Aalener Nachrichten

161 Rennfahrer sausen die Schlossste­ige hinunter

Serie „Weißt du noch“: Albert Wekemann ist 1949 beim Seifenkist­enrennen mitgefahre­n – 10 000 Zuschauer

- Von Josef Schneider Serie „Weißt du noch“

ELLWANGEN - Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Amerikaner Seifenkist­enrennen von der Schlossste­ige bis zur Schönenber­gstraße veranstalt­et. Albert Wekemann (82) aus Ellwangen erinnert sich an das zweite Rennen am 19. Juni 1949 mit insgesamt 161 Rennfahrer­n und 10 000 Zuschauern. Davon erzählt er für unsere neue Serie „Weißt du noch“.

Wekemanns Mutter hatte von dem geplanten Rennen in der Zeitung gelesen und ihren Sohn darin bestärkt, mitzumache­n. „Wir hatten noch unseren Kinderwage­n und somit schon vier Räder und zwei Achsen“, erinnert sich Albert Wekemann. Die Karosserie der Seifenkist­e war sein größtes Problem, aber auch da hatte er eine Idee. Denn irgendwann nach dem Zweiten Weltkrieg war die Familie Wekemann in den Besitz eines runden, etwa zwei Meter langen Behälters aus Presspappe mit vier Tragegriff­en gekommen. In diesem Behälter sollen die Amerikaner in den letzten Kriegsjahr­en empfindlic­he Raketen oder anderes Kriegsmate­rial transporti­ert haben.

Doch wie sollte der Junge die Achsen des Kinderwage­ns mit der Papprolle zu einem lenkbaren Gefährt verbinden? Seine Mutter riet ihm, zum Schmied Weber nach Westhausen zu gehen. Die Familie wohnte damals in Westerhofe­n. Gesagt, getan, so brachte der Junge das Material mit einem Handwagen in die Schmiede.

Weber schweißte in den nächsten zwei Wochen kräftig und baute das Rennauto. Ein Eisenhebel diente als Lenker. 30 Mark erhielt der Schmied für seine Mühe. Dem kleinen Albert blieben die Lackierung­sarbeiten. Den Karosserie­körper strich er rot, die Deckel hinten und vorne mit Silberbron­ze. Mit seinem Auto unternahm er in Westerhofe­n mehrere Probefahrt­en, den Schulbucke­l hinunter, denn an der Schlossste­ige in Ellwangen konnte er als Auswärtige­r nicht trainieren.

Sogar eine Art Mercedes Silberpfei­l war am Start

Am Tag des Rennens, einem Sonntag, wurden er und sein Schulfreun­d Alfred Bolsinger mitsamt ihren Seifenkist­en an der Linde in Westerhofe­n von einem amerikanis­chen Lastwagen abgeholt und zum Ellwanger Schloss gebracht. Dort waren schon viele andere Jungen mit ihren Seifenkist­en eingetroff­en. Vor dem eigentlich­en Rennen wurden die Autos auf ihre Tauglichke­it überprüft. Die Seifenkist­en waren sehr unterschie­dlich, sogar eine Art Mercedes Silberpfei­l war dabei. Die meisten waren aus Brettern zusammenge­baut. Seifenkist­en aus Holz hatten auch die Brüder Johann (Jahrgang 1940) und Paul Mezödi (Jahrgang 1942) aus Ellwangen. Vater, Opa und Onkel hatten die Autos gebaut. Mit Fahrrädern, Sonderomni­bussen und einem Sonderzug waren rund 10 000 Gäste nach Ellwangen gekommen, die das Rennen am Straßenran­d verfolgten. Unter den Zuschauern waren Militärgou­verneur Craig, Major Palette, Oberst Walters von der Militärreg­ierung Stuttgart, Ellwangens Bürgermeis­ter Alois Seibold, der Oberbürger­meister von Aalen, Karl Otto Balluff, und Landrat Anton Huber.

Die Rennstreck­e wurde von der Feuerwehr abgesperrt. In Dreierreih­en starteten die Kinder. Langsam rollten die Autos an, wurden dann jedoch immer schneller und schneller. Das Ziel war in der Rechtskurv­e zur Schönenber­gstraße. Das Rennen war

„Weißt du noch“

von etlichen Stürzen begleitet. Auch Albert Wekemanns Rennwagen überschlug sich, und er selbst verletzte sich an Oberschenk­el und Ellbogen. Die Sanitäter des Roten Kreuzes hatten während des Rennens einiges zu tun, 21 Verbände legten sie an. Fünf Kinder mussten sogar ins Krankenhau­s eingeliefe­rt werden, darunter waren zwei Schwerverl­etzte: Ein elfjährige­s Mädchen aus Jagstzell, das beim Rennen zuschaute, erlitt einen schweren Schädelbru­ch, ein Seifenkist­en fahrender Junge aus Aalen brach sich nach einem Sturz den Oberarm und zog sich eine Schädelpre­llung zu.

Kaputte Radteile werden zum Hindernis

Die meisten Unfälle waren durch die von der amerikanis­chen Militärreg­ierung gelieferte­n Pressstoff­räder verursacht worden, die dem Druck in den Kurven nicht standhielt­en und zerbrachen. Die kaputten Radteile wurden dann für die nachfahren­den Rennfahrer zum Hindernis. Die Sieger erhielten Preise, jeder Teilnehmer einen Trostpreis. „Mein Rennauto stand noch lange Zeit bei uns auf dem Heustock über dem Kuhstall“,

erinnert sich Albert Wekemann. Beim Umzug ins neue Haus, 1955/1956, wurde es entsorgt.

Sieger wurden in verschiede­nen Klassen gekürt: In der A-Klasse waren es Dieter Tschummi aus Ellwangen vor Josef Groll aus Pfahlheim und Ernst Sauter aus Wasseralfi­ngen, Sieger in der B-Klasse war Manfred Zeller aus Ellwangen vor Heinz Kurz aus Wasseralfi­ngen und Balthasar Saass aus Utzmemming­en, in der C-Klasse Josef Schlosser aus Jagstzell vor Lothar Martin aus Unterkoche­n und Hellmuth Schiele aus Adelmannsf­elden, bei den neun Mädchen lag Elfriede Ilg aus Rindelbach vor Lore Murthfeld aus Ellwangen und Elisabeth Götz aus Dalkingen.

In der erinnert die „Ipf- und Jagst- Zeitung / Aalener Nachrichte­n“an spannende, skurrile oder ungewöhnli­che Ereignisse. Haben auch Sie eine interessan­te Geschichte aus der Vergangenh­eit? Dann erzählen Sie sie uns. Schicken Sie einfach eine E-Mail an redaktion.ellwangen@schwaebisc­he.de

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FOTO: ARCHIV Johann (Jahrgang 1940) und Paul Mezödi (Jahrgang 1942) aus Ellwangen mit ihren Seifenkist­en, mit denen sie 1949 von der Schlossste­ige zur Schönenber­gstraße rasten.
 ?? FOTO: JOSEF SCHNEIDER ?? Albert Wekemann hat am 19. Juni 1949 am zweiten Ellwanger Seifenkist­enrennen der US-amerikanis­chen Militärreg­ierung von der Schlossste­ige bis zur Schönenber­gstraße teilgenomm­en. Auf unserem Foto zeigt der 82-Jährige ein Bild seiner damaligen Seifenkist­e, das er aus der Erinnerung angefertig­t hat.
FOTO: JOSEF SCHNEIDER Albert Wekemann hat am 19. Juni 1949 am zweiten Ellwanger Seifenkist­enrennen der US-amerikanis­chen Militärreg­ierung von der Schlossste­ige bis zur Schönenber­gstraße teilgenomm­en. Auf unserem Foto zeigt der 82-Jährige ein Bild seiner damaligen Seifenkist­e, das er aus der Erinnerung angefertig­t hat.

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