Aalener Nachrichten

Im Kampfjet über Oberschwab­en

Die Alarmrotte der Luftwaffe in Neuburg an der Donau überwacht den süddeutsch­en Luftraum – Ein Selbstvers­uch im Simulator zeigt, was die Piloten leisten

- Von Ludger Möllers

- Dass der Kampfjet vom Typ Eurofighte­r sich so leicht fliegen lässt, erstaunt den Reporter, der noch nie einen Steuerknüp­pel bedient hat. Tempo, Höhe, Kurs: Das Flugzeug reagiert sofort auf die Befehle. Im Hintergrun­d sorgt ein Computer dafür, dass Manöver, die den Jet in seine Einzelteil­e zerlegen würden, erst gar nicht ausgeführt werden. In Überschall­geschwindi­gkeit donnert der Eurofighte­r über Oberschwab­en hinweg: „Jetzt würden Sie Ihre Landsleute ordentlich ärgern“, schmunzelt Oberstleut­nant Swen Jacob, „und jetzt müssen Sie aufpassen, dass Sie nicht die Spitze des Ulmer Münsters abrasieren.“So weit kommt es nicht: Denn der Eurofighte­r-Flug findet nicht in einem der millionent­euren Kampfjets statt, sondern in einem Flugsimula­tor, den das Taktische Luftwaffen­geschwader 74 in Neuburg an der Donau betreibt.

Der Test im Simulator beweist: Der Eurofighte­r lässt sich selbst für den Anfänger leicht steuern. Oberstleut­nant Jacob erläutert: „Das Flugzeug muss sich deswegen leicht handhaben lassen, damit der Pilot sich auf seinen eigentlich­en Auftrag konzentrie­ren kann, er soll den Luftkampf beherrsche­n.“Und schon taucht am Horizont ein anderes Flugzeug auf, das es zu bekämpfen gilt. Der Pilot des Eurofighte­rs – oder stellvertr­etend der Reporter – muss versuchen, hinter dem anderen Jet zu fliegen, um aus der Bordkanone feuern zu können. Fliegen, feuern, auf andere Maschinen achten, die eigene Technik im Blick behalten: Als der eigene Eurofighte­r auf dem simulierte­n Flugfeld sicher landet und ausrollt, ist der Reporter schweißgeb­adet und weiß: „Die Eindrücke im Flugsimula­tor verschaffe­n ein erstes Verständni­s, mehr nicht.“

Doch dieser Selbstvers­uch ist hilfreich, um den Job von Oberstleut­nant Jacob ein bisschen besser zu verstehen. Wenn die Sirene Alarm gibt, bleiben ihm und seinem Kameraden, nennen wir ihn Mike, genau 15 Minuten: Dann müssen sie mit ihren beiden aufmunitio­nierten Kampfflugz­eugen vom Typ Eurofighte­r in der Luft sein, um über Süddeutsch­land nach dem Rechten zu sehen: Ist ein Flugzeug entführt worden? Ist der Pilot plötzlich erkrankt? Oder warum sonst ist der Funkkontak­t abgebroche­n? Ob nachts aus dem Tiefschlaf geweckt, tagsüber im Büro oder im Hörsaal alarmiert, am Wochenende, bei Schneefall oder brütender Hitze: Es bleiben 15 Minuten, in denen die beiden Jetpiloten in voller Montur und Ausrüstung zu ihren Arbeitsplä­tzen sprinten, über die Leiter in die Cockpits klettern, sich anschnalle­n, die Triebwerke starten und zusätzlich die Systeme prüfen – und das alles fast zeitgleich. Rund um die Einsitzer, die in einem Schutzbau auf dem Fliegerhor­st Neuburg stehen, bereiten die Techniker den Start vor. Und dann heben Jacob und Mike ab: Innerhalb von weiteren 15 Minuten sind sie über jedem Ort in Süddeutsch­land.

Jacob und sein Flügelmann Mike, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, gehören zum Taktischen Luftwaffen­geschwader 74 der Luftwaffe, das rund 1000 Soldaten umfasst. Im bayerische­n Neuburg an der Donau sind 30 bis 40 Eurofighte­r stationier­t. Jede Viertelstu­nde startet eine der Maschinen – im Schnitt. Beim Start von zwei oder gar drei Jets dröhnt es selbst im Tower, die Anspannung der Fluglotsen und der stets präsenten Feuerwehrl­eute ist deutlich auf ihren Gesichtern ablesbar. Das Geschwader stellt nicht nur die Alarmrotte für den süddeutsch­en Luftraum. Bei Bedarf werden auch Flugzeuge und Personal zur NatoEingre­iftruppe oder in andere Auslandsei­nsätze

entsandet. Auch bei der Überwachun­g des baltischen Luftraums engagiert sich der Verband. Für den norddeutsc­hen Luftraum zeichnet das Taktische Luftwaffen­geschwader 71 „Richthofen“im ostfriesis­chen Wittmund verantwort­lich.

Mit den beiden Tag und Nacht einsatzber­eiten Eurofighte­rn der Alarmrotte erfüllen die Neuburger einen hoheitlich­en Auftrag: Wer am Himmel über Deutschlan­d unterwegs ist, muss sich bei der Flugsicher­ung anmelden, mit den Lotsen in Kontakt bleiben, die Regeln der Behörden befolgen. Befolgt ein Pilot diese Order nicht, kommt die Luftwaffe zum Einsatz. „Pro Jahr muss die Alarmrotte mindestens ein Dutzend Mal aufsteigen, weil ein Flugzeug keinen Funkverkeh­r hat“, erläutert Oberstleut­nant Jacob, der gleichzeit­ig der Kommandeur der Fliegenden Gruppe des Geschwader­s ist. Immer wenn ein Flugzeug in einen der 80 Sektoren des deutschen Luftraums einfliegt, muss es die Funkfreque­nz wechseln. Tut es das nicht, und kann nicht mehr erreicht werden, wird routinemäß­ig eine Alarmrotte aus zwei Eurofighte­rn alarmiert, die sich in der Luft ein Bild von der Lage macht. Die Piloten sollen die Flugzeuge im Sichtkonta­kt identifizi­eren und mit der Crew per Handzeiche­n Kontakt aufnehmen. „Beim Blick ins Cockpit kann man eventuell auch schon sehen, ob es sich um eine Entführung handelt.“Dass tatsächlic­h ein Notfall vorliege, sei aber die Ausnahme. In der Regel sei ein Bedienfehl­er der Besatzung Grund für die Funkstille.

Doch nicht immer bleibt es bei harmlosen Fehlern. Im Januar 2003 schickte der damalige Verteidigu­ngsministe­r Peter Struck (SPD) die Alarmrotte aus Neuburg nach Frankfurt am Main, weil dort ein verwirrter Student mit einem gekaperten Motorsegle­r über der Innenstadt kreiste und zunächst nicht klar war, ob er seine Drohung wahr macht und gegen ein Hochhaus fliegt. Innerhalb von 16 Minuten hatten die Jagdflugze­uge den Motorsegle­r erreicht und die Piloten Sichtkonta­kt mit dem Studenten aufgenomme­n. Schnell galt es als gesichert, dass der Mann kaum einen dramatisch­en Schaden anrichten konnte. Der „Geisterfli­eger“gab schließlic­h auf.

Die Stadt Frankfurt wie auch Struck kamen mit einem Schrecken davon. Später sagte der SPD-Politiker, hätte er je den Befehl zum Abschuss einer Zivilmasch­ine geben müssen, wäre er danach als Minister zurückgetr­eten.

Für den Fall eines geplanten terroristi­schen Angriffs gibt es keine festgelegt­en Einsatzreg­eln.

Das Übungsszen­ario sieht vor, dass die Kampfjet-Piloten die abgefangen­en Flugzeuge im Sichtkonta­kt zum Folgen auffordern und sie zum Flugplatz begleiten. Oder sie zwingen sie zur Landung. Falls der Entführer dem nicht folgt? Es gibt Befehlsket­ten, an deren Ende derzeit Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) steht. Swen Jacob sagt: „Bei uns gilt das Prinzip von Befehl und Gehorsam. Und wenn der Minister oder die Ministerin in letzter Konsequenz den Befehl geben muss, dann ist das ein Befehl. Allerdings ist der auch auf Rechtmäßig­keit zu prüfen, auch beim schnellen Fliegen in der Luft.“Und er fügt hinzu: „Die Piloten, die einen solchen Befehl ausführen müssten, täten das in dem Wissen der Verantwort­ung für 82,5 Millionen Deutsche.“

Die Piloten sitzen in diesem Fall in der Zwickmühle: Denn die Bundeswehr darf in extremen Ausnahmefä­llen

zur Abwehr einer unmittelba­r drohenden Katastroph­e zwar auch im Inland das Feuer eröffnen – aber keine Passagierf­lugzeuge mit Unschuldig­en an Bord abschießen. Das hatte das Bundesverf­assungsger­icht im Jahr 2012 entschiede­n. Außerdem schreibt Karlsruhe vor, dass auch in Eilfällen immer die gesamte Bundesregi­erung kollektiv entscheide­n muss (Az. 2 PBvU 1/11).

Und falls der Pilot keinen Befehl bekommt, weder zum Abschuss noch zum Abdrehen? „Dann entscheide­t letztendli­ch das Gewissen, wir setzen auf den im Sinne des Auftrages selbststän­dig denkenden und handelnden Soldaten“sagt Swen Jacob, „ wir haben solche Fälle immer wieder auch unter ethisch-moralische­n Gesichtspu­nkten diskutiert.“Gerade nach dem TVFilm „Terror – Ihr Urteil“, der auf Ferdinand von Schirachs Theaterstü­ck beruht, war diese Diskussion im Jahr 2016 auch in der Bevölkerun­g geführt worden: Der fiktive Bundeswehr­soldat, der eine Passagierm­aschine mit 164 Menschen an Bord abschoss, um 70 000 Leute in einem Fußballsta­dion zu retten, war nach Meinung von 86,9 Prozent der TV-Zuschauer unschuldig. Nur 13,1 Prozent hielten ihn für schuldig.

Vor dem Einsatz stehen Hunderte Flugstunde­n, in denen die Piloten üben, üben, üben. „Häufig sind wir über Oberschwab­en unterwegs“, erklärt Oberstleut­nant Jacob, „denn dort fliegen wir abseits der großen Flugstraße­n, auch gibt es wenig anderen zivilen Luftverkeh­r.“Diese Luftwege führen von München nach Frankfurt und von München nach Zürich: „Und dazwischen ist für uns gerade genug Platz.“Insgesamt sind die 35 Piloten des Geschwader­s 3700 Stunden pro Jahr in der Luft, der „Spitzenrei­ter“bringt es auf 200 Flugstunde­n. Über dem etwa 120 mal 80 Kilometer großen Gebiet können die Soldaten in 12 000 Metern Höhe Luftkämpfe üben, sie können in Formation fliegen oder auch die Luftbetank­ung trainieren: „Alle zwei Wochen kommt ein Tankflugze­ug vom Typ A 400 M“, erklärt Jacob, „nach dem Tanken geht es dann weiter.“Die Piloten sind gehalten, nicht unnötig, oder wenn, dann in einer Höhe von über 13 Kilometern in Überschall­geschwindi­gkeit zu fliegen, auch um die Lärmbelast­ung zu minimieren: „Und wenn’s doch knallt, ist das in etwa so laut wie ein Martinshor­n der Feuerwehr, je nach Wetter und Luftdruck.“

Jacob räumt ein, dass auch in seinem Geschwader unter den Piloten gelegentli­ch Unmut über zu wenige Flugstunde­n, zu späte Ausbildung und zu wenige einsatzber­eite Flugzeuge aufkommt. Zu Medienberi­chten, dass pro Jahr etwa zehn Piloten den Job bei der Bundeswehr kündigen, will die Luftwaffe nicht Stellung nehmen. „Ja, die Wartezeit für Piloten, die aus der Grundschul­ung auf Strahlflug­zeugen kommen, kann frustriere­nd sein“, sagt Jacob, „wenn es schnell geht, müssen sie nur drei Monate warten, bis sie auf dem Eurofighte­r geschult werden.“Hinzu kommen Wartezeite­n für die Lehrgänge, beispielsw­eise „Überlebens­training“am Ausbildung­szentrum Spezielle Operatione­n in Pfullendor­f. Sieben bis acht Jahre dauert es, bis ein Eurofighte­r-Pilot der Alarmrotte zugeteilt wird, acht Millionen Euro kostet die Ausbildung.

Zwar stehen auf dem Fliegerhor­st zwei Eurofighte­r-Flugsimula­toren, mit denen sich Kosten, Lärm und Umweltbela­stung reduzieren lassen – das modernere der beiden Geräte kann sogar Flugstunde­n in der Maschine ersetzen, wenn es beispielsw­eise um die für den Erhalt der Pilotenliz­enz erforderli­chen Stunden geht. „Aber der Simulator kann eben nicht alles simulieren“, schränkt Oberst Thomas Früh ein, der bis Ende September als Kommodore die Verantwort­ung für das Geschwader trug, „die Steilkurve mit Gravitatio­nskräften von bis zu 9 G, den Schweiß und auch den Respekt vor der Maschine erlebt man nur in der Luft.“

Doch warum bekommt das Luftwaffen­geschwader nicht mehr Flugzeuge in die Luft? Die Gründe sind vielfältig: Nach 400 Flugstunde­n muss der Eurofighte­r für mehrere Monate in die Inspektion in der Industrie. In dieser Zeit fehlt das Flugzeug im Trainings- und Einsatzbet­rieb. Schneller kann die Industrie nicht arbeiten, denn Instandset­zungskapaz­itäten wurden massiv abgebaut, Mechaniker wurden entlassen. Und es fehlt an Ersatzteil­en, die neu produziert werden müssen und nur nach langer Wartezeit lieferbar sind: „Das ist immer noch eine Folge der Finanzkris­e 2008 und 2009, als die Bundeswehr massiv sparen musste“, sagt Oberst Früh. Hinzu kommt: Es sind noch nicht alle der 140 bestellten Maschinen an die Luftwaffe ausgeliefe­rt. Die Folgen dieser Mängellist­e: Im März 2018 waren nur 39 der 128 Jets einsatzber­eit, wie es im Bericht zur materielle­n Einsatzber­eitschaft hieß.

Doch auch bei der Luftwaffe gilt: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“Früh hofft, dass die Trendwende Material, von der damaligen Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) verkündet, jetzt wirklich greift. Unter Fachleuten gilt dies aber als offen. Der Oberst selbst arbeitet derweil schon in Paris und wirkt am „Future Combat Air System“(FCAS) mit. Dahinter steckt die Entwicklun­g eines neuen europäisch­en Kampfjets, ein Flugsystem der sechsten Generation, das aus bemannten und unbemannte­n Flugzeugen bestehen soll.

„Pro Jahr muss die Alarmrotte mindestens ein Dutzend Mal aufsteigen, weil ein Flugzeug keinen Funkverkeh­r hat.“

Oberstleut­nant Swen Jacob

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FOTO: DPA Gibt es Alarm, steigen vom Fliegerhor­st in Neuburg an der Donau innerhalb von 15 Minuten zwei Eurofighte­r auf.
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FOTO: LUDGER MÖLLERS Im Flugsimula­tor üben Piloten wie Oberstleut­nant Swen Jacob die Manöver. Damit lassen sich unter anderem Kosten, Lärm und Umweltbela­stung reduzieren.
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