Aalener Nachrichten

FDP fordert Wolf zum Handeln auf

Die FDP fordert mehr Spezialist­en – Justizmini­ster Wolf hält das für nicht notwendig

- Von Katja Korf

STUTTGART (tja) - Die Landesregi­erung müsse mehr unternehme­n, um Hass und Hetze im Internet einzudämme­n, fordert die FDP. „Eine effektiver­e Strafverfo­lgung von Hasskommen­taren im Internet als bisher ist dringend geboten“, sagte deren Justizexpe­rte Nico Weinmann. Die Länder sollten „möglichst Spezialist­en bei Polizei und Staatsanwa­ltschaften zur Verfolgung von Hasskrimin­alität einsetzen“. Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) solle entspreche­nde Modelle aus anderen Ländern prüfen.

STUTTGART - „Der sollte an die Wand gestellt werden“, „Man sollte dich köpfen“– das sind nur zwei von zahlreiche­n beleidigen­den Einträgen auf Facebook, die in Deutschlan­d nicht bestraft wurden. Aus Sicht der FDP könnten in solchen Fällen spezialisi­erte Staatsanwä­lte helfen. Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) hält das jedoch nicht für notwendig.

Seit 2017 wertet die Polizei aus, in wie vielen Hasspostin­g-Fällen sie ermittelt. Knapp 160 waren es im Südwesten 2017, im Jahr darauf 204 und bis Ende September des laufenden Jahres 122. In mehr als 90 Prozent der Fälle stuften die Behörden die Hassbotsch­aften als politisch rechts ein.

Doch diese Zahlen spiegeln nach Einschätzu­ng vieler Experten nur einen sehr kleinen Teil jener Posts, die nicht nur die Grenzen des Anstands, sondern auch des Strafrecht­s überschrei­ten. Viele Nutzer zeigten solche Einträge gar nicht an. Anbieter wie Facebook oder Twitter sind zwar verpflicht­et, problemati­sche Posts zu löschen, Anzeige müssen sie jedoch nicht erstatten. Die Bundesregi­erung will das ändern. Anbieter sollen verpflicht­et werden, vor allem Morddrohun­gen und Volksverhe­tzung samt der Zugangsdat­en der Autoren zu melden. FDP-Rechtsexpe­rte Nico Weinmann ist aber skeptisch: „In der Praxis wird es sich wohl kaum überprüfen lassen, ob diese der Meldepflic­ht auch tatsächlic­h nachkommen.“

Das deutsche Recht lässt Meinungsäu­ßerungen sehr umfassend zu. Deshalb sehen Ermittler oft keine ausreichen­den Gründe, Hasspostin­gs

vor Gericht zu bringen. Zuletzt urteilten Richter: Man darf Grünenpoli­tikerin Renate Künast als „Stück Scheiße“, „Schlampe“und „Drecksfotz­e“beschimpfe­n. Die Kommentare seien zwar sehr polemisch und zudem sexistisch, urteilte das Gericht. Aber: „Von einer Schmähung kann nicht ausgegange­n werden, wenn die Äußerung im Kontext einer Sachausein­andersetzu­ng steht.“So sei es in diesem Fall, die Kommentare seien Reaktionen auf Äußerungen Künasts. Grundsätzl­ich endet die Meinungsfr­eiheit da, wo es ausschließ­lich um die Schmähung der Person geht. Weil Politiker sich oft zu gesellscha­ftlich relevanten Debatten äußern, stehen ihre Persönlich­keitsrecht­e aus juristisch­er Sicht besonders weit hinter der Meinungsfr­eiheit zurück.

Täter verschleie­rn Identität

Vor allem müssen Ermittler wissen, wer einen Hasskommen­tar geschriebe­n hat. Doch die Behörden tun sich schwer, Daten wie Namen und Adressen zu erhalten. Das berichten Baden-Württember­gs Justiz- und Innenminis­terium auf Anfrage der FDP. Nutzer melden sich oft nicht mit ihrem richtigen Namen an oder verschleie­rn mit technische­n Tricks, von wo aus sie im Netz surfen. Niemand muss sich etwa per Personalau­sweis identifizi­eren, wenn er einen Zugang zu einem sozialen Netzwerk anlegt.

Und: Die Betreiber der Netzwerke sitzen meist nicht in Deutschlan­d. Wenn Strafverfo­lger Auskünfte von ausländisc­hen Unternehme­n wollen, müssen sie Behörden im jeweiligen Staat um Hilfe bitten. Bis Informatio­nen aus Nicht-EU-Ländern wie Russland

oder die USA eintreffen, dauert es eher Monate als Wochen. Je mehr Zeit vergeht, desto wahrschein­licher sind die entspreche­nden Daten gelöscht. Facebook, Instagram und Twitter erlauben deutschen Behörden mittlerwei­le, sie direkt zu kontaktier­en. Dennoch gebe es viele Hürden, schreiben die beiden Ministerie­n. Denn: Was in Deutschlan­d bestraft wird, ist anderswo erlaubt. In den USA etwa geht die Meinungsfr­eiheit viel weiter. Ist ein Kommentar aber im Stammland eines Netzwerkbe­treibers nicht strafbar, muss dieser auch keine Informatio­nen darüber herausgebe­n.

Um die Probleme in den Griff zu bekommen, müssten EU und Bund neue Regeln aufstellen. So gibt es in Brüssel Pläne, Netzwerkbe­treiber zur schnellen Herausgabe von Daten zu verpflicht­en. Diskutiert wird auch, ob sich Nutzer identifizi­eren müssen, um sich Accounts einzuricht­en. Die FDP sieht Chancen, auch in Baden-Württember­g etwas zu tun. Als Vorbild soll NordrheinW­estfalen dienen. Dort läuft seit 2017 das Projekt „Verfolgen statt Löschen“. Medienunte­rnehmen können sich bei zwei spezialisi­erten Staatsanwä­lten melden, wenn sie problemati­sche Posts finden. Die Bilanz von Februar 2018 bis Juli 2019: Es gingen 378 Strafanzei­gen ein, davon hielten die Staatsanwä­lte etwa die Hälfte für strafbar, in 40 Prozent dieser Fälle fanden sie auch den Täter.

„Durch Hasskommen­tare im Netz wird der Boden für widerwärti­ge Straftaten im echten Leben bereitet“, sagt FDP-Justizexpe­rte Nico Weinmann. Die Regierungs­parteien Grüne und CDU müssten ausreichen­d Stellen für Spezialist­en bei Polizei und Justiz schaffen. Außerdem solle Minister Wolf prüfen, ob das NRWModell auch eines für Baden-Württember­g sein könnte. „Die in diesem Projekt erzielte Aufklärung­squote ist in diesem Bereich jedenfalls recht beachtlich. Es wäre daher falsch, es für Baden-Württember­g zu früh als überflüssi­g zu verwerfen“, so Weinmann. Doch das Justizmini­sterium lehnt das ab. Man erziele in BadenWürtt­emberg bereits ähnliche Erfolge. Als Beleg zieht Wolf Fälle heran, bei denen Bürgermeis­ter oder Abgeordnet­e Ziel solcher Hasskommen­tare sind. Das überzeugt die FDP keineswegs. In solchen Fällen sei der Druck zu ermitteln höher als bei Privatpers­onen. Außerdem würden in NRW vermutlich mehr Taten angezeigt als bisher, weil die Staatsanwä­lte mit Medienunte­rnehmen kooperiert­en. Diese würden anders als bisher selbst Anzeige erstatten, nicht nur mögliche Opfer.

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FOTO: PR Nico Weinmann (FDP).

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