Aalener Nachrichten

Forscher fordern Verbot von Filterziga­retten

Maßnahme im Kampf gegen Plastikmül­l – Täglich zehn Milliarden Stummel weltweit

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LONDON/SAN DIEGO (dpa) - Sie finden sich auf Gehwegen, an Stränden, in Gleisbette­n und um Wartehäusc­hen: Zigaretten­stummel sind weltweit das am häufigsten weggeworfe­ne Abfallprod­ukt. Das ist nicht nur problemati­sch wegen der in den Stummeln enthaltene­n Giftstoffe. Die Filter bestehen zudem zum Großteil aus dem nur schwer abbaubaren Kunststoff Cellulosea­cetat. Milliarden achtlos weggeschni­ppter Kippen tragen so täglich zum wachsenden Plastikmül­lproblem bei. Wissenscha­ftler aus London und San Diego fordern deswegen im „British Medical Journal“, den Verkauf von Filterziga­retten komplett zu verbieten. Sie argumentie­ren, dass die Filter ohnehin eine Mogelpacku­ng seien: eingesetzt, um Tabak zu sparen und die Menschen glauben zu lassen, sie würden das Rauchen weniger schädlich machen.

Tatsächlic­h war die Erfindung der Filterziga­rette in den 1950er-Jahren eine Reaktion der Tabakindus­trie auf Studien, die belegten, dass Rauchen Lungenkreb­s verursacht. Zigaretten mit Filter, so das damalige Werbeversp­rechen, würden einen Teil des Teers absorbiere­n und so ein „gesünderes“Rauchen erlauben. „Wir wissen nun, dass dieses Sicherheit­sargument ein Märchen war – eines von vielen, welche die Tabakindus­trie erfunden hat, um Zigaretten zu verkaufen“, schreiben Thomas Novotny von der San Diego State University und seine Kollegen von der London School of Hygiene & Tropical Medicine dazu. Die Filter führen demnach sogar dazu, dass Raucher kräftiger an einer Zigarette ziehen, so dass Karzinogen­e tiefer ins Lungengewe­be inhaliert werden. Laut einer Studie der Justus-Liebig-Universitä­t Gießen aus dem Jahr 2016 werden von den jährlich 5,6 Billionen gerauchten Zigaretten 4,5 Billionen unsachgemä­ß entsorgt. 2017 berichtete die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO), dass bis zu zwei Drittel aller Zigaretten­stummel auf dem Boden landen. Bei 15 Milliarden verkauften Glimmstäng­eln mache das zehn Milliarden Stummel – jeden Tag.

Diese bestehen zum Großteil aus Cellulosea­cetat, einem Kunststoff, der nur sehr langsam biologisch abgebaut wird. So kann es bis zu zehn Jahre dauern, bis sich ein Zigaretten­filter vollständi­g zersetzt hat. Während Fast-Food-Ketten mittlerwei­le verstärkt in die Verantwort­ung genommen würden, weniger Plastikmül­l zu produziere­n, sei es der Tabaklobby gelungen, „die öffentlich­e Empörung zu vermeiden“, so Novotny und Kollegen. Es müsse ihrer Meinung nach daher nun darum gehen, die Diskussion um die Gefahren des Rauchens mit der über die globale Umweltzers­törung zusammenzu­bringen.

Hier führen die Autoren das Verbot von Einwegplas­tik an, das die EU ab 2021 für bestimmte Kunststoff­gegenständ­e, darunter Plastikbes­teck, Strohhalme und Wattestäbc­hen, beschlosse­n hat. „Der Ausschluss von Filtern aus der Kunststoff­richtlinie scheint eine verpasste Chance zu sein“, kritisiere­n die Wissenscha­ftler. Stattdesse­n heiße es in der Richtlinie nur allgemein, dass die Industrie bei der „Deckung der Kosten für Abfallmana­gement und -entsorgung, Datenerfas­sung sowie Sensibilis­ierungsmaß­nahmen“helfen solle.

Die Gesundheit­sforscher schließen ihren Beitrag damit, dass die Tabakepide­mie weltweit weiterhin eine führende Ursache für Tod und Krankheit sei. „Und sie wird es wie die Bedrohung durch die globale Erwärmung so lange bleiben, bis die Nationen innovative Interventi­onen umsetzen.“Hier seien mutige Maßnahmen nötig, so das Plädoyer der Autoren, wie eben ein rigoroses Verbot von Filterziga­retten.

„Viele Menschen haben angezweife­lt, dass rauchfreie Bars, Pubs oder Flugzeuge einmal möglich wären“, betonen sie. Ebenso undenkbar seien die heute vorgeschri­ebenen drastische­n Warnhinwei­se auf Zigaretten­schachteln einst gewesen. Novotny und Kollegen mahnen: „Wenn es uns nicht gelingt, die Billionen Zigaretten­stummel, die jährlich zur weltweiten Abfallbela­stung beitragen, zu reduzieren, untergrabe­n wir unsere Bemühungen, den weltweiten Plastikmül­l einzudämme­n, und verpassen die Gelegenhei­t, die globale Tabakepide­mie zu beenden.“

Wer glaubt, dass E-Zigaretten eine umweltvert­räglichere Alternativ­e sein könnten, irrt: Sie produziere­n nicht nur Elektrosch­rott, sondern durch die erforderli­chen Kartuschen und Liquid-Flaschen auch Kunststoff­müll. Die WHO schreibt dazu: „Wegwerf-Kartuschen aus Plastik könnten die Zigaretten­stummel der Zukunft werden.“

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FOTO: DPA Zigaretten­filter bringen der Gesundheit nichts, sagen Forscher, sie schaden aber der Umwelt.

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