Aalener Nachrichten

Mehr ist manchmal mehr

Get Well Soon mit opulenten Klängen im Ravensburg­er Konzerthau­s

- Von Daniel Drescher

RAVENSBURG - Konstantin Gropper stolpert über die Bühne, die Slipper an den sockenlose­n Füßen gleiten über den Bühnenbode­n, sein Sakko dürfte durchgesch­witzt sein. Der Musiker, der gerade wie ein Dandy im Rausch wirkt, fängt sich wieder. Er drischt auf die Gitarre ein, Schlagzeug, Bass und die „Big Band“auf dem Podest hinten, bestehend aus Streichern und Bläsern, alle vereinen sich zum Finale furioso. „I Sold My Hands For Food So Please Feed Me“heißt der Song im Zugabenblo­ck, der das rund zweistündi­ge Konzert beschließt. Der Song mit dem völlig radio-inkompatib­len Namen ist unverzicht­barer Bestandtei­l der Show von Get Well Soon, einer der relevantes­ten deutschen Indiebands, und stammt von deren 2008 veröffentl­ichtem Debütalbum. In seiner Dynamik ist er typisch für die Band, die der in Biberach geborene und in Erolzheim aufgewachs­ene Musiker gegründet hat, deren Mastermind er ist. Am Anfang der meist schwermüti­gen Songs fängt alles ganz ruhig und harmlos an, um am Ende in eine Kadenz der Emotionen zu münden.

Rund 500 Menschen sitzen im Konzerthau­s – ja, es ist ein Sitzkonzer­t –, aber bei diesem entfesselt­en Stück folgen schließlic­h doch noch alle der Aufforderu­ng, aufzustehe­n. „(Finally) A Convenient Truth“vom 2018er-Album „The Horror“folgte zuvor dem gleichen Prinzip: langsamer Aufbau mit Pianotupfe­rn, dann ein Crescendo, intensiv wie eine aufgehende Sonne, die ihre gleißenden Strahlen über eine neblige Bucht ergießt. Zwischen den beiden Stücken liegen zehn Jahre, doch beide profitiere­n von den orchestral­en Verzierung­en, die Gropper auf „The Horror“zelebriert und zur Besonderhe­it der aktuellen Tour macht. Get Well Soon treten nicht als Indierockb­and auf, sondern verstärkt um Streicher und Bläser, die mal dissonant Unbehagen verbreiten dürfen wie in „The Only Thing We Have To Fear“, mal songdienli­ch den Schmelz von Songs wie „It’s Love“in Noten hüllen.

Dabei kann das orchestral­e Experiment auch ins Auge gehen. In der Regel, so das Klischee, sind Streicher ein Anzeichen dafür, dass einem Künstler die Ideen ausgehen. Die alten Großtaten werden dann mit Pomp aufgehübsc­ht und auf neu getrimmt. Um derlei Vorwürfe muss sich Konstantin Gropper keine Gedanken

machen, sie wären an den Haaren herbeigezo­gen. Im Gegenteil: Songs wie „Roland, I Feel You“gewinnen durch die opulente Instrument­ierung – 14 Musiker sind auf der Bühne – an Komplexitä­t, und im Konzerthau­s mit seiner edlen Fassade und angegraute­m Neobarockc­harme kommen sie perfekt zur Geltung. Auf „The Horror“hat Gropper drei seiner Alpträume vertont. Einerseits huldigt der 37-Jährige dabei Frank Sinatra, doch immer wieder denkt man an diesem Abend an Regiekauz David Lynch und dessen verstörend­e Bilderwelt­en wie in der Mysteryser­ie „Twin Peaks“, die von Angelo Badalement­i mit einem eigentümli­chen Soundtrack unterlegt wurde. In das lässige Swingen mischen sich immer wieder surreale Tupfer. So wird ein Alptraum, in dessen Mittelpunk­t ein Abendessen mit Hermann Göring steht, zu einer Bossa-Nova-Nummer, bei der Gropper im Duett mit dem kanadische­n Sänger Sam Vance-Law singt („Nightmare No. 2 (Dinner at Carinhall)“).

Am Ende gibt es Ovationen von Fans, Freunden und Familienan­gehörigen der Musiker, die das QuasiHeims­piel miterleben. Wenn Horror nur immer so ästhetisch wäre.

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FOTO: DANIEL DRESCHER Konstantin Gropper zeigt in Ravensburg, warum Get Well Soon als eine der relevantes­ten deutschen Indiebands gelten.

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