt und von dort Wachstumssignale an den Zellkern aussendet. Tumorzellen weisen häufig einen bis zu hundertfachen Überschuss dieses Proteins auf, so dass sie geradezu von einem Antennenwald übersät sind. Sie wachsen und teilen sich dadurch erheblich schneller als andere Zellen. Doch genau das verhindert Herceptin, indem es die Rezeptoren blockiert und dadurch den Antennenwald lahmlegt. Es ist so, als wenn man die Tumorzellen zielsicher vom Netz nimmt, so dass sie keine Befehle mehr erhalten, sich ungehemmt auszubreiten.
Doch damit nicht genug. „Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass der Herceptin-Rezeptor-Komplex auf der Krebszelle von den TKillerzellen des Immunsystems erkannt und angegriffen werden kann“, erläutert Gynäkologe Wolfgang Janni von der Uni-Frauenklinik in Ulm. Das Medikament blockiert also nicht nur das Wachstum, sondern sensibilisiert auch die Immunabwehr: Die Krebszelle wird zerstört. Und das ohne Schäden für andere Zellen, wie das oft in der Chemotherapie der Fall ist. „Das macht Herceptin ungemein effektiv“, betont Janni.
Diverse klinische Studien belegen diese Effektivität, auch in Deutschland.
Wenn der Brustkrebs im Körper noch keine Metastasen, also keine Tochtergeschwüre ausgebildet hat, kann die Krankheit sogar komplett ausheilen. „Und bei Patientinnen mit Metastasen lässt sich zumindest eine deutliche Verlängerung der Lebensdauer erzielen“, so Janni.
Wozu auch beiträgt, dass Herceptin gut verträglich ist. Es kann deswegen auch ambulant, außerhalb eines Krankenhauses verabreicht werden. Bei etwa der Hälfte der Patientinnen kommt es zwar während der ersten Infusion zu leichtem Schüttelfrost und Fieber, doch in den Folgesitzungen gehen diese Symptome in der Regel deutlich zurück. Schwerer wiegt da schon, dass Herceptin zu Funktionsstörungen am Herzen, bis hin zur Herzinsuffizienz führen kann. Das entsprechende Risiko liegt allerdings nur bei vier bis fünf Prozent.
Eine weitere Einschränkung ist, dass Herceptin oft noch mit herkömmlicher Chemotherapie kombiniert wird, um den entarteten Zellen quasi einen Erstschlag zu versetzen, damit sie empfänglicher für den Rezeptorblocker werden. Es laufen allerdings schon erfolgsversprechende Versuche, dass man – zumindest in frühen Stadien der Erkrankung – auf die belastende Chemotherapie verzichtet.
Nicht für alle Krebsarten geeignet
Was aber nicht modifizierbar ist: Herceptin ist schlichtweg nicht für alle Brustkrebspatientinnen geeignet. Weil es gezielt an den HER2-Rezeptoren andockt, kann es naturgemäß nur bei den Krebszellen wirken, auf denen diese Antenneneiweiße überrepräsentiert sind. „Das ist bei 15 bis 20 Prozent der Patientinnen der Fall“, betont Janni. Was nicht nur bedeutet, dass Herceptin in vier von fünf Brustkrebsfällen keine Option ist. Sondern auch, dass man vorher auskundschaften muss, ob die Patientin überhaupt zur Zielgruppe gehört. Entsprechende Tests sind bereits vorhanden und lassen auch eine Aussage darüber zu, wie hoch das Medikament dosiert werden muss.
Doch auch wenn Herceptin nur für bestimmte Patientinnen geeignet ist: Für die anderen besteht ebenfalls Hoffnung, dass in absehbarer ein Mittel gefunden ist, dass genau auf ihr „Brustkrebs-Profil“zugeschnitten ist. „Eine Körperzelle kann sich auf unterschiedlichste Weise in eine Krebszelle verwandeln“, erklärt Herceptin-Pionier Slamon. „Und abhängig vom jeweiligen Stoffwechselweg und dem Tumor-Typ kann man eine Methode entwickeln, sie daran zu hindern.“
Die Forschung in Richtung der individualisierten Krebstherapie sei massiv in Bewegung, so Slamon. Doch der vielfach ausgezeichnete Onkologe weiß auch, dass diese Entwicklung auch bedeutet, dass man sich von einem alten Menschheitstraum verabschieden muss: „Ein einziges Mittel gegen alle Krebsarten wird es niemals geben.“