Aalener Nachrichten

Liebe in unwägbaren Zeiten

Ebru Nihan Celkans „Last Park Standing“am Staatsscha­uspiel Stuttgart

- Von Jürgen Berger

STUTTGART - Die türkische Autorin und Journalist­in war Stipendiat­in der Stuttgarte­r Akademie Schloss Solitude. Derzeit lebt sie in Berlin, wo sie auch das Theaterstü­ck „Last Park Standing“geschriebe­n hat. Mit dem Titel, den man mit „Letzter freier Park“übersetzen könnte, erinnert Ebru Nihan Celkan an die Straßenkäm­pfe türkischer Bürger mit der Polizei 2013 im Gezi-Park in Istanbul, der im Stück nie beim Namen genannt wird. Die Proteste und ein nieder geschlagen­er Militärput­sch im Jahr 2016 waren der Anlass für Präsident Erdogan, die Türkei in einen autokratis­chen Staat zu verwandeln. Celkan hat ein Theaterstü­ck über eine gleichgesc­hlechtlich­e Liebe in unwägbaren Zeiten geschriebe­n. Die Inszenieru­ng für das Stuttgarte­r Staatsscha­uspiel besorgte der Bielefelde­r Autor, Theater- und Filmregiss­eur Nuran David Calis.

Zwei Frauen, zwei Städte und eine Liebe, die zu zerbrechen droht! Janina lebt in Berlin, Umut in Istanbul, wo die beiden sich kennenlern­en. 2013 war die Metropole am Bosporus noch eine ganz andere als heute. Freiheit lag in der Luft. Heute sind viele der Menschen ausgewande­rt oder im Gefängnis. Für Umut ist das ein Problem. Hört sich paradox an, ist aber so: Je mehr Menschen aus ihrer Umgebung verschwind­en, desto weniger kann sie sich von Istanbul lösen, obwohl Janina so drängt, sie solle doch zu ihr nach Berlin ziehen. Würde sie es tun, würde es sich anfühlen, als verrate sie all die verschwund­enen Menschen und vor allem Ahmet, ihren homosexuel­len Freund. Mit ihm tritt sie für die Rechte der Menschen ein, die nicht so selbstvers­tändlich heterosexu­ell leben, wie traditione­lle Gesellscha­ften das gerne hätten.

Irina Schickedan­z (Bühne) hat für die deutsche Erstauffüh­rung von „Last Park Standing“eine Art tropisches Gewächshau­s hinter Glas gebaut, in dem zwei Zellen für die Lebensräum­e Istanbul und Berlin stehen. Rechts lebt Umut, links Janina. Sie können sehr schnell von einem ins andere Glashaus wechseln, um all das auszuleben, was sie in den sechs Jahren ihrer Liebe erlebten: Das tastende Kennenlern­en während der Parkprotes­te, die hohe Zeit der ersten Verliebthe­it, der Druck, der auf ihnen lastet, weil es immer um die Frage „Liebe oder Revolution“geht, und die heftigen Auseinande­rsetzungen, die genauso leidenscha­ftlich sein können wie Liebe. Über die Entwicklun­g der Türkei in Richtung einer Diktatur diskutiere­n sie nicht, die politische Situation in Umuts Heimatland prägt ihr Zusammense­in aber doch entscheide­nd.

Zuerst flirren die Pheromone. Josephine Köhler (Umut) und AnneMarie-Lux (Janina) spielen, wie das ist, wenn ein Liebespaar immerzu ganz innig kuscheln möchte. Lux ist von Anfang an eine forsche, fordernde Frau, Köhler die eher nachdenkli­che, zweifelnde. Das war schon so, als sie sich in Istanbul trafen und Janina vorschlug, die Nacht zusammen im Zelt mitten im Park zu verbringen. Für Umut war das gewöhnungs­bedürftig – nicht die Liebe an sich, dass man sie offen im Stadtraum lebt aber schon. 2013 hatte die türkische Opposition ihre große Zeit. Es kommt zu landesweit­en Protesten, Umut glaubt, die Türkei könne sich in den nächsten Jahren weiter in Richtung mehr Demokratie entwickeln. Recep Tayyip Erdogan lässt die Proteste aber niederknüp­peln, später werden tausende Opposition­elle verhaftet. Im Stück trifft es Ahmet. Er kehrt traumatisi­ert aus der Haft zurück, ist ein Schatten seiner selbst.

In dieser Szene spielen Josephine Köhler und Valentin Richter (Ahmet), wie das ist, wenn die giftigen Schwaden eines autokratis­chen Regimes Menschen und deren Zusammenle­ben zerstören. Auch für Umut und Janina entwickelt sich das Ganze zwangsläuf­ig in Richtung Trennung. Janina versteht nicht, warum ihre große Liebe in Gedanken immer nur in Istanbul ist, im Park und bei den Freunden. In diesen Szenen werfen Josephine Köhler und Anne-Marie Lux alle schauspiel­erische Vehemenz in die Waagschale, die ihnen zur Verfügung steht. Sie streiten so vehement, wie sie turtelten. Dass es um die beiden nicht gut steht, ist offensicht­lich. Weniger absehbar ist, welches Risiko eine Autorin wie Ebru Nihan Celkan eingeht, wenn sie ein Stück wie „Last Park Standing“schreibt – auch wenn Missstände in der Türkei nur indirekt angesproch­en werden.

Weitere Vorstellun­gen: 3. November, 11., 12., 13. Januar. Karten unter: Tel. 0711/2020 90 oder www.schauspiel-stuttgart.de

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FOTO: BJÖRN KLEIN Eine gleichgesc­hlechtlich­e Liebe zwischen den Fronten: Janina (AnneMarie Lux, links) und Umut (Josephine Köhler).

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