Die emsigen Ingenieure der Ökosysteme
Regenwürmer spielen in vielen Böden eine entscheidende Rolle – Ob auch sie Opfer des Klimawandels werden, beobachten Forscher mit Sorge
Wenn Biobauern und Gärtner in Mitteleuropa auf Dünger und Pflanzenschutzmittel aus der chemischen Industrie verzichten, setzen sie stattdessen auf die verblüffenden Fähigkeiten von Regenwürmern. Verwerten diese von Forschern „Ökosystem-Ingenieure“genannten Tiere doch die Abfälle, mit denen viele andere Organismen nichts mehr anfangen können. Dabei verbessern sie den Boden erheblich und lassen so viele Pflanzen schneller wachsen. Dabei ist dieVielfalt der Regenwürmer in einem tropischen Gebiet deutlich niedriger als im kühleren Mitteleuropa, stellen Helen Philipps und Nico Eisenhauer vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig und der Leipziger Universität jetzt zusammen mit 139 Kollegen aus 35 Ländern in der Zeitschrift „Science“(Band 366, Seite 480) fest. Da nach der Mammutanalyse der Forscher Niederschläge und Temperaturen die Vielfalt dieser Ökosystem-Ingenieure sehr stark beeinflussen, könnte der Klimawandel die Welt der Regenwürmer und damit auch die Natur über dem Boden erheblich verändern.
Wie die Regenwürmer genau auf den Klimawandel reagieren und was das für das jeweilige Ökosystem bedeutet, bleibt dagegen erst einmal im Dunkeln, kommentiert Noah Fierer von der University of Colorado in Boulder ebenfalls in „Science“(Band 366, Seite 425). Die Welt der Regenwürmer entpuppt sich also als Stellschraube, an der das veränderte Klima dreht, und niemand weiß, was das für den Rest der von den Böden abhängenden Welt bedeutet. Das müssen weitere Untersuchungen klären, die auf der Studie der iDivForscher aufbauen können.
„Diese Studie schafft also die Grundlagen für ein besseres Verständnis einer der wichtigsten Organismen im Boden“, meint der Bodenökologe Stefan Scheu von der Universität
in Göttingen. Wie wichtig die Regenwürmer offensichtlich sind, zeigt bereits eine Bestandsaufnahme: Durch einen einzigen Quadratmeter Boden in Mitteleuropa können sich mehr als 150 Regenwürmer wühlen.
Die im Untergrund einer etwas mehr als fußballfeldgroßen Fläche von einem Hektar lebenden Regenwürmer können zusammen mit 1500 Kilogramm das Gewicht von zwei Rindern auf die Waage bringen. Da nach den Regeln der Biobauern auf einer das ganze Jahr über genutzten Fläche dieser Größe aber nicht einmal ein Rind weiden sollte, steckt in der ökologischen Landwirtschaft unter der Erde mehr als doppelt so viel Regenwurmmasse wie darauf an Rindermasse lebt.
Obendrein sind die Würmer im Untergrund enorm fleißig: An jedem Tag verschlingt ein Regenwurm bis zum Doppelten seines eigenen Gewichts an Boden. Darin aber stecken Bakterien, Einzeller und andere Mini-Organismen, sowie die Reste von Pflanzen und Tieren, mit denen die meisten anderen Organismen nichts mehr anfangen konnten und die sie deshalb mit ihren Exkrementen ausgeschieden haben. „Der Nährwert dieser Bodenmischung ist sehr gering, daher müssen Regenwürmer riesige Mengen konsumieren“, erklärt Stefan Scheu den gewaltigen Appetit der Öko-Ingenieure. Von der Oberfläche ziehen Regenwürmer abgestorbene Pflanzenteile in den Boden und vertilgen so rasch große Mengen des im Herbst von den Bäumen fallenden Laubs.
Auf ihren Wegen durch den Untergrund hinterlassen sie Röhren, die sie mit Schleim und ihren Exkrementen tapezieren und so stabilisieren. Diese Röhren verbessern auch den Luftaustausch und transportieren so den von vielen dort lebenden Organismen benötigten Sauerstoff in den Untergrund. Dadurch können bestimmte Bakterien im Untergrund Pflanzenreste besser zersetzen und stellen so die darin steckenden Nährstoffe anderen Pflanzen zur Verfügung, die sie mit ihren Wurzeln aufnehmen. „Wenn Biogärtner ihre Felder mit abgestorbenen Pflanzenresten mulchen, füttern sie also die Regenwürmer, die im Gegenzug die
Versorgung der Nutzpflanzen erheblich verbessern“, fasst Stefan Scheu die Bedeutung der Regenwürmer gerade im Biolandbau zusammen.
Eine ähnliche Rolle spielen die Würmer auch im Waldboden oder im Grasland. Je nach Art des Bodens wühlen sich sehr unterschiedliche Ökosystem-Ingenieure durch den Untergrund. Viele von ihnen sind nur wenige Zentimeter lang, während die Art Megascolides australis im Süden Australiens bis zu drei Meter lang werden kann. Allerdings gab es bisher keinerlei Übersicht zur Vielfalt dieser fleißigen Helfer im Boden. Die iDiv-Forscher Helen Philipps und Nico Eisenhauer hatten also gute Gründe, gemeinsam mit ihren Kollegen
Untersuchungen der Regenwurmvielfalt in rund 7000 Böden in 56 Ländern zusammenzutragen und zu analysieren.
Dabei zeigte sich, dass in den Tropen oberirdisch erheblich mehr Arten als in gemäßigten Breiten leben, während sich die Verhältnisse unter der Erde völlig umkehren. Dort leben normalerweise nicht nur weniger Regenwurmarten, sondern wühlt sich pro Hektar auch erheblich weniger Regenwurmmasse durch die Böden als zum Beispiel in Mitteleuropa. Stefan Scheu erklärt diesen Fund mit einem einleuchtenden Zusammenhang: „In den Tropen sind auch die Böden wärmer als in mittleren Breiten und die Organismen laufen auf höheren Touren“, erklärt der Bodenökologe. Daher brauchen sie auch mehr Energie. Obendrein sind die Böden dort oft recht nährstoffarm und liefern den Würmern so weniger Energie. Aus beiden Gründen ernährt der Untergrund in warmen Gefilden daher deutlich weniger Würmer.
Das bedeutet allerdings nicht, dass es in den Tropen weniger Regenwurmarten als in Europa gibt. Ganz im Gegenteil können dort in nicht weit voneinander entfernten Böden völlig unterschiedliche Arten leben. Insgesamt kann die Artenvielfalt in den gesamten Tropen daher sogar deutlich höher als in mittleren Breiten sein. Genaueres aber wissen die Forscher dazu bisher nicht, weil viele der in den warmen Gefilden lebenden Arten noch gar nicht beschrieben sind.
Wenn der Klimawandel also auch in Mitteleuropa die Temperaturen weiter in die Höhe treibt, brauchen die Regenwürmer hierzulande ebenfalls mehr Energie, der Boden könnte demnach weniger der fleißigen Wühler ernähren und ihre Zahl könnte sinken. Das wiederum dürfte die Erträge der Biogärtner und Ökobauern sinken lassen. Vielleicht werden die Regenwürmer bei steigenden Temperaturen mit der Zeit auch von anderen Organismen ersetzt. So leben in sauren Böden unter Nadelwäldern hierzulande kaum Regenwürmer, weil ihr Organismus keine Säure verträgt. „Dort übernehmen Springschwänze, Milben und andere Tiere die Rolle der Regenwürmer“, erklärt Stefan Scheu. Allerdings ist dieser Ersatz erheblich weniger effektiv und die Pflanzen an der Oberfläche werden schlechter versorgt. Auch in diesem Fall dürfte die Ernte also geringer ausfallen.
Biobauern liegen also richtig, wenn sie auf die Hilfe der Regenwürmer setzen und so ihre Erträge verbessern. Ähnlich sollten auch Naturschützer vorgehen, fordern die iDivForscher Helen Philipps und Nico Eisenhauer: Sie sollten nicht nur die Artenvielfalt über dem Boden, sondern auch die im Untergrund berücksichtigen, wenn sie Gebiete schützen wollen. Schließlich hängt das Leben oben von dieser Unterwelt ab.
Wenn Biogärtner ihre Felder mit Pflanzenresten mulchen, füttern sie die Regenwürmer, die im Gegenzug die Versorgung der Nutzpflanzen verbessern.
Stefan Scheu, Bodenökologe