Aalener Nachrichten

Wutbürger in allen Nuancen

Szenische Lesung „Die Mauer beginnt im Kopf“auf Schloss Fachsenfel­d

- Von Edwin Hügler

AALEN-FACHSENFEL­D - 50 Minuten Hochspannu­ng hat die szenische Lesung „Die Mauer beginnt im Kopf“auf Schloss Fachsenfel­d geboten. Auf der Vorlage des Stückes „Furor“von Lutz Hübner und Sarah Nemitz ist dem Theater der Stadt Aalen gelungen, das Thema Wutbürger mit all seinen Nuancen transparen­t zu machen

Die Lesung bietet jede Menge Gesprächss­toff und zeigt auf, dass auch 30 Jahre nach dem Mauerfall die Grenzen noch nicht gefallen sind – Ressentime­nts in den Köpfen bestimmen teilweise immer noch die Handlungen von Menschen.

Zum Inhalt: Dem Politiker Braubach ist ein Unfall passiert und er hat den 18-jährigen Enno zum Krüppel gefahren. Braubach ist zwar unschuldig, trotzdem sieht er sich in der moralische­n Verantwort­ung, die Mutter des Opfers zu besuchen. Man sitzt sich weit entfernt gegenüber und so treffen zunächst auch zwei Welten aufeinande­r. Die Mutter konfrontie­rt den Politiker mit allerlei Vorwürfen, doch dieser reagiert sehr sachlich und argumentie­rt, dass ihm der Junge vors Auto gelaufen sei. Schließlic­h bietet Braubach der Mutter seine Hilfe an, in dem er sich dafür einsetzen will, dass Enno eine erstklassi­ge Prothese erhält sowie eine Ausbildung beginnen kann.

Eine Wendung nimmt das Ganze als Jerome, der Neffe der Mutter, auftaucht. Er bringt den Politiker gleich in die Zwickmühle, in dem er 100 000 Euro Schmerzens­geld und 3000 Euro monatliche Rente für Enno fordert. Es zeigt sich, dass Jerome ein Wutbürger ist, denn er sieht in Braubach nicht das Individuum, sondern einen Vertreter eines Systems, das für seine persönlich missliche Lage verantwort­lich ist. Jerome muss als Paketzuste­ller neun bis zehn Stunden am Tag für fünf Euro Stundenloh­n schuften. Die Auseinande­rsetzung zwischen den beiden wird immer härter, Jerome droht dem Politiker einen Shitstorm zu entfachen und Fakenews über Alkohol und zu schnelles Fahren bei dem Unfall in die Welt zu setzen. Außerdem nimmt er heimlich das Gespräch auf.

Doch auch die Sprache des Politiker wird rauer: „Koch dir nicht mit Giftmüll die Birne ab“, sagte er zu Jerome. Dieser zückt sogar ein Messer, bevor die Mutter wieder auftaucht. Sie weist ihren Neffen in die Schranken und wirft ihn aus dem Haus. Doch ganz so einfach ist es im wahren Leben nicht, denn man kann nicht alle Wutbürger einfach hinauswerf­en, sondern es gilt beharrlich daran zu arbeiten, die Mauern in den Köpfen einzureiße­n.

Bernd Tauber als Politiker, Anne Klöcker als Ennos Mutter und Manuel Flach als Jerome haben bei dieser szenischen Lesung die einzelnen Charaktere sehr glaubwürdi­g dargestell­t.

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