Ökosystem in Gefahr
Wie der Klimawandel den Bodensee beeinflusst
- Am östlichen Bodensee unweit der kleinen, beschaulichen Gemeinde Wasserburg gibt es eine besondere Bucht, einen Teil davon nennt man den Malerwinkel. Hier haben schon viele Kunstbegeisterte zu Pinsel oder Stift gegriffen, um das Wasserburger Ensemble von Schloss und Kirche eigenhändig abzubilden. Neben dieser alten Dorfschönheit lässt sich an der Bucht inzwischen aber noch etwas anderes beobachten: Weidensträucher, die ungewöhnlich weit in der Überschwemmungszone stehen. Dieses Phänomen führt weg von der Kunst hin zum Thema Klimawandel. „Auch am Bodensee werden sich die Menschen von der Welt, wie sie ihnen bekannt ist, verabschieden müssen“, sagt Eberhard Klein, Leiter des Nabu-Bodenseezentrums.
Was ist aber am Malerwinkel bei Wasserburg tatsächlich passiert? Erst einmal nichts grundsätzlich Schlimmes. Aber im Vergleich zu früheren Zeiten haben übers Jahr hinweg die niedrigen Wasserstände zugenommen. Weiden konnten sich ansiedeln, wo sie vor zehn oder 15 Jahren ertrunken wären. „Es entstehen Auwälder, die man vorher an solchen Stellen nicht gekannt hat“, erklärt Klein. Erste Ansätze gibt es offenbar vielerorts, nicht nur im Malerwinkel bei Wasserburg. Klein nennt das Eriskircher Ried, ein bekanntes Naturschutzgebiet nahe Friedrichshafen. Oder auch das Wollmatinger Ried unweit des Nabu-Zentrums im Westen des Bodensees.
Zugegeben: Das Vordringen der Weiden ist erst einmal nur ein kleiner Effekt – aber eben trotzdem richtungsweisend. Zu solchen Mosaiksteinchen der Klimaveränderung zählt möglicherweise auch der
Hinweis eines Fischers: „Meine Frau war bis weit in den Oktober hinein zum Schwimmen im Bodensee“, berichtet Roland Stohr, 1. Vorstand der Fischereigenossenschaft der bayerischen Bodenseefischer und in Hattnau daheim, einem Ortsteil von Wasserburg. Dass hier einmal mehr die beschauliche Feriengemeinde ins Spiel kommt, ist Zufall. Der Schwimmausflug von Stohrs Frau so spät im Jahr wirft aber Fragen auf. Könnte es sein, dass sie ein besonders abgehärteter Mensch ist? Oder war die Wassertemperatur noch angenehm? Stohr glaubt, die ausgedehnte Badeleidenschaft sei „eher ein weiteres Indiz, dass der Bodensee wärmer geworden ist“.
Auf solch subjektive Eindrücke verlässt sich die Wissenschaft naturgemäß nicht. Aber auch sie hat die höheren Wassertemperaturen längst registriert. Messungen in einem halben Meter Tiefe mitten im See haben Folgendes ergeben:
Im Jahresmittel hat die Wassertemperatur seit 1960 um mehr als ein Grad zugenommen. Ein schleichender Prozess, der eine breite Öffentlichkeit nicht in Unruhe versetzt. So hat Stohr auch noch keine konkrete Auswirkungen auf seinen Fischerjob ausgemacht. Seinen Berufsstand beschäftigen dieser Tage vor allem zwei Themen mit unterschiedlicher Gewichtung. Effektive Kläranlagen filtern seit Jahren verstärkt Nährstoffe wie Phospor aus dem Wasser. Diesem Umstand geben die Fischer die Schuld an den geringen Fangerträgen bei den legendären Bodenseefelchen. Zudem wird über das Vordringen von Pflanzen und Tieren diskutiert, die bisher in der Region nicht heimisch waren. „Aber mit Klimaveränderungen haben beide Themen eigentlich wenig zu tun“, schränkt Stohr ein.
In Bezug auf invasive Arten ist diese Aussage durchaus korrekt. Neophyten und Neozoen, wie man diese Pflanzen und Tiere nennt, kommen in der Regel nicht einfach so über die Alpen, sondern werden eingeschleppt. Schiffe, Flugzeuge, Touristen – unfreiwillige Helfer und Übertragungswege gibt es genug. Der gegenwärtig am häufigsten erwähnte Zuwanderer ist die Quagga-Muschel. Sie bedeutet ein Riesenärgernis für alle jene, die Installationen im Wasser haben: Klärwerke, Wasserversorger, Hafenbehörden. Die Muschel setzt alle Rohre zu. Dummerweise breitet sie sich laut Bodensee-Experten rasend schnell aus. Ihre ursprüngliche Heimat sind Zuflüsse des Schwarzen Meers – also Regionen mit einem Klima, das dem des Bodensees ähnelt.
Andererseits existieren auch Arten, die von den inzwischen angenehmeren Temperaturen profitieren könnten – sollten sie aus wärmeren Weltgegenden kommen. In diesem Zusammenhang verbreitet die mögliche Ankunft der Asiatischen Tigermücke am Bodensee fast schon Schrecken. Behörden wie wissenschaftliche Einrichtungen warnen bereits. Ob es rund um den Bodensee bereits Bestände dieses aus tropischen oder subtropischen Gegenden stammenden Krankheitsüberträgers gibt, scheint noch nicht ganz klar zu sein. Zumindest aber wird das Auftauchen der Tigermücke erwartet, weil sie in angrenzenden eidgenössischen und deutschen Regionen bereits gesichtet worden ist. Nun mag das zustechende Insekt für den Menschen lästig sein, eventuell auch gefährlich, weil es gefährliche Krankheiten wie das Denguefieber oder das Zikavirus übertragen kann. Dem Bodensee selbst tut die tropische Stechmücke aber nichts.
Steigende Temperaturen drohen dem größten Gewässer im deutschsprachigen Raum dennoch zuzusetzen. Da mögen sich Hoteliers und andere Vertreter des Tourismusgeschäfts kurzfristig noch so sehr über eine verlängerte Saison freuen. Längerfristig könnte sich nämlich Entscheidendes in der Tiefe des Sees ändern – für Laien zunächst nicht sichtbar, eine Expertenangelegenheit. Weshalb das Institut für Seenforschung in Langenargen an dieser Stelle der richtige Ansprechpartner ist. Bernd Wahl, ein Spezialist für entsprechende Fragen, verweist darauf, dass „sich mit höheren Temperaturen auch das Schichtungs- und Durchmischungsverhalten des Sees“ändere.
„Na und?“, wäre nun eine erste laienhafte Reaktion. Die Erklärung der Zusammenhänge hat es jedoch in sich. Demnach braucht der Bodensee für sein gegenwärtiges Ökosystem im Winter recht kaltes Oberflächenwasser – vier Grad etwa. Dann sinkt dieses Wasser in die Tiefe und nimmt seinen gespeicherten Sauerstoff mit hinab. Die tieferen Schichten des Sees profitieren, sie bekommen Sauerstoff ab, was wichtig ist für das Leben weit unterhalb des Wasserspiegels. Bei einer gewissen Wärme funktioniert diese natürliche Wassermischung nicht mehr. Der See sei dann zwar nicht tot, heißt es allgemein von Expertenseite. Aber er wäre eben nicht mehr der Bodensee, wie er bisher existiert. Eher vielleicht wie ein Gewässer am südlichen Alpenrand, der Lago Maggiore beispielsweise.
Zudem beeinflusst eine mangelnde Wasserdurchmischung das Algenwachstum im Frühjahr. In den oberen Schichten des Sees sind mehr Nährstoffe vorhanden. „Das Algenwachstum setzt früher ein“, erklärt Wahl. Das hat weitere Folgen: Die gewohnten Zeiten des bisherigen Nahrungsangebots verschieben sich. Womöglich ändert dies das bisherige Brutverhalten der Vögel oder die Laichsaison der Fische. Indizien dafür gibt es bereits, die komplexen Folgen harren aber noch einer Abklärung.
Nicht weniger knifflig ist die Entwicklung des Wasserstands. Er wird derzeit von verschiedenen Pegelmessstationen erfasst, Konstanz etwa. Eigentlich prägen ja deutlich spürbare Wasserstandsschwankungen den Bodensee. Sie nehmen aber laut der vorliegenden Daten ab. Wie bereits beim Beispiel mit den Weiden erwähnt, sind die Pegelstände übers Jahr gesehen tatsächlich niedriger als in alten Zeiten – eine Entwicklung, deren Ursache in den Bergen zu suchen ist. Der seit Längerem spürbar geringere Schneefall bedeutet weniger Schmelzwasserzufluss im Frühjahr
und Sommer. Schwinden zudem die Gletscher, verstärkt sich der Effekt noch. Das Niedrigwasser macht auch der Schifffahrt auf dem Bodensee Sorgen. So konnten im heißen Sommer 2018 Kapitäne zum Teil nicht mehr in den Häfen anlegen, Bootseigner mussten ihre Schiffe im Herbst früher aus dem Wasser nehmen oder verlegen.
Gleichzeitig fällt im Winter in den Bergen verstärkt Regen statt Schnee. Das Wasser fließt jedoch umgehend in den Bodensee, der traditionell während der kalten Jahreszeit niedrige Pegelstände haben sollte – und keine steigenden.
Verändern sich die Wasserstände des Bodensees, kann das nach Überzeugung von Experten auch zur Gefahr für Seeforellen werden. Längere Trockenperioden mit niedrigem Seepegel wie im vergangenen Jahr erschwerten den Fischen, die mehr als einen Meter lang werden können, das Erreichen ihrer Laichplätze, warnte zuletzt die Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB). Beim Kraftwerk Reichenau am Alpenrhein seien 2018 statt der üblichen 800 nur rund 400 Seeforellen beim Aufstieg nach Graubünden in der Schweiz gezählt worden. Der Bestand der bis zu 15 Kilogramm schweren Seeforellen im Bodensee war Anfang der 1980er-Jahre wegen schlechter Wasserqualität stark bedroht. Heute verfügt der Bodensee über eine gute Wasserqualität, die Bestände haben sich mithilfe von Aufzucht und wegen der Einrichtung von Schongebieten in den vergangenen Jahrzehnten erholt.
Interessanterweise haben die Schwankungen der Wasserstände auch Auswirkungen, die sich einem nicht sofort erschließen. Ein Blick nach Sipplingen zur Bodenseewasserversorgung verdeutlicht aber, worum es geht. An deren Leitungen hängen große Landstriche im Zentrum und Norden Baden-Württembergs, die ihr Trinkwasser aus dem Bodensee beziehen. Gezapft wird in 60 Meter Tiefe. Prinzipiell weit genug unten. „Weniger Wasser im See bedeutet aber weniger Wasserdruck“, erklärt Maria Quignon, Sprecherin der Bodenseewasserversorgung. Sie will damit sagen, dass dann das Wasser nicht mehr ganz so stark in die Leitungen drückt. Gerade in heißen Sommern eine nachteilige Angelegenheit, weil die Kundschaft dann ihre Hähne erst richtig aufdreht. Mittelfristig stelle sich deshalb die Frage, ob stärkere Pumpen installiert werden müssten, gibt Quignon zu bedenken. Vorsichtshalber beschwichtigt sie aber auch: „Verdursten wird niemand.“
Zum Schluss nochmals zurück nach Wasserburg ans malerische Bodenseeufer. Ein alteingesessener Einheimischer macht nebenbei auf ein weiteres Mosaiksteinchen des Klimawandels aufmerksam: „Wir haben im Herbst weniger Nebeltage.“Immerhin ist der Bodensee wegen der grauen Schleier verrufen. Ab Mitte Oktober beginnt die Nebelzeit. Oder doch nicht mehr so zuverlässig wie früher? Die Daten des Deutschen Wetterdienstes verweisen in der Tat auf eine abnehmende Nebelneigung. Dagegen hat zunächst wohl niemand etwas. Es ist ja auch zu schön, wenn man am Ufer stehend bis ins Appenzell und zum Säntismassiv schauen kann.
Unser Klima – wie die Erderwärmung die Region verändert. Die SZ-Serie: www.schwäbische.de/unserklima