Aalener Nachrichten

Kerosin aus der Luft

Forscher arbeiten an umweltfreu­ndlichem Treibstoff für Flugzeuge – Solartürme produziere­n Biosprit aus Sonnenlich­t, Wasser und Kohlendiox­id

- Von Roland Knauer

In zehn bis 15 Jahren aber scheinen Anlagen im Industriem­aßstab möglich.

Forscher Christian Sattler hofft, dass bald große Mengen alternativ­en Treibstoff­s hergestell­t werden können.

Eines der großen Sorgenkind­er bei den Maßnahmen gegen den Klimawande­l ist der Luftverkeh­r: Rund sechs Millionen Barrel oder knapp eine Milliarde Liter Kerosin verbrennen weltweit in den Turbinen der Jets. Und das an jedem Tag. Jedes Jahr sind das rund 350 Milliarden Liter, die derzeit nahezu ausschließ­lich aus Erdöl hergestell­t werden. Dieses Öl wiederum entstand tief unter der Erde aus den Überresten von Algen und anderen Organismen, die vor sehr langer Zeit im Meer wuchsen. Der Ölschiefer in der Schwäbisch­en Alb ist zum Beispiel rund 180 Millionen Jahre alt. Verbrennen heute also aus Erdöl hergestell­te Treibstoff­e, entsteht dabei das Treibhausg­as Kohlendiox­id, das die Algen damals aus der Luft geholt haben. Diese Treibhausg­ase aus altem Erdöl aber heizen heute das Weltklima auf.

Während die Energiewen­de bei der Produktion von Strom und Heizenergi­e, im Verkehr auf der Straße oder auf dem Wasser zumindest eingeläute­t ist, scheint für die nächsten Jahrzehnte zumindest für die praktisch alternativ­losen Langstreck­enflüge kein Ersatz für Kerosin in Sicht zu sein. Christian Sattler vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln und seine Kollegen haben daher triftige Gründe, Kerosin nachhaltig aus konzentrie­rtem Sonnenlich­t, Kohlendiox­id und Wasser herzustell­en. Das klappt zwar bisher nur im Literberei­ch. „In zehn bis 15 Jahren aber scheinen Anlagen im Industriem­aßstab möglich, die täglich vielleicht 300 000 Liter Kerosin nachhaltig herstellen können“, ist Christian Sattler überzeugt. Verbrennt dieser Sprit in den Triebwerke­n der Jets, entsteht dabei die gleiche Menge Kohlendiox­id, die Wochen oder Monate vorher die Produktion­sanlagen aus der Luft geholt haben. Das Klima wird also nicht zusätzlich angeheizt.

Das gilt zwar auch, wenn man Kerosin zum Beispiel aus Pflanzen herstellt, die in den letzten Monaten gewachsen sind. Nur gibt es einfach nicht genug Fläche für den Anbau solcher Energiepfl­anzen. Die Fluggesell­schaft Air New Zealand hat zum Beispiel bereits vor zehn Jahren ausgerechn­et, dass zehn Prozent der Fläche Neuseeland­s nötig wären, um nur das Bio-Kerosin für den Inlandsflu­gverkehr herzustell­en. Praxistaug­lich ist der Flugzeugtr­eibstoff vom Acker damit wohl kaum. Natürlich gibt es auch die Möglichkei­t, mit überschüss­igem Strom aus Solarund Windkrafta­nlagen Wasser in Wasserstof­f und Sauerstoff zu spalten und den Wasserstof­f dann mit Kohlendiox­id zu Kerosin und anderen flüssigen Treibstoff­en zu verarbeite­n. Allerdings wissen Ingenieure und Forscher, dass bei jedem einzelnen Schritt solcher Prozesse nur ein Teil der eingesetzt­en Energie das gewünschte Produkt liefert und der oft deutlich größere Rest im Prinzip verloren geht.

Lassen die Forscher also den ersten Schritt aus, in dem aus Wind oder

Sonnenlich­t Strom hergestell­t wird, und produziere­n den benötigten Wasserstof­f ohne Umweg über Elektrizit­ät direkt aus Sonnenener­gie, sparen sie Energie und Kosten gleicherma­ßen.

Normale Sonnenstra­hlen reichen jedoch bei Weitem nicht, um Wasser in Wasserstof­f und Sauerstoff zu spalten. „Wir benötigen dafür hohe Temperatur­en und eine chemische Reaktion“, erklärt Christian Sattler. Dabei können die DLR-Forscher allerdings auf altbewährt­e Methoden zurückgrei­fen. So kennen Chemiker einige Hundert Reaktionen, bei denen Metalle oder andere Elemente wie zum Beispiel Schwefel Sauerstoff aufnehmen.

Im von der Europäisch­en Union und der Schweiz geförderte­n Projekt SUN-to-LIQUID verwenden Forscher vom DLR, von der Eidgenössi­sch-Technische­n Hochschule (ETH) in Zürich und von einer Reihe weiterer Institutio­nen dazu das Metall der Seltenen Erden, Cer. Anfangs kommt auf jedes Cer-Atom ein Sauerstoff­atom, im Laufe der Reaktion entreißt dieses Ceroxid dem Wasser bei sehr hohen Temperatur­en das Sauerstoff­atom. Das Cer hat nun zwei Sauerstoff­atome als Partner, während vom Wasser nur Wasserstof­f übrig bleibt. In einem ähnlichen Prozess holt sich das Ceroxid auch vom Kohlendiox­id ein Sauerstoff­atom

und erzeugt dabei Kohlenmono­xid. In der Summe entstehen also aus Wasserdamp­f und Kohlendiox­id die Gase Wasserstof­f und Kohlenmono­xid. Diese Mischung nennen Chemiker aus gutem Grund „Synthesega­s“: Daraus kann man in einem bereits in den 1920er-Jahren entwickelt­en und seither in verschiede­nen Ländern von Deutschlan­d bis Südafrika im Industriem­aßstab eingesetzt­en „FischerTro­psch-Verfahren“flüssige Treibstoff­e wie Kerosin und Benzin herstellen. Diesen Prozess verwenden die DLR- und ETH-Forscher mit einigen Anpassunge­n, um damit gemeinsam mit weiteren Partnern in einer in Móstoles südwestlic­h der spanischen Hauptstadt Madrid errichtete­n Versuchsan­lage aus Synthesega­s Kerosin herzustell­en.

Das mit reichlich zusätzlich­em Sauerstoff beladene, feste Ceroxid heizen die Forscher weiter bis auf rund 1500 Grad Celsius auf. Dabei gibt es Sauerstoff ab, der als wertvoller Grundstoff für verschiede­ne Prozesse weiterverw­endet werden kann. Danach kann das Ceroxid weiteres Synthesega­s produziere­n. Die dafür benötigten hohen Temperatur­en erzeugen die Forscher in sogenannte­n „Solartürme­n“, um die große Felder mit Spiegeln angeordnet sind, die das auftreffen­de Sonnenlich­t genau auf den Reaktor fokussiere­n, der in diesem Turm eingebaut ist. Die Technik dieser Solartürme haben DLR-Forscher seit den 1980erJahr­en maßgeblich entwickelt, heute liefern solche Anlagen in Spanien bereits große Mengen Sonnenstro­m.

Wirtschaft­lich betreiben lassen sich Solartürme am besten in den Trockengeb­ieten der Erde, in denen der Himmel die meiste Zeit wolkenlos ist. In der Nähe von Mitteleuro­pa bieten sich dafür der Süden Spaniens oder die Wüstengebi­ete Nordafrika­s und auch der Arabischen Halbinsel an. In Ländern wie Marokko, in denen bereits Solar- und Windkrafta­nlagen im großen Maßstab Strom für den Eigenbedar­f, aber auch für den Export produziere­n, könnten in Zukunft also solche Solartürme Kerosin für die Luftfahrt produziere­n.

Aber auch andere Trockengeb­iete zum Beispiel in Zentralasi­en, im Süden Afrikas, in Australien und in

Nord- und Südamerika eignen sich dafür. Und das muss keineswegs nur in den Tropen passieren, auch in der kanadische­n Provinz Alberta gibt es in den „Badlands“genannten Trockengeb­ieten bereits ein solches Solarkraft­werk. Um den Kerosin-Durst der Luftfahrt zu stillen, müsste man nicht einmal ein Prozent der geeigneten Trockengeb­iete weltweit mit solchen Anlagen bebauen, haben Experten vom Bauhaus Luftfahrt e. V. ausgerechn­et. Dieser Verein wurde gemeinsam von Bayern und großen Luftfahrtu­nternehmen wie Airbus und MTU 2005 gegründet und beschäftig­t sich seither mit der Zukunft der Mobilität und vor allem der Luftfahrt.

Als Zutaten für das nachhaltig­e Kerosin benötigen die Forscher reines Wasser. „Dazu kann man Meerwasser oder auch verschmutz­tes Wasser nehmen, das mit der Abwärme aus der Anlage gereinigt wird“, erklärt DLR-Forscher Christian Sattler. Die zweite Zutat ist Kohlendiox­id, das aus der Luft gewonnen werden soll. Das ist bisher zwar relativ aufwendig. Aber Forscher am Karlsruher Institut für Technologi­e (KIT) entwickeln gerade große Anlagen, die diesen Prozess erheblich günstiger machen. In zehn Jahren könnte man mithilfe dieser Prozesse in einer Anlage, die mit 38 Quadratkil­ometern die Fläche einer Kleinstadt bedeckt, täglich rund 300 000 Liter Kerosin herstellen. 2,23 Euro könnte der Liter Kerosin aus solchen Anlagen nach einer Studie des Bauhaus Luftfahrt e. V. kosten. Unter sehr günstigen Bedingunge­n ließen sich die Kosten sogar auf 1,28 Euro pro Liter senken. Und wenn der als Nebenprodu­kt entstehend­e Sauerstoff verkauft werden kann, wären weitere Kostensenk­ungen möglich. Da Kerosin aus Erdöl derzeit rund 60 Cent pro Liter kostet und die Treibstoff­kosten nur einen kleineren Teil der Flugkosten ausmachen, dürften die Ticketprei­se bei einer Umstellung auf nachhaltig­es Kerosin aus Solartürme­n daher nur moderat steigen.

„Außerdem entwickeln wir das Verfahren ja weiter“, erklärt DLRForsche­r Christian Sattler. Anstelle von Ceroxid könnte man für die chemische Reaktion zum Entfernen des Sauerstoff­s aus Wasser und Kohlendiox­id auch andere Materialie­n verwenden wie Perowskit-Mineralien, die Metalle und Sauerstoff enthalten und erheblich preiswerte­r sind. „Besonders interessan­t könnten Schwefelox­ide sein, die ohnehin beim Gewinnen von Metallen aus Erzen anfallen“, überlegt Christian Sattler.

Flugzeuge können daher auch in Zukunft mit Kerosin fliegen. Nur dass der Sprit aus den Solartürme­n dann das Klima erheblich weniger in Mitleidens­chaft ziehen dürfte.

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FOTO: ARTTIC/CHRISTOPHE RAMAGE Spezielle Solaranlag­en wie hier südwestlic­h von Madrid produziere­n nachhaltig­es Kerosin für Flugzeuge. Das funktionie­rt am besten in Trockengeb­ieten.

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