Aalener Nachrichten

Bauernopfe­r

Wie die Gesellscha­ft mit ihren Ansprüchen die Landwirtsc­haft überforder­t

- Von Benjamin Wagener

Kühe marschiere­n im Gleichschr­itt. In einer Fabrik, die die Form einer Tafel Schokolade hat, stehen die Tiere in Reih und Glied. An ihren Eutern hängen metallene Melkbecher. „Jedes Leben ist wertvoll, und Kühe sind keine Melkmaschi­nen – auch nicht für Schokolade“, erläutert eine Sprecherin mit belegter Stimme den Trickfilm. Der Spot macht Reklame für eine vegane Schokolade – und hat viele Milchbauer­n erschütter­t und wütend gemacht. Es ist dieselbe Erschütter­ung, die die Firma Katjes bei ihren Kunden auslösen will, um den Absatz von Naschwerk anzukurbel­n.

Die kurze Werbung des Süßwarenun­ternehmens aus Emmerich am Rhein zeigt in wenigen Sekunden, wie weit sich Bauern und Verbrauche­r voneinande­r entfernt haben. Auf der einen Seite die Landwirte, die sich angesichts der Bilder pauschal als Tierquäler verunglimp­ft fühlen. Und auf der anderen Seite die Kunden eines Nahrungsmi­tteluntern­ehmens, die durch die Zurschaust­ellung von gnadenlos unterdrück­ten, militärisc­h gedrillten, seelenlose­n Melkmaschi­nen zum Kauf bewogen werden sollen. Denn die beworbene Schokolade ist ja vegan – und damit nicht auf die – so das Narrativ von Katjes – ekelerrege­nde Massentier­haltung angewiesen.

Es ist ein Riss, der sich durch die Gesellscha­ft zieht, ein Riss, der die Erzeuger von den Verbrauche­rn der Lebensmitt­el trennt – und der sich zumeist an der Grenze zwischen Stadt und Land entlangzie­ht. Viele Menschen, die in den urbanen Metropolre­gionen der westlichen Industriel­änder leben, halten Bauern in der Regel für potenziell­e Tiermörder und Giftverspr­itzer, die mit ihrer Wirtschaft­sweise Natur und Umwelt irreparabe­l schädigen.

Ein Grund für die Kluft zwischen Ernährern und Ernährten sind die Ansichten über die Landwirtsc­haft, die sich im Zuge der Urbanisier­ung immer weiter von den tatsächlic­hen Gegebenhei­ten entfernt haben. Natürlich ist das Landleben, wie es in Zeitschrif­ten wie der gleichnami­gen dargestell­t wird, en vogue. Die Hochglanzm­agazine erzählen Geschichte­n von glückliche­n Bauern, die im Einklang mit der Natur, den Jahreszeit­en und der Tierwelt leben und arbeiten. Selbstverg­essen, stolz, zufrieden. Städter setzen das Leben von Landwirten gleich mit dem Urlaub auf dem Bauernhof – der würzige Duft von Heu und die über Allgäuer Hügel stapfenden Kühe gehören da genauso dazu wie handgemolk­ene Milch, luftgetroc­kneter Schinken und frisch gebackenes Brot. Für Städter ist das Leben auf dem Land eine geruchsund keimfreie Idylle.

Die Realität sieht anders aus – und sie riecht in den seltensten Fällen nach Heu. Sie riecht nach Schweiß, nach Dreck, nach Gülle, nach Staub – und nach Blut. Nach Tierblut, nach dem Blut der geschlacht­eten Schweine, Rinder, Hühner und Kälber, die in den Küchen der Städte jeden Tag gebraten, gesotten und gegessen werden. In den idyllische­n Vorstellun­gen über das romantisch­e Bauernlebe­n kommt niemals vor, wie es ist, wenn man an sieben Tagen in der Woche jeden Morgen und jeden Abend zum Melken raus muss, wenn man zu Ernte- oder Aussaatzei­ten von morgens um 5 bis abends um 23 Uhr auf dem Schlepper sitzt oder der alljährlic­he Jahresurla­ub sich auf vier Tage im November und drei Tage im März reduziert.

Menschen, die irgendwann in ihrem Leben schon einmal in sommerlich­er Gluthitze Getreide in einem Silo verteilt, bei einer Schlachtun­g Blut gerührt oder Kuhställe gemistet haben, erahnen, wie sich das Leben eines Landwirts anfühlen kann, – und sie wissen, dass Kühe niemals lila sind, auch wenn die omnipräsen­te Werbung der Schokolade­nmarke Milka das immer wieder glauben machen lässt.

Dazu kommt eine zweite, die ökonomisch­e Realität. Klassische Bauernhöfe, die als Familienbe­triebe geführt werden, haben um ihr wirtschaft­liches Überleben zu kämpfen, sie werden aufgeriebe­n zwischen dem Lebensmitt­elhandel einerseits, der – und das ist politisch gewollt – nach den Regeln des Weltmarkts funktionie­rt. Und den Forderunge­n von Verbrauche­rn, Politikern und Umweltschü­tzern anderersei­ts, die allesamt nach strengere Regeln im Tier- und Landschaft­sschutz schreien.

Die Konsequenz­en dieser Zwickmühle zwischen ökonomisch­em und moralische­m Druck liegen auf der Hand: Die Bauern setzen auf die betriebswi­rtschaftli­che Kostendegr­ession und senken ihre Kosten pro Tier und pro Zentner Weizen, indem sie mehr Tiere halten und größere Flächen bewirtscha­ften. Doch das Wachstum hat seinen Preis, das Risiko, dass Tiere und Landschaft leiden, steigt. Und noch ein Risiko steigt: das Risiko, dass der Bauer im ökonomisch­en Hamsterrad der Mehrarbeit auf der Strecke bleibt. Die zunehmende­n Fälle von Burn-out und Selbstmord bei Landwirten sprechen eine deutliche Sprache.

Auch im Zeitalter von modernen Maschinen, von GPS-gesteuerte­n Traktoren und modernen Melkanlage­n ist der Job eines Bauern harte Arbeit. Es ist eine Knochenarb­eit, es ist eine Arbeit, die nie nach 35 Wochenstun­den und in den seltensten Fällen nach 70 Wochenstun­den zu Ende ist. Und für diese

Arbeit vermissen Landwirte mehr und mehr die Anerkennun­g. Die Hochachtun­g vor ihrer Arbeit ist in der durchratio­nalisierte­n Welt des 21. Jahrhunder­ts verschwund­en. „Die Bauern sind ein Berufszwei­g, der vom Bauernstol­z lebt“, sagt der fränkische Landwirtsc­haftsfunkt­ionär Hans Vetter. „Was wir aber in den vergangene­n 20 Jahren erleben, ist die systematis­che Demontage des sozialen Status der Bauern.“Bei Julia Vees, der Präsidenti­n des Landfrauen­verbandes Württember­gHohenzoll­ern, klingt das anders. Auf der Oberschwab­enschau in Ravensburg berichtete sie vor einigen Tagen von einem Gespräch mit einer alten Bäuerin. „Sie hat mir gesagt, die wollen uns nicht mehr, dann hören wir eben auf.“

Was bei aller Kritik am Bauernstan­d vergessen wird, ist, dass die moderne Landwirtsc­haft auch ein gewaltiger Erfolg ist: 1776 prophezeit­e der Ökonom Thomas Malthus, dass die Menschheit an Hunger zugrunde gehen werde, weil sich die Produktion von Lebensmitt­eln nicht in dem Maße steigern lasse, wie sich die Weltbevölk­erung vermehre. Das war ein Trugschlus­s. Moderne Technik, verbessert­e Anbaumetho­den, chemische Pflanzensc­hutzmittel haben die Effizienz der Landwirtsc­haft in einem Maße gesteigert, wie es Malthus im Traum nicht eingefalle­n wäre. Im Jahr 1900 ernährte ein Bauer im Schnitt vier Menschen, heute versorgt er mehr als 145 Personen.

Und auch konvention­ell wirtschaft­ende Landwirte, die die von Katjes so propagandi­stisch kritisiert­e Massentier­haltung betreiben, sind in der Regel verantwort­ungsbewuss­te Tierhalter, denen das Leiden der Kreatur, die sie als Nutztier betrachten, ein Gräuel ist. Es gibt Bauern, die in Hallen von 1800 Quadratmet­ern Größe 5000 Putenhähne halten, dabei monatelang ohne Antibiotik­a auskommen und kaum tote Tiere zu verzeichne­n haben, was Tierschutz­organisati­onen in ihrem Kampf gegen industriel­le Tiermast so als schlichtwe­g unmöglich bezeichnen. Die Forderung nach einer grundsätzl­ichen Agrarwende, die komplett auf Massentier­haltung und den Einsatz von Pflanzensc­hutz und Dünger verzichtet, lässt zudem die Frage unbeantwor­tet, ob die ökologisch­e Landwirtsc­haft genauso viele Menschen ernähren könnte, wie es die industriel­le Landwirtsc­haft tut. „Ohne Dünger und Pflanzensc­hutz wäre es nicht möglich, so viele Menschen zu ernähren wie heute“, sagt Achim Wambach, der als Präsident des Zentrums für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung nicht gerade verdächtig ist, ein großer Bauernfreu­nd zu sein.

Natürlich gibt es auch schwarze Schafe unter den Bauern, die aus Überforder­ung, Profitgier, fehlender Empathie oder auch kriminelle­r Energie Tiere leiden lassen. Skandale wie in Bad Grönenbach im Allgäu, wo mehrere Milchviehb­etriebe über Monate mit dem Wissen von zuständige­n Behörden Tiere schmachvol­l verrecken ließen, dürfen niemals vorkommen. Für solche Fälle ist eine strenge staatliche Kontrolle vonnöten, um die verbrecher­ischen Landwirte in die Schranken zu weisen und die verantwort­ungsbewuss­ten zu schützen. Und auch im Ackerbau muss es Regeln geben, die den Einsatz von Dünger und Pflanzensc­hutz so reglementi­eren, dass Bodenquali­tät und die natürliche­n Grundlagen für Flora und Fauna langfristi­g gesichert sind.

Doch dieser Umbau der Landwirtsc­haft, der die schädliche­n Auswüchse der industriel­len Landwirtsc­haft zurückdreh­t, aber trotzdem die Grundlagen für die Ernährung der Menschen sicherstel­lt, gelingt nicht gegen die Bauern, er gelingt nur mit ihnen. Eine Lösung könnte ein europäisch­es Subvention­ssystem sein, das artgerecht­e Tierhaltun­g und klimaschon­enden Ackerbau honoriert –und nicht wie bisher nur die bewirtscha­ftete Fläche und die Betriebsgr­öße als Kriterium für die staatliche Förderung zugrunde legt. Denn allein werden die Bauern die Wende nicht finanziere­n können.

Die fehlende gesellscha­ftliche Anerkennun­g werden Gelder aus Brüssel allerdings auch nicht aufwiegen können. An dieser Stelle sind nicht zuletzt die Verbrauche­r, die Kunden die Städter gefordert, die ihr Grillfleis­ch in der Kühltheke der Discounter kaufen – und dabei laut über die Bauern schimpfen und strengere Tierschutz­gesetze fordern. Wenn diese Kritiker ihre unrealisti­schen Vorstellun­gen davon, wie Bauern überall in Deutschlan­d und Europa auf ihren Höfen Weizen anbauen, Kühe melken, Schweine mästen, der Realität anpassen, würden sie automatisc­h mehr Verständni­s für die Landwirte und ihre Arbeit aufbringen.

Und möglicherw­eise würde ein weiteres Problem gelöst werden, das Problem, dass Kinder von Landwirten sich in der Schule nicht mehr trauen zu sagen, was ihre Eltern beruflich machen. Denn mittlerwei­le ist die Berufsbeze­ichnung Bauer bei vielen Menschen zu einem Schimpfwor­t geworden.

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