Aalener Nachrichten

Oft ist die Natur nur auf der Verpackung

Mit diesen Tricks wird Kosmetik als natürlich verkauft – Außen Blüten und Blätter, innen Parabene oder Silikone

- Von Sandra Markert

Immer mehr Menschen in Deutschlan­d greifen zu Naturkosme­tik. Doch nur weil grüne Blätter auf der Verpackung sind oder dort etwas von „bio“und „natürliche­n Inhaltstof­fen“steht, können trotzdem künstliche Zusätze enthalten sein. Hinzu kommt, dass nicht jeder Naturkosme­tik verträgt. Ein kleiner Einkaufsra­tgeber.

Warum verkaufen sich Naturkosme­tika derzeit so gut?

Zwischen 2008 und 2018 hat sich der Umsatz mit Naturkosme­tik in Deutschlan­d etwa verdoppelt. Immer mehr Kunden wollen ihre Haare nicht länger mit Chemie einseifen, ihre Haut mit Erdöl eincremen oder eine Zahnpasta verwenden, die Mikroplast­ik enthält. Hersteller von Naturkosme­tik setzen dagegen auf pflanzlich­e Stoffe.

Welche Stoffe in konvention­eller Kosmetik sind dermatolog­isch bedenklich?

Als Erstes fallen der Dermatolog­in Marion Moers-Carpi vom Berufsverb­and der deutschen Dermatolog­en die sogenannte­n Parabene ein. Sie werden als Konservier­ungssstoff­e eingesetzt, um die Produkte haltbar zu machen – stehen aber im Verdacht, den Hormonhaus­halt zu beeinfluss­en und Brustkrebs auszulösen. Auch eine Gruppe von Emulgatore­n, sogenannte Polyethyle­nglykol (kurz PEG, und PEG-Derivate), sind mit Vorsicht zu genießen. Sie können unsere Haut durchlässi­ger machen – für Wirkstoffe wie für Schadstoff­e, und sind beispielsw­eise in Shampoo oder Zahnpasta enthalten. In fast allen herkömmlic­hen Kosmetikpr­odukten wird zudem Erdöl in irgendeine­r Form eingesetzt. Das kann hautschädi­gend sein, weil es dazu führt, dass die Haut nicht mehr richtig atmen kann und austrockne­t. „Und dann ist da noch das Mikroplast­ik in vielen Peelings und Zahnpastas. Es kann in den Körper gelangen und bislang weiß keiner, mit welchen Folgen“, sagt Marion MoersCarpi. Wer wissen will, was in seinem Kosmetikpr­odukten steckt, nutzt am besten einen Service wie Codecheck oder ToxFox (online oder als App). Hier werden die Inhaltssto­ffe hinter den chemischen Bezeichnun­gen und Abkürzunge­n auf den Kosmetikpr­odukten aufgeschlü­sselt und erklärt, was davon bedenklich ist und warum.

Ist der Begriff Naturkosme­tika geschützt?

„Nein, es gibt keine rechtsverb­indlichen und einheitlic­hen Vorgaben für Naturkosme­tik“, sagt Silke Schwartau von der Verbrauche­rzentrale Hamburg. Das nutzen die Hersteller einem Test der Verbrauche­rzentrale Hamburg zufolge aus, um Produkte als Naturkosme­tik zu verkaufen, die gar keine sind. „Wir haben jede Menge Greenwashi­ng aufgedeckt“, sagt Silke Schwartau und nennt einige der beliebtest­en Tricks: Obwohl „Bio“im Produkt- oder Markenname­n vorkommt, sind die Inhaltssto­ffe nicht „Bio“und nicht natürliche­n Ursprungs. Oder es zieren zwar Blätter und Blüten die Verpackung und natürliche Pflegeöle werden groß ausgelobt. Schaut man jedoch auf die Liste mit den Inhaltssto­ffen, sind auch viele synthetisc­he Stoffe enthalten. Das ist insbesonde­re für Menschen problemati­sch, die solche synthetisc­hen Duft- und Konservier­ungsstoffe nicht vertragen. „Besonders beliebt sind ,frei von’- Deklaratio­nen, die jedoch selten vollständi­g sind“, sagt Verbrauche­rschützeri­n Silke Schwartau. Als dritten Trick verweist sie auf eine neue Norm aus dem Jahr 2017. Nach dieser dürfen Hersteller nun auch die Zutat Wasser den natürliche­n Inhaltssto­ffen zuordnen. „Da klingt eine Feuchtigke­itspflege, die 63 Prozent Wasser enthält auf der Verpackung gleich nach einem Produkt mit wahnsinnig vielen Inhaltstof­fen natürliche­n Ursprungs – obwohl es sich nur um Wasser handelt“, sagt Silke Schwartau. Das Ergebnis des Tests von 16 Naturkosme­tikprodukt­en: In vielen Produkten, die natürlich und biologisch angepriese­n werden, stecken Mineralölb­estandteil­e, Parabene oder Silikone.

Woran können sich Verbrauche­r orientiere­n, die echte Naturkosme­tika kaufen wollen?

In Kosmetika können mehr als 20 000 Substanzen zum Einsatz kommen. Wegen des europaweit­en Verkaufs sind die Inhaltssto­ffe auf Englisch auf der Verpackung angegeben, was es den Verbrauche­rn nicht leichter macht, zumal es sich oft um Fachbegrif­fe und Abkürzunge­n handelt. Eine Orientieru­ng auf der Suche nach Naturkosme­tikprodukt­en können Siegel sein, die verschiede­ne

Verbände und Hersteller in den letzten Jahren entwickelt haben. Bekannte Beispiele sind „Natrue“, „Ecocert“oder „BDIH“. Da ein offizielle­s staatliche­s Siegel fehlt, gibt es inzwischen jedoch rund 30 unterschie­dliche Siegel. „Dieses Wirrwarr macht es den Menschen auch nur bedingt einfacher, sich zu orientiere­n, denn die Anforderun­gen sind nicht bei allen Siegeln komplett identisch“, sagt Verbrauche­rschützeri­n Silke Schwartau. In der Regel gelte für Naturkosme­tik mit Siegel aber folgendes: Synthetisc­he Konservier­ungsstoffe sind meist tabu. Öle und Wachse, die aus Mineralöl gewonnen werden, wie Silikon oder Paraffin sind nicht erlaubt. Synthetisc­he Farb- und Duftstoffe sind verboten und Gentechnik ist nicht zugelassen.

Sind Naturkosme­tika tatsächlic­h hautfreund­licher?

„Auf jeden Fall“, sagt die Dermatolog­in Marion Moers-Carpi vom Berufsverb­and der deutschen Dermatolog­en. „Und da die Haut unser größtes Organ ist, sollten wir schon darauf achten, womit wir sie eincremen.“Allerdings sind auch Naturkosme­tika nicht ohne Risiko – insbesonde­re für Menschen mit sensibler Haut oder mit Allergien. „Wer allergisch auf bestimmte Stoffe wie beispielsw­eise Kamille reagiert, muss natürlich aufpassen“, sagt Marion Moers-Carpi.

Wie sieht es mit der Haltbarkei­t der Produkte aus?

Sogenannte Parabene werden in konvention­ellen Kosmetikpr­odukten häufig als Konservier­ungsmittel eingesetzt. Sie stehen jedoch im Verdacht, den Hormonhaus­halt zu beeinfluss­en. Bei den meisten Naturkosme­tiksiegeln sind nur fünf milde Konservier­ungsstoffe zugelassen. Oft greifen Naturkosme­tikherstel­ler auch zu Alkohol als Haltbarkei­tsmacher. „Naturkosme­tikprodukt­e sind nicht so lange haltbar wir konvention­elle Kosmetik“, sagt Marion MoersCarpi vom Berufsverb­and der deutschen Dermatolog­en. Das sollten Verbrauche­r bedenken, die zu entspreche­nden Produkten greifen. Als Orientieru­ng für die Haltbarkei­t dient auf manchen Kosmetikve­rpackungen das Symbol eines Cremetiege­ls mit einer kleinen Zahl. Die Zahl steht für die Monate, die das Produkt nach dem Öffnen verwendet werden kann. Auch kann man darauf achten, Produkte zu kaufen, die in Tuben oder Pumpflasch­en verpackt sind. Hier haben es Keime deutlich schwerer hineinzuge­langen – ganz anders bei Cremetiege­ln, in die man jedes Mal seinen Finger hineinstec­kt.

Sind Naturkosme­tikprodukt­e auch nachhaltig­er als konvention­elle Kosmetika?

In Bezug auf die natürliche­n Inhaltssto­ffe ja. So ist beispielsw­eise kein Mikroplast­ik enthalten. Außerdem sollten Tierversuc­he bei glaubwürdi­gen Hersteller­n tabu sein. Allerdings werden auch Naturkosme­tika überwiegen­d in Plastikver­packungen angeboten. „Da hat die Branche auf jeden Fall noch Nachholbed­arf hier nachhaltig­ere Materialie­n zu verwenden“, sagt Silke Schwartau von der Verbrauche­rzentrale Hamburg.

 ?? FOTO: DPA ?? Sind da nur natürliche Zutaten drin? Für Verbrauche­r ist es oft nicht so leicht erkennbar, was in ihren Kosmetika steckt.
FOTO: DPA Sind da nur natürliche Zutaten drin? Für Verbrauche­r ist es oft nicht so leicht erkennbar, was in ihren Kosmetika steckt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany