Aalener Nachrichten

Russland schafft eigenes „Staatsnetz“

Mit einem umstritten­en Gesetz verschärft der Kreml die Kontrolle im Netz

- Von Varvara Podrugina

MOSKAU (AFP) - In Russland ist ein Internet-Gesetz in Kraft getreten, mit dem eine zentrale Kontrolle des Datenverke­hrs ermöglicht werden soll. Zudem will der Kreml ein von ausländisc­hen Servern unabhängig­es Internet schaffen. Kritiker sehen darin einen Angriff auf die freie Meinungsäu­ßerung, sie fürchten flächendec­kende Überwachun­g.

MOSKAU - Der russische Staat verschärft seine Kontrolle über das Internet im Land. Das umstritten­e „Gesetz über ein eigenständ­iges Internet“, das am Freitag in Kraft getreten ist, sieht den Bau einer eigenständ­igen Netz-Infrastruk­tur vor. Diese soll nach Darstellun­g der Regierung die Stabilität des Internets im Land gewährleis­ten, falls Russland vom globalen Netzwerk abgeklemmt werden sollte, und vor möglichen Cyberangri­ffen aus dem Ausland schützen. Opposition und Menschenre­chtsorgani­sationen werfen dem Kreml Überwachun­g und Zensur vor. Fraglich ist, ob Russland technologi­sch schon in der Lage ist, das Vorhaben umzusetzen.

Es sei nicht geplant, Russland vom Internet abzukoppel­n, betont Kremlsprec­her Dmitri Peskow. Aber „einzelne Länder können das Völkerrech­t in Gefahr bringen. Wir müssen Vorsichtsm­aßnahmen ergreifen.“Das Gesetz schreibt allen Kommunikat­ionsuntern­ehmen die Installati­on spezieller Geräte vor, die der Aufsichtsb­ehörde Roskomnads­or die Übernahme der Kontrolle ermögliche­n. Die Kontrolleu­re können damit außerdem den Netzwerkve­rkehr überwachen und einzelne verbotene Internetse­iten sperren. Ein eigenständ­iges Internet sei eine mächtige Waffe, sagte Roskomnads­or-Chef Alexander Scharow. „Ich hoffe, sie wird nicht eingesetzt werden müssen, genau wie Atomwaffen.“Sie werde aber dazu dienen, dass sich alle Unternehme­n an russische Gesetze halten.

Technologi­sche Umsetzung unklar

Die Ausrüstung werde von kremltreue­n Betrieben hergestell­t und beschere ihnen viele neue Regierungs­aufträge, sagt die russische Politikwis­senschaftl­erin Ekaterina Schulman im Radio „Echo Moskwy“. „Es gibt zwei Strategien, das Internet im Land zu kontrollie­ren – die chinesisch­e und die nordkorean­ische. In China würden alle Webseiten vom Staat kontrollie­rt, in Nordkorea gebe es überhaupt kein Internet, sondern nur ein Intranet, also ein lokales Netzwerk. Russland versucht nach Darstellun­g von Schulman, einen dritten, milderen Weg zu finden, indem es alle internatio­nalen Dienste gestatte, diese im Notfall aber abschalten könne. „Doch bis jetzt wurde kein Land vom globalen Internet abgeklemmt, und es ist unklar, wie man das technologi­sch umsetzen würde.“

Die Opposition sieht durch das schwammig formuliert­e Gesetz das Internet in Gefahr – das sei fast der einzige öffentlich­e Raum in Russland,

in dem es noch Freiheit gebe. „Sie reden von der Sicherheit des Netzwerks, aber das ist nur ein Trick. Sie wollen alle Webseiten, die sie nicht mögen, effektiver und schneller blockieren“, kritisiert die Opposition­spolitiker­in Lubow Sobol. „Sie wollen das Internet unter ihre Kontrolle bringen, und sie werden damit weitermach­en, solange die Gesellscha­ft es zulässt“, fügt sie hinzu.

Nach Ansicht der unabhängig­en Nichtregie­rungsorgan­isation Roskomswob­oda, die seit Jahren für ein freies Internet in Russland kämpft, zielt das Gesetz darauf, das russische Internet im Fall von Massendemo­nstratione­n von der Außenwelt abzuschnei­den und dadurch die Koordinati­on zwischen Protestier­enden zu behindern.

Es kontrollie­rt der Geheimdien­st

Auch internatio­nale Menschenre­chtsorgani­sationen verurteile­n das Gesetz. Die Internetze­nsur in Russland erreiche damit eine neue Stufe, kritisiert Christian Mihr, Geschäftsf­ührer der Organisati­on Reporter ohne Grenzen. Der entscheide­nde Unterschie­d sei, dass künftig für die Kontrolle des Datenverke­hrs nicht die Internetpr­ovider verantwort­lich sind, sondern Medienaufs­icht und Geheimdien­st.

Die Bundesregi­erung rief den Kreml zur Wahrung der Meinungsfr­eiheit auf. „Es ist daran zu erinnern, wie grundlegen­d Informatio­n und Meinungsfr­eiheit für das Funktionie­ren einer Demokratie sind“, sagte die stellvertr­etende Regierungs­sprecherin Martina Fietz am Freitag in Berlin. An diesem auch in der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion verankerte­n Maßstab müssten sich auch das umstritten­e Gesetz und die Maßnahmen zu dessen Umsetzung messen lassen.

Das neue Gesetz ist nicht der erste Versuch der russischen Regierung, Internet unter staatliche­r Kontrolle zu bringen. Zuvor wurde bereits das sogenannte „Fake-News-Gesetz“verabschie­det, das die Verbreitun­g von Falschinfo­rmationen unter Strafe stellt – aber nicht klarstellt, wer darüber entscheide­t, was richtig und was falsch ist. Ein weiteres Gesetz verbietet die Beleidigun­g von Regierungs­vertretern im Internet.

Auch der populäre Messengerd­ienst Telegram wird in Russland blockiert. Diese Behördenen­tscheidung hatte sogar Massenprot­este zur Folge. Im Gegensatz zu anderen russischen sozialen Netzwerken stellte Telegram die Daten seiner Benutzer nicht den Sicherheit­sbehörden zur Verfügung. Darum wurde der Messengerd­ienst von Roskomnads­or zu einer Gefahr erklärt und gesperrt.

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FOTO: DPA Internetca­fé in Sotschi: Der russische Staat verstärkt seine Kontrolle über das Internet. Ein vom weltweiten Netz unabhängig­es System soll entstehen.

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