ZEW-Chef will neue Agrarförderung
ZEW-Präsident Achim Wambach fordert eine Neuausrichtung der europäischen Agrarpolitik
STUTTGART (tja/kab) - Der Ökonom Achim Wambach fordert, die EU-Förderung für Bauern verstärkt an Umweltzielen auszurichten. Direktzahlungen allein für die bewirtschaftete Fläche hält der Präsident des Europäischen Zentrums für Wirtschaftsforschung im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“für einen „Anachronismus“.
STUTTGART - Es ist ein Angriff auf die Agrarpolitik der CDU und auf die Lobbyarbeit der Bauern-Vertreter. Im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“bezeichnet Achim Wambach, der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), die Förderung von Landwirten durch Direktzahlungen für die bewirtschaftete Fläche als unangemessen im Sinne des europäischen Gedankens. Katja Korf und Kara Ballarin haben sich von dem Ökonomen die Hintergründe erläutern lassen.
Herr Wambach, eine der Haupteinnahmequellen der Bauern sind EU-Gelder. Den größten Teil, nämlich 4,8 Milliarden Euro, bekommen sie in Deutschland pro Jahr allein auf Basis ihrer Flächen. Ist dieses Modell zukunftsträchtig?
Der scheidende EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hat bei der Aufstellung des EU-Etats gesagt, jeder Posten im Haushalt müsse einen europäischen Mehrwert kreieren. Also: Wo kann die EU mehr leisten als jedes einzelne Land allein? Wir haben am ZEW analysiert, auf welchen Politikfeldern das gelingt. Es gelingt zum Beispiel bei der Verteidigung oder auf dem Gebiet von Forschung und Entwicklung. Aber in der Agrarpolitik entsteht ein solcher Mehrwert eben nicht. Natürlich wäre es auch nicht gut, wenn jedes Land seine Landwirte auf seine eigene Art fördern würde. Aber gerade die Direktzahlungen an die Landwirte sind in der bisherigen Form kaum mit einem europäischen Mehrwert zu begründen. Sie belohnen keine sozialen Faktoren und berücksichtigen in zu geringem Maße Umweltkomponenten. Deswegen sind sie eigentlich ein Anachronismus.
Wie könnte man denn auch in der Agrarpolitik einen europäischen Mehrwert schaffen?
Die Bausteine dazu sind da. Man müsste die Frage, wer Mittel bekommt, allerdings deutlich stärker an den Einsatz eines Landwirts für Umweltschutz, Biodiversität oder Klimaschutz koppeln oder daran, ob man mit dem Geld eine bestimmte Region besonders fördern möchte. Die Frage ist, wie diese Bausteine künftig bei der Vergabe der Fördergelder gewichtet werden. Zudem muss sichergestellt werden, dass die EU ausreichend kontrolliert, ob das Geld dann auch wie vereinbart eingesetzt wird.
Bisher nimmt der Bund 4,5 Prozent der Gelder aus den Direktzahlungen und fördert damit Umwelt und Tierschutz auf den Bauernhöfen. Künftig sollen es sechs Prozent sein – darauf hat sich die Große Koalition geeinigt. Reicht das?
Ich habe sehr großes Verständnis dafür, dass die Politik diese Fragen genau abwägt. Einerseits sind die Verhältnisse von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich – in Baden-Württemberg zum Beispiel gibt es sehr viele kleine landwirtschaftliche Betriebe. Die haben natürlich andere Bedürfnisse als etwa Landwirte in den ostdeutschen Bundesländern, die sehr große Flächen bewirtschaften. Doch klar ist: Umwelt und Klimaschutz haben in allen politischen Debatten stark an Gewicht gewonnen. Deswegen wird und muss es weiter gehen in dieser Richtung.
Wie kann das in der Landwirtschaft aussehen?
Auch dieser Sektor wird seinen Beitrag zur Senkung des klimaschädlichen Kohlendioxidausstoßes leisten müssen. Die EU hat sich vorgenommen, bis 2050 klimaneutral zu sein, dann müsste der Kohlendioxidausstoß bis dahin auf null sinken. Die Landwirtschaft trägt insgesamt mit gut sieben Prozent zu den Treibhausgasemissionen bei. Ich gehe daher davon aus, dass die EU-Kommission ihre Instrumente wie etwa den Handel mit Kohlendioxidemmisisonsrechten auch auf den Agrarsektor ausdehnen wird. Kohlendioxid oder auch andere Treibhausgase auszustoßen, kostet dann Geld, wie bereits jetzt in der Industrie.
Ist der neue Agrarkommissar, der Pole Janusz Wojciechowski, der richtige Mann für diese wichtigen Weichenstellungen?
Das EU-Parlament hat er schon überzeugt. Das ist ja schon mal was. Aber er ist natürlich nur Teil eines Machtgeflechts, zu dem auch der EU-Rat und das Parlament gehören.
Jahrzehntelang hat die EU Betriebe nach dem Motto gefördert: „Wachsen oder weichen.“Viele Bauern haben ihre Höfe danach ausgerichtet, nun wirft man ihnen vor, zu wenig für Arten- und Klimaschutz zu tun. Sind die Bauern Leidtragende einer verfehlten EU-Agrarpolitik?
Jeder einzelne Landwirt optimiert sich im System, schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen. Die Frage ist aber, wie stark sich die Interessenvertreter der Landwirte eingebracht haben und dieses System mitgestaltet haben. Die Agrarlobby ist sehr einflussreich. Sie ist durchaus mitverantwortlich für das bestehende System.
Eine starke Lobby ist auch die Chemieindustrie, die unter anderem am Verkauf von Pestiziden verdient.
Grundsätzlich neigen wir in Deutschland dazu, die Industrie für vieles verantwortlich zu machen, doch in diesem Fall ist nicht nur Kritik angebracht. Ohne Dünger und Pflanzenschutz wäre es heute nicht möglich, so viele Menschen zu ernähren wie nie zuvor. Das ist eine Erfolgsgeschichte, an der die Industrie ihren Anteil hat. Aber klar ist: Auch diese Lobby hat viel zum jetzigen System mit seinen Schwächen beigetragen.
Neben dem Artenschutz ist der Klimaschutz eines der großen Themen derzeit, Sie haben es schon angesprochen. Teilen Sie die Enttäuschung vieler Klimaaktivisten über das Klimapaket der Großen Koalition?
Der Preis von zunächst zehn Euro pro Tonne Kohlendioxid ist sehr niedrig angesetzt. Dennoch darf man den Einstieg in die Bepreisung von Kohlendioxid nicht unterschätzen: Durch den Handel mit Emissionsrechten werden die Preise gerade in den Bereichen Wärmeerzeugung und Verkehr sehr schnell steigen, davon bin ich überzeugt. Die Bundesregierung hat damit einen Strukturbruch eingeleitet: Emissionen kosten in allen Bereichen Geld. Das ist ein großer Schritt. Überhaupt ist ja in den vergangenen Jahren durchaus etwas passiert: Wir zahlen in Deutschland mehr als 25 Milliarden für die EEG-Umlage, also für die Erneuerbaren Energien. Und der Europäische Zertifikatehandel bewirkt, dass der Ausstoß klimaschädlicher Gase in der Stromerzeugung, der Industrie und dem Flugverkehr sinkt. Kritiker hätten sich ein anderes Modell gewünscht, nämlich statt des Emissionshandels einen direkten Preis pro Tonne Kohlendioxid.
Was ist ökonomisch aus Ihrer Sicht sinnvoller?
Beide Modelle führen zu einem Preis, die ökonomische Wirkung ist also diesbezüglich gleich. In der Diskussion geht es eher darum, wie man die Varianten politisch bewertet. International leichter umzusetzen wären direkte Kohlendioxidpreise. Der Emissionshandel ist ja derzeit nur in der EU umgesetzt, anderswo gibt es das System nicht. Die EU muss sich überlegen, was sie unternimmt, wenn wir in der EU die Kohlendioxidpreise hochsetzen und die USA auch nach der Amtszeit von Präsident Donald Trump Kohlendioxid nicht bepreisen. Dann werden wir über eine Grenzausgleichssteuer reden müssen, damit Unternehmen ihre Produktion nicht aus EU-Ländern ins Ausland verlagern. Sonst machen hier alle ihre Werke dicht und produzieren dort, wo Kohlendioxid billig ist.
Und wenn Präsident Trump 2020 noch einmal wiedergewählt wird?
Wir müssen in den nächsten fünf bis zehn Jahren internationale Lösungen für den Klimaschutz finden. Ohne die USA haben wir keine Chance. Wir müssen daher auch künftig alles versuchen, um sie einzubeziehen. Dazu wäre ein neuer Amtsinhaber in Washington vermutlich hilfreich.
Die Mobilitätswende und damit der Abschied vom Verbrennungsmotor kommen. Das stellt das Automobil-Land Baden-Württemberg vor große Herausforderungen. Ist die Antwort allein E-Mobilität?
Ob E-Autos der beste Weg sind, wird erst die Zukunft zeigen. Andere Länder wie Japan oder Korea setzen auf Wasserstoff. Wir sprechen hier darüber, was in zehn oder 20 Jahren sein wird – wenn wir 20 Jahre zurückblicken, dann hatte damals noch niemand eine App. Sprich: Der Wandel geht rasend schnell, und es ist daher schwer, Vorhersagen zu machen, welche Technologien sich durchsetzen werden.
Investiert Deutschland genug in Forschung und Entwicklung, um mit Tesla, Google und Co. mitzuhalten?
Weltweit geben Amazon und Google mit Abstand das meiste Geld für Forschung und Entwicklung aus. Das erste und auch einzige deutsche Unternehmen im Ranking der Top-10Unternehmen mit den höchsten Forschungsund Entwicklungsausgaben ist Volkswagen. Amazon allein steckt mehr in Forschung und Entwicklung als die Bundesregierung für ganz Deutschland. Da laufen wir anderen hinterher. Aber die Autoindustrie hat jetzt die Zeichen der Zeit erkannt. Die Frage wird sein, wo die deutschen Hersteller in Zukunft produzieren. Das hängt entscheidend davon ab, wo sie die besten Mitarbeiter finden. Gute Köpfe gibt es auch in den USA oder China. Die Frage ist, ob die Politik das Problem erkannt hat und ausreichend in Ausbildung und Forschung investiert. Wenn qualifizierte Mitarbeiter fehlen, können wir Teile der Wertschöpfungskette nicht mehr hierzulande halten.
Wie düster sind die Aussichten der Autoindustrie im Südwesten?
Wenn keine Verbrennungsmotoren mehr hergestellt werden, stehen viele mittelständische Zulieferer vor großen Problemen. Andererseits kaufen Menschen einen Wagen ja nicht nur wegen der Art des Antriebs. Fahren Sie mal in einem Tesla auf der Autobahn und danach in einem Mercedes der S-Klasse. Allein die Fahrgeräusche sind ganz andere.