Reformer
Mustafa Yeneroglu war seinem Chef schon lange unbequem. Immer wieder stellte Yeneroglu, Jurist und Abgeordneter der türkischen Regierungspartei AKP, den Kurs von Präsident Recep Tayyip Erdogan infrage. Er forderte mehr Meinungsfreiheit und eine Stärkung des Rechtsstaates. In der AKP machte er sich damit so unbeliebt, dass Erdogan schließlich Yeneroglus Parteiaustritt forderte. Unter dem Druck des Präsidenten gab Yeneroglu jetzt sein Parteibuch zurück. Der Abgang illustriert, wie sehr sich die AKP in einen reinen ErdoganWahlverein verwandelt hat.
Im türkischen Bayburt geboren, zog Yeneroglu als Kind mit seiner Familie nach Deutschland. Er wuchs in Köln auf, studierte Jura und engagierte sich in der türkisch-islamistischen Bewegung Milli Görüs. Vor vier Jahren wurde er erstmals ins türkische Parlament gewählt, wo er den Vorsitz im Menschenrechtsausschuss führte. In Deutschland wurde er unter anderem durch seine Kritik am Umgang der Behörden mit der rechtsextremen NSU bekannt.
Yeneroglus Prägung durch die deutsche Gesellschaft spielte eine wichtige Rolle bei seinem Rücktritt aus der AKP: „Es ist eine Frage der Sozialisierung“, sagte er bei der Bekanntgabe seines Parteiaustritts. „Ich bin nicht in einem autoritären Bildungssystem groß geworden.“
Als Abgeordneter setzte sich der 44-Jährige für die Belange der Türken in Deutschland ein und wurde zum profiliertesten Reformpolitiker der ErdoganPartei. Seit dem Putschversuch von 2016, nach dem unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung die Grundrechte wie die Meinungsfreiheit eingeschränkt wurden, fühlte sich Yeneroglu in seiner Partei heimatlos. Er strebe für die Türkei hohe demokratische Standards an, wie sie in Deutschland oder Norwegen herrschten, sagte Yeneroglu nun. „Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben“, setzte er hinzu – aber in der AKP habe er keine Unterstützung mehr gefunden. Susanne Güsten